EuGH-Entscheid zu Gentechnik:Das steckt hinter dem überraschenden EuGH-Urteil

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Nach EuGH-Urteil: Wie geht es weiter in der Landwirtschaft? (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Mit molekularen Methoden gezüchtetes Saatgut wird in der EU künftig besonders streng reguliert. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.

Von Kathrin Zinkant und Hanno Charisius

Die einen sahen die Apokalypse heraufziehen, die anderen wähnten sich auf der Schwelle zu einem neuen Zeitalter - und dann kam alles anders: Der Europäische Gerichtshof hat nach eineinhalb Jahren sein Urteil zur neuen Gentechnik gefällt. Völlig unerwartet stellten die Richter in Luxemburg fest, dass Pflanzen, die mit neuen Werkzeugen wie der Genschere Crispr-Cas gezüchtet werden, in jedem Fall als Gentechnik zu regulieren sind. Der Generalanwalt des EuGH, Michal Bobek, hatte mit seinen Schlussanträgen im Januar noch die Hoffnung vieler Wissenschaftler, Pflanzenzüchter und Landwirte genährt, dass die neuen Methoden unreguliert bleiben. Warum aber kam es überhaupt zu dem Urteil? Hier finden Sie die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wieso hat sich der Europäische Gerichtshof mit dem Thema befasst?

Für gentechnische Eingriffe in das Erbgut von Pflanzen gibt es europäische Richtlinien. Die wichtigste ist die sogenannte Freisetzungsrichtlinie von 2001. Sie bestimmt, was nach europäischem Recht als gentechnisch veränderter Organismus (GVO) gilt und welche strengen Auflagen zu erfüllen sind, damit ein solcher GVO angebaut werden darf. In den vergangenen 17 Jahren wurden allerdings neue Gentechniken entwickelt.

Sie bringen zumeist Pflanzen hervor, die laut Definition nicht zweifelsfrei GVO sind, weil sie keine fremden Gene enthalten, sondern lediglich kleine Veränderungen, sogenannte Mutationen. Der Vorgang, durch den sie entstehen, kann deshalb als Mutagenese bezeichnet werden. Die klassische Mutagenese ist aber von der Regulierung als Gentechnik ausgenommen. Französische Bauernverbände haben gegen diese Ausnahme vor zwei Jahren geklagt. Die Klage wurden vom obersten Gericht in Frankreich zur grundsätzlichen Klärung an den EuGH weitergeleitet.

Was steht im Urteil und für wen gilt es?

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Damit hat das Gericht einer Klage von Bauern recht gegeben. Mit der Genschere "Crispr-Cas" veränderte Pflanzen müssen fortan als "gentechnisch veränderte Organismen" reguliert werden.

Die Richter haben entschieden, dass Pflanzen, denen durch die neuen molekularbiologischen Techniken Mutationen hinzugefügt wurden, als gentechnisch veränderte Organismen zu betrachten und zu kennzeichnen sind. Das Urteil ist für alle Mitgliedstaaten der EU bindend. Das Gericht stellt lediglich frei, auch Organismen, die durch ältere Mutagenese-Verfahren erschaffen wurden, der GVO-Richtlinie zu unterwerfen. Gemeint sind Pflanzen, die zur Erzeugung von Mutationen radioaktiv bestrahlt oder chemisch behandelt wurden. Mehr als 3000 Pflanzensorten auf dem Markt entstammen dieser Methodik.

Lässt sich das Urteil umgehen?

Sollten Mitgliedstaaten der EU Pflanzen anbauen wollen, die mit den modernen Methoden verändert wurden, können sie dem EuGH eine neue Auslegungsfrage vorlegen. Die würde allerdings erneut auf Grundlage der alten Freisetzungsrichtlinie entschieden - und die Richter haben diesen Fall ja gerade erst untersucht. Die einzige andere Möglichkeit wäre eine Änderung des europäischen Gentechnikrechts, also eine Novelle der 17 Jahre alten Freisetzungsrichtlinie.

