Energie:Frankreich treibt den Geothermie-Ausbau voran, auf deutscher Seite geschieht sehr wenig

Deutschlandweit sieht es anders aus. Insbesondere im Oberrheingraben ist das enorme Potenzial kaum genutzt. Frankreich treibt den Geothermie-Ausbau voran, auf deutscher Seite geschieht sehr wenig. Der Grund sind Ereignisse wie im südbadischen Staufen, wo die Stadtverwaltung auf Geothermie setzen wollte. Heute ist die dortige Bohrung ein Grund für das schlechte Image der Erdwärme. In der Altstadt rumpelt es seit zehn Jahren.

Begonnen hat es mit kleinen Rissen im Gemäuer, inzwischen beträgt die Erhebung 65 Zentimeter, die seitliche Verschiebung 45 Zentimeter. Die Bohrung war fehlerhaft, die Bohrlöcher undicht. Es drang Wasser in ein gipshaltiges Gesteinsfeld ein. Das Gestein quoll auf, die Erde setzte sich in Bewegung und bewegt sich noch heute. Ein menschlicher Fehler, wie man heute weiß. Mittels 3-D-Seismik ließe sich ein solcher Irrtum zudem verhindern. Sogenannte Vibrotrucks, die an der Oberfläche rollen, schicken dabei künstliche Erschütterungen in den Untergrund. Je nach geologischer Gesteinsschicht werden die Wellen unterschiedlich zur Erdoberfläche reflektiert. So können Geologen ein dreidimensionales Modell des Untergrundes erstellen und Gefahrenquellen orten.

Schäden und Unfälle sind generell selten. Wenn sie auftreten, stehen die Betroffenen allerdings vor einem Problem: "Der Privatmann ist beweislastpflichtig", sagt Richard Schüler von der Bürgerinitiative gegen Tiefengeothermie im südlichen Oberrheingraben. Privatpersonen müssen vor Gericht nachweisen, dass der Konzern für die Schäden am Eigenheim verantwortlich ist. Im nordrhein-westfälischen Bergrecht ist das anders. Hier muss der Betreiber eines Bergwerks seine Unschuld nachweisen. Auch private Geothermie-Versicherungen gibt es bislang nicht. Um den Anwohnern die Angst zu nehmen, wäre mehr Rechtssicherheit dringend nötig, argumentiert Schüler.

Die Bürgerinitiative fordert zudem, betroffene Bürger an den Entscheidungen zu beteiligen. "Es kann nicht sein, dass Bohrungen in unmittelbarer Nähe von Wohn- oder Gewerbegebieten durchgeführt werden, ohne die Anwohner zu beteiligen", sagt Schüler. "Es kommen Menschen und Unternehmen von außerhalb, die in unsere Umwelt eingreifen wollen." In Neuried bei Kehl wurde das nun erreicht. Bei einem neuen Antrag auf eine Bohrung werden die Stadt Kehl und damit auch die Bürgerinitiative am Entscheidungsprozess beteiligt.

Doch nicht nur Bürger, auch die Politik tut sich mit der Erdwärme häufig schwer. Seit 2017 beeinflusst die Suche nach einem atomaren Endlager die Geothermie-Branche. Das sogenannte Standortauswahlgesetz regelt die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle und erklärt ganz Deutschland zur weißen Landkarte. Bundesweit darf kein Ort als potenzielles Atomendlager ausgeschlossen werden. Bohrungen in einer Tiefe von mehr als 100 Metern müssen deshalb darauf geprüft werden, ob sie Einfluss auf ein mögliches Endlager haben könnten. Ist dies der Fall, kann die zuständige Landesbehörde das Vorhaben nur genehmigen, wenn das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) sein Einvernehmen erteilt hat.

Die Geothermie-Branche fühlt sich benachteiligt

Der Präsident des Bundesverbandes Geothermie, Erwin Knapek, beklagt diesen Zustand: "Die sinnlose Benachteiligung der Geothermie durch das Standortauswahlgesetz muss beseitigt werden." Er fordert die Freigabe von bestimmten Gebieten, die ohnehin nicht für Endlager in Frage kommen. So erscheint es schwer vorstellbar, dass ein Endlager unter Städten wie München, Köln, Hamburg oder Berlin infrage käme. Diese Gebiete könnten ohne weiteres für Geothermiebohrungen freigegeben werden, sagt Knapek.

Das Standortauswahlgesetz sieht vor, dass Gebiete erst dann freigegeben werden können, wenn die sogenannten Suchräume für ein Endlager benannt wurden, die Suche also auf einige Teilgebiete verengt wird. Die übrigen Landesteile spielen anschließend für die Suche nach einem Endlager keine Rolle mehr. Das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) weist die Kritik an diesem Verfahren zurück. Es würden schon jetzt nur Bohrungen zusätzlich überprüft, die an Standorten mit Granit, Salz oder Tonvorkommen geplant seien, denn nur diese Gesteinsarten eignen sich für ein Endlager. Bislang seien 47 solcher Projekte überprüft worden, alle seien genehmigt worden.

Aber auch mit den etablierten Energieversorgern möchten es sich die Politiker vielerorts nicht verscherzen. Knapek verweist auf das so umweltfreundlich geltende Heidelberg. Die Energieversorgung der Stadt basiert zum Großteil auf der Kohleverbrennung, dabei ist das Potenzial für Erdwärme besonders groß. Noch schreckt das Investitionsrisiko viele Energieversorger ab. Allein die Bohrung kostet zwischen 20 und 30 Millionen Euro, und nicht immer kann garantiert werden, dass das gefundene Thermalwasser ökonomisch profitabel nutzbar ist. Die Verlegung eines Wärmenetzes in einem Stadtteil schlägt dann mit weiteren rund 100 Millionen Euro zu Buche. Diesen Investitionskosten stehen allerdings vergleichsweise geringe Betriebskosten gegenüber.

Neben München wollen nun weitere europäische Metropolen auf Erdwärme setzen. In Paris sind mehrere Anlagen im Bau. Eine Delegation aus Straßburg macht sich dieser Tage nach München auf, um Eindrücke zu sammeln. In Wien investieren die Energieversorger Millionen in die Erkundung des Untergrunds.

In thermisch höchst aktiven Gebieten wie Island können sie über die zentraleuropäischen Geothermievorhaben indes nur lachen. Dort arbeiten Geologen an der Erschließung eines Feldes, welches Wasser in überkritischem Zustand fördern soll: mit 427 Grad Celsius.

Anmerkung: Im Abschnitt über die Suche nach einem atomaren Endlager waren in der ersten Fassung des Artikels Fehler enthalten. Nur Bohrungen in einer Tiefe von mehr als 100 Metern müssen darauf geprüft werden, ob sie Einfluss auf ein mögliches Endlager haben könnten, die flache Geothermie ist von der Endlagersuche nicht betroffen. Außerdem ist nur das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) in den Genehmigungsprozess eingebunden, nicht auch die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Diese Fehler wurden in der jetzigen Fassung korrigiert. Zur Präzisiserung wurde außerdem eine Reaktion des BfE auf die Kritik des Bundesverbands Geothermie mit in den Text aufgenommen.

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