Gesundheitswesen:Korruption am Krankenbett

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Bestechung im Gesundheitswesen erwartet man vielleicht in Ländern der Dritten Welt. Aber auch in Deutschland nutzen Pharmaindustrie, Apotheker und Ärzte alle Gesetzeslücken, um sich zu bereichern.

Wiebke Rögener

"Gegen die Muskelverspannungen schreibe ich Ihnen Massagen auf", sagt der Orthopäde zum Patienten, der über Rückenschmerzen klagt. "Gehen Sie gleich ein Stockwerk tiefer zum Physiotherapeuten und lassen Sie sich Termine geben."

Korruption im Gesundheitswesen gibt es nicht nur in armen, medizinisch unterversorgten Ländern, wo erst ein Umschlag mit Bargeld zu Rezept oder Krankenhausbett verhilft. Auch in Deutschland sind illegale Praktiken üblich. (Foto: ddp)

Alltag in vielen Arztpraxen, zulässig aber nicht: "Ein Arzt darf Patienten nicht ohne speziellen Grund nur an einen bestimmten Physiotherapeuten verweisen", erläuterte Detlef Scholz von der Ärztekammer Niedersachsen vor kurzem auf einer Sozialrechtstagung in Münster. Schon gar nicht dürfe der Arzt für solche Hilfestellung eine Prämie vom Therapeuten kassieren.

Es irrt, wer Korruption im Gesundheitswesen vor allem in armen, medizinisch unterversorgten Ländern vermutet, wo erst ein Umschlag mit Bargeld zu Rezept oder Krankenhausbett verhilft. Illegale Praktiken sind auch hierzulande üblich. Manchmal sind sie so spektakulär wie im vergangenen Sommer, als die Staatsanwaltschaft bei mehreren DRK-Kliniken in Berlin Großrazzien veranlasste, die zur Verhaftung von zwei Geschäftsführern und einem Chefarzt wegen Abrechnungsbetrugs führten. Manchmal sind es auch einfach bayerische Stützstrümpfe, die bei Aufsichtsgremien Verdacht erregen.

Eher zufällig erfuhr die Juristin Dina Michels, Leiterin der Prüfgruppe Abrechnungsmanipulation bei der KKH-Allianz, dass ein Arzt aus Hannover regelmäßig Kompressionsstrümpfe bei einem Sanitätshaus in Bayern orderte. Diese gab er dann - auf Kosten der Kasse - in seiner Praxis ab. Ein eindeutiger Verstoß gegen geltendes Recht, so Michels, denn Ärzte dürfen Waren nur in Notfällen direkt an Patienten abgeben.

Michels erstattete 2005 Anzeige; die Kassen wollten das Geld zurück, das sie für die auf illegalem Weg vertriebenen Strümpfe gezahlt hatten - immerhin fast 200.000 Euro. Ob der Arzt finanzielle Vorteile von dem Deal hatte, blieb offen. Es wird wohl sein Geheimnis bleiben, warum er die gängigen Strümpfe, die seine Patienten auch leicht in Hannover erhalten hätten, aus Süddeutschland kommen ließ.

Mitte November stellte das Amtsgericht Erlangen das Verfahren gegen das Sanitätshaus gegen Zahlung von 2500 Euro ein. Eine unverhältnismäßig geringe Summe, findet Michels, sei doch eine Hartz-IV-Empfängerin, die drei Rezepte im Gesamtwert von 36 Euro gefälscht hatte, zu einer Geldstrafe von 1300 Euro verurteilt worden. "Das nenne ich Zwei-Klassen-Justiz."

Kaum erstaunlich also, dass Gesetze gegen den Gesundheitsfilz die Täter bisher wenig abschrecken: Vorsichtig geschätzt, kosten Betrug und Korruption die Gesundheitssysteme in der Europäischen Union jährlich 56 Milliarden Euro, berichtete das European Healthcare Fraud & Corruption Network kürzlich.

Die Materie sei eben für viele Strafrechtler zu kompliziert, erläutert der Sozialrechtler Heinz-Dietrich Steinmeyer von der Universität Münster.

