Es klingt wie eine gute Nachricht für den Umweltschutz: Das Zeitalter der Kohle geht in Europa langsam zu Ende. In vielen großen Kraftwerken wird die Kohleverfeuerung eingestellt oder zurückgefahren. Das größte Kraftwerk Großbritanniens im nordenglischen Drax verbrennt Kohle nur noch in drei von ehemals sechs Kraftwerksblöcken; bald sollen es zwei sein. Aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Dänemark gibt es ähnliche Meldungen.
"Aus Sicht des Klimaschutzes und der Biodiversität ist es eine Schande", klagt dennoch Linde Zuidema von der Organisation Fern, die sich der europäischen Umweltpolitik widmet. Ihr Problem: Die Konzerne stellen die Kraftwerke nicht ab. Sie stellen um. Statt Kohle verbrennen sie jetzt Holz. Im südfranzösischen Gardenne etwa rüstet der deutsche Stromkonzern Uniper gerade einen Kraftwerksblock von Kohle auf Biomasse um; bald sollen dort pro Jahr 850 000 Tonnen Holz verbrannt werden. Auch in Drax wurde kein Block stillgelegt, auch dort landet jetzt Holz im Brenner.
Aus Holz erzeugte Elektrizität gilt in der EU ausnahmslos als Ökostrom. Die Mitgliedstaaten zahlen dafür hohe Subventionen an die Energiekonzerne. Während Europa dadurch seine Klimabilanz aufbessert, werden irgendwo auf der Welt Bäume gefällt und Wälder gerodet. Ist dem Klima damit wirklich geholfen?
Holz ist ein nachwachsender Rohstoff. Ihn zu verbrennen, ist prinzipiell eine gute Idee. Das frei werdende CO₂ wird in den nachwachsenden Bäumen wieder gebunden. Und wenn die Bedingungen passen, lässt sich damit pro Anbaufläche mehr Energie erzeugen als mit anderen Biomasse-Trägern wie Mais, der in Süddeutschland als Energiepflanze weit verbreitet ist. Meist geschieht die Holzverstromung in Form von Pellets, die aus Abfällen wie Sägespänen oder Schnittresten bestehen. Weit über hunderttausend Haushalte in Deutschland haben eine Holzpellet-Heizung im Keller stehen. Dagegen wenden auch Umweltschützer wie Linde Zuidema nichts ein. Aber je mehr Großkraftwerke auf Holzverbrennung umsteigen, desto weniger bleibt von der guten Idee übrig.
Zwischen 2009 und 2014 hat sich die Herstellung von Holzpellets in der EU fast verdoppelt, auf 13,1 Millionen Tonnen. Weil sich der Bedarf aus den eigenen Wäldern längst nicht mehr decken lässt, kaufen die EU-Länder immer mehr Holzpellets im Ausland. 2014 importierten sie nach Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat acht Millionen Tonnen, ein Plus von 364 Prozent gegenüber dem Jahr 2009.
Die Umwelt wird vor allem dann geschont, wenn nicht nur Strom, sondern auch Wärme erzeugt wird
Auf die großen Linien der europäischen Klimapolitik haben sich die EU-Mitgliedstaaten gemeinsam verständigt: Bis 2020 soll der CO₂-Ausstoß um 20 Prozent sinken und der Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 Prozent steigen. Jedes Land entscheidet für sich, wie es die Ziele umsetzt. In Deutschland ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) dabei ein wichtiger Baustein. Es subventioniert regenerativ erzeugten Strom großzügig. Für Biomasse-Kraftwerke gibt es die Förderung aber nur bis zu einer Leistung von 20 Megawatt. Dafür braucht es eine überschaubare Menge Holz, die sich im Idealfall aus den benachbarten Sägewerken zusammensammeln lässt. Das Verbrennen von Holz gilt vor allem dann als ökonomisch und ökologisch sinnvoll, wenn damit sowohl Strom als auch Wärme erzeugt werden. Diese Kraft-Wärme-Kopplung funktioniert ebenfalls am besten mit kleinen Anlagen.
In anderen EU-Staaten gibt es keine Einschränkung der Kraftwerksgröße. Der auf Holzpellets umgerüstete Block des Uniper-Kraftwerks in Südfrankreich hat beispielsweise eine Leistung von 150 Megawatt. Die Pellet-Industrie hat in den vergangenen Jahren eine Dimension erreicht, bei der sie ihre ökologischen Versprechen nicht mehr einhalten kann.
An den Anlagen selbst müssen Energie-Erzeuger nicht viel ändern, wenn sie von Kohle auf Holz umrüsten. "Der Aufwand hält sich in Grenzen", sagt Hartmut Spliethoff, Inhaber des Lehrstuhls für Energiesysteme an der Technischen Universität München. Die meisten großen Kohlekraftwerke würden mit einer Staubfeuerung funktionieren, die Kohle wird vor dem Verbrennen also zu feinem Staub gemahlen und dann in den Kessel geblasen. So entsteht ein feines Kohle-Luft-Gemisch, das besonders gut brennt. Für den Umstieg auf Holz brauche man andere Mühlen, so Spliethoff. An den Kesseln selbst müsse man dagegen nur wenig verändern.