Um welche neuen Techn iken geht es?

Viel wurde in den vergangenen Monaten über die Crispr-Cas-Technik diskutiert, mit der sich Abschnitte oder einzelne Bausteine aus dem Erbgut herausschneiden oder austauschen lassen. Zinkfingernukleasen, die Talen-Technik oder das ODM-Verfahren bieten weitere Möglichkeiten, mit großer Zielgenauigkeit auch kleinere Umbauarbeiten am Erbgut von Lebewesen vorzunehmen.

Weil diese neuen Verfahren wesentlich genauer arbeiten als die herkömmlichen Gentechniken, zudem einfacher und mit weniger Nebenwirkungen anzuwenden sind, werden sie oft als Genome Editing zusammengefasst. Das Erbgut lässt sich damit editieren, als würde man mit einem Computerprogramm einen Text bearbeiten. Eingriffe mit den neuen Verfahren können so subtil ausfallen, dass sie von natürlichen Mutationen nicht zu unterscheiden sind.

Lassen sich Nebenwirkungen des Genome Editing ausschließen?

Insbesondere die Crispr-Technik wird von Wissenschaftlern immer wieder wegen ihrer eindrucksvollen Präzision gelobt. Jüngere Studien weisen darauf hin, dass die Verfahren vielleicht doch nicht so präzise sind wie lange Zeit angenommen. Jenseits der gewünschten Schnittstellen im Erbgut können zusätzliche, unerwünschte Schnitte auftreten. Unklar ist, inwieweit das so auch in Pflanzen passiert. Wegen diesen und einer Reihe weiterer offener Fragen weisen Gegner auf mögliche, bisher nicht absehbare Gefahren der Technik hin, weshalb die Produkte besonders überwacht und reguliert werden müssten. Zufällige Mutationen treten jedoch auch in der konventionellen Züchtung auf. Bei den älteren Mutageneseverfahren, die vollkommen ungerichtet durch Strahlen oder Chemikalien Tausende Mutationen im Erbgut hervorrufen, sind die Folgen der Behandlung sogar noch viel weniger abzusehen. Der EuGH hält sie dennoch für sicherer, weil sie bereits seit langer Zeit eingesetzt werden.

Der EuGH hat aber von Risiken gesprochen. Welche sind das?

Falls mit dem Genome Editing völlig neue Merkmale in der Pflanze erzeugt werden, könnten diese sich durch Pollen auf verwandte Wild- oder Ackerpflanzen in der Umgebung übertragen. Das zumindest ist ein alter Verdacht, der vor allem den klassischen Gentechpflanzen galt. Kritiker sagen, dass solche Auskreuzungen in die freie Wildbahn nicht mehr rückholbar seien. Dazu müsste die neue Eigenschaft den Pflanzen aber einen klaren Überlebensvorteil in der Umwelt verschaffen. Das ist nicht immer der Fall. Dazu kommt, dass die neuen Methoden der Gentechnik in der Regel nur Änderungen herbeiführen, die genau so auch durch klassische Züchtung entstehen könnten. Solche Veränderungen stellen aber kein besonderes Risiko dar.

Gäbe es Gefahren für die Gesundheit?

Für die neuen Methoden ist das zumindest weniger wahrscheinlich als für die alte Gentechnik. Die neuen Verfahren übertragen in der Regel keine fremden Gene, und die Werkzeuge selbst verbleiben auch nicht in der Pflanze. Doch selbst die alte Gentechnik gilt unter Experten als sehr sicher. Nach zwanzig Jahren Anbau und Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen gibt es bislang keinen Hinweis darauf, dass aus solchen Gewächsen hergestellte Nahrung schädlich ist - weder für die Gesundheit von Menschen noch für die von Tieren.

So lässt sich die bislang wohl umfassendste Bestandsaufnahme zu den Vorteilen und Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen zusammenfassen, die vor zwei Jahren von einem zwanzigköpfigen Komitee der amerikanischen National Academies of Sciences vorgelegt wurde.

© SZ vom 26.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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