So sei noch nicht einmal klar, ob einem niedergelassenen Arzt überhaupt Bestechlichkeit vorgeworfen werden kann. Dafür müsste er laut Gesetz "Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebs" sein. Als Freiberufler könne er allenfalls belangt werden, wenn er gegen Wettbewerbsrecht verstößt. Allerdings seien Kassenärzte "Sachwalter der Krankenkassen und deshalb gehalten, Therapieentscheidungen und -empfehlungen ausschließlich an den vom Gesetzgeber vorgesehenen Kriterien auszurichten", erklärt Bernd Schütze, Richter am Bundessozialgericht.

Insofern ein Arzt also Beauftragter der Krankenkasse ist, kann ihm auch Bestechlichkeit vorgeworfen werden. Er darf also seine Patienten weder in eine bestimmte Apotheke noch zu einem Physiotherapeuten oder Hörgeräteakustiker schicken, weil er von diesen Prämien erhält. Allerdings ist es zulässig, dass er etwa mit einem bestimmten Orthopädietechniker kooperiert, wenn es um individuell angepasste Hilfsmittel geht, und er mit diesem Anbieter besonders gute Erfahrungen gemacht hat.

Das komplizierte Terrain stimuliert offenbar die Phantasie der Akteure: Apotheken zahlen Ärzten Zuschüsse zum Praxisumbau oder Leasingraten fürs Auto, damit diese ihre Patienten bewegen, Rezepte bei ihnen einzulösen. Krankenhäuser bieten niedergelassenen Ärzten nicht nur Prämien für die Zuweisung von Patienten, sondern auch die günstige Nutzung teurer Geräte oder niedrige Mieten. Dabei werden auch Strohmänner eingesetzt, berichtet Michels. Erst seit April 2009 sind solche lukrativen Kooperationen ausdrücklich verboten.

Doch neue Lücken finden sich immer wieder - etwa in der vom Gesetzgeber 2004 eingeführten "Integrierten Versorgung". Dabei arbeiten Krankenhäuser, Apotheker, Haus- und Fachärzte auf Grundlage eines Vertrages mit einer oder mehreren Krankenkassen zusammen. So sollen ambulante und stationäre Behandlung verbunden und Kosten gespart werden. Pharmaunternehmen sehen hier offenbar neue Möglichkeiten der Einflussnahme.

So gründete das Unternehmen Janssen-Cilag, das unter anderem Psychopharmaka herstellt, im Juni 2010 die Tochtergesellschaft I3G. Diese übernimmt die Versorgung aller Schizophrenie-Kranken, die bei der AOK Niedersachsen versichert sind. Auf der Strecke bleibt die Transparenz für den Patienten, sagt Detlef Gebauer, Richter am Sozialgericht Dortmund. "Weiß der Patient, dass es eine Managementfirma ist, die einem Pharmaunternehmen gehört?"

Weiterhin unberührt von neuen gesetzlichen Regeln bleibt auch die sogenannte Anwendungsbeobachtung, bei der Ärzte vom Hersteller dafür honoriert werden, dass sie ein bestimmtes Medikament verschreiben - angeblich, um dessen Wirkungen und Nebenwirkungen zu erfassen.

Solche Studien würden sogar bei der Zulassung vorgeschrieben, verteidigt Rechtsanwältin Christine Lietz vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie diese Praxis. Doch da sie noch nicht einmal zu sagen vermag, wie häufig derart erhobene Daten tatsächlich in Studien eingehen und publiziert werden, bleibt der Verdacht, dass es sich hier eher um ein Marketinginstrument handelt.

Die Antikorruptionsorganisation Transparency International forderte deshalb ein Verbot von Anwendungsbeobachtungen: Die finanziellen Zuwendungen würden ärztliche Entscheidungen im Interesse der Pharmahersteller beeinflussen. Anwendungsbeobachtungen seien deshalb schlicht eine Form von "legalisierter Korruption".

© SZ vom 19.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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