Biologie:Nein, Eidechsen widersprechen nicht der Evolutionstheorie

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Ein weibliches Exemplar der Art Anolis distichus. (Foto: Jon Suh)

Die Tiere sahen schon vor Jahrmillionen so aus wie heute - wo bleiben da Charles Darwins Selektionseffekte? Nun können Wissenschaftler den scheinbaren Widerspruch auflösen.

Von Tina Baier

Charles Darwin war ein Skeptiker. Auch seinen eigenen Forschungsergebnissen gegenüber. Im sechsten Kapitel seines Buches "Über die Entstehung der Arten" befasste er sich ausschließlich mit Problemen und Ungereimtheiten seiner Evolutionstheorie. "Einige derselben sind von solchem Gewichte, dass ich bis auf den heutigen Tag nicht an sie denken kann, ohne in gewissem Maße schwankend zu werden", schrieb er. Manche der von Darwin erwähnten "Schwierigkeiten der Theorie" sind bis heute nicht gelöst.

Mit einem dieser Probleme, dem "Paradox of stasis", hat sich jetzt ein Team um James Stroud von der School of Biological Sciences am Georgia Institute of Technology beschäftigt. Dabei geht es um die Beobachtung, dass sich Fossilien von Tieren in ihrem Äußeren oft sehr stark ähneln - auch wenn sie Millionen Jahre auseinanderliegen. Das scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu Darwins Evolutionstheorie zu sein, die ja besagt, dass sich Arten an Veränderungen in ihrer Umwelt anpassen und dabei ebenfalls verändern, auch in ihrem Äußeren. Müssten sich diese Veränderungen dann nicht auch in fossilen Funden spiegeln?

Mit einem Lasso gingen die Forschenden auf Eidechsenjagd

Um diesem scheinbaren Widerspruch auf den Grund zu gehen, erforschte Stroud mit seinem Team in einer Langzeitstudie, die im Wissenschaftsjournal PNAS erschienen ist, die evolutionären Prozesse, die auf verschiedene Eidechsenarten auf einer kleinen Insel im Fairchild Tropical Botanic Garden in Florida wirken. Eidechsen sind bekannt dafür, dass sich ihr Äußeres innerhalb der letzten Millionen Jahre kaum verändert hat.

Im Jahr 2015 gingen die Wissenschaftler zum ersten Mal auf Eidechsenjagd. Mit einer Art Mini-Lasso fingen sie 1692 Tiere vier verschiedener Arten ein und brachten sie ins Labor. Dort wurden die Eidechsen anhand von zehn körperlichen Merkmalen gründlich vermessen. Größe und Gewicht wurden bestimmt, aber auch die Form ihres Kopfes, die Länge ihrer Beine und viele andere Merkmale. Sogar wie klebrig die Füße der Tiere waren, interessierte die Forscher. Außerdem wurde jede Eidechse mit einem Chip markiert und dann an genau demselben Ort wieder freigelassen, an dem sie eingefangen worden war.

Diese Prozedur wiederholten die Forscher im Abstand von jeweils einem halben Jahr noch viermal. Anhand des Chips konnten sie die Tiere individuell wiedererkennen und wussten deshalb auch, welche von ihnen wahrscheinlich gestorben waren, weil sie sie nicht mehr wiederfanden. Bei der Auswertung all dieser Daten stellten die Wissenschaftler zu ihrer Überraschung fest, dass die Evolution bei den Eidechsen rasend schnell zu Werke ging.

James Stroud fängt eine Eidechse für die Untersuchung. (Foto: Neil Losin; Day's Edge Prods/Neil Losin)

Alle Lebewesen konkurrieren um Nahrung und Raum. Diejenigen, die am besten an die Umwelt angepasst sind, haben die größten Überlebenschancen. Weniger gut angepasste Wesen sterben. Das alles konnten die Forscher bei den Eidechsen in Florida innerhalb von nur drei Jahren beobachten. In einem Jahr überlebten zum Beispiel vor allem Exemplare mit längeren Beinen. Im nächsten Jahr waren Tiere mit kurzen Beinen im Vorteil, weil sich die Umweltbedingungen verändert hatten. So ging es die ganze Zeit hin und her. "Langfristig betrachtet hoben sich diese Effekte aber gegenseitig auf", schreiben die Forscher in ihrer Untersuchung. Unter dem Strich änderte sich das Aussehen der Tiere im Untersuchungszeitraum nicht.

Kreationisten halten Fossilien für Überreste der Sintflut

"Evolution geschieht und ist ein ständiger Prozess", schreiben die Wissenschaftler in ihrer Studie. Das bedeute aber nicht unbedingt, dass sich die Dinge auch langfristig ändern. "Auf lange Sicht scheint es einen stabilisierenden Effekt zu geben", sagt Jakob Hallermann, der sich am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels in Hamburg mit Evolution beschäftigt und nicht an der Studie beteiligt war.

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Anders als die meisten Evolutionsbiologen vermuten, beruht dieser stabilisierende Effekt nach Ansicht der Studienautoren aber nicht darauf, dass sich im Lauf der Zeit Tiere etablieren, die mit allen möglichen Umweltveränderungen einigermaßen gut zurechtkommen. Vielmehr scheint die Evolution zumindest bei den Eidechsen sehr schnell auf Umweltveränderungen zu reagieren und ähnlich wie das Wetter Ausschläge nach oben und unten zu produzieren. Was genau das Aussehen der Tiere über einen langen Zeitraum betrachtet stabilisiert, wissen die Forscher nicht.

Die Studie zeigt aber, dass das konstante Aussehen von Fossilien kein Widerspruch zur Evolutionstheorie ist. Damit nimmt sie auch Darwins Kritikern den Wind aus den Segeln, die Lücken nutzen, um die Theorie zu torpedieren. Kreationisten zum Beispiel, die Fossilien für Überreste der Sintflut halten und das Paradox of stasis als Argument dafür anführen, dass es Evolution gar nicht gebe. Nach Ansicht von Kreationisten wird die Entwicklung des Lebens von einem überirdischen intelligenten Wesen gesteuert. Hardliner nehmen die Bibel sogar wortwörtlich und glauben, ein Schöpfer habe das Universum, die Erde und alle Lebewesen tatsächlich innerhalb von sechs Tagen erschaffen.

Zumindest Eidechsen liefern dafür keine Argumente.

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