Geschichte der Menschheit:Gesicht eines Denisova-Urmenschen rekonstruiert

Denisova-Urmensch

Porträt eines jugendlichen weiblichen Denisova-Urmenschen, das auf der Basis von einem Skelett-Profil und DNA-Merkmalen gemalt wurde.

(Foto: dpa)
  • Erstmalig haben Forscher allein aus dem Erbgut eines Frühmenschen seine Gestalt rekonstruiert.
  • Die Studie legt nahe, dass sich Neandertaler und Denisova-Menschen recht ähnlich waren.
  • Das neue Verfahren eignet sich sich jedoch nicht, um exakte Gesichter aus der DNA zu lesen.

Von Alexandra Föderl-Schmid und Kathrin Zinkant

Ein wenig ernst sieht das Mädchen auf dem Bild aus. Die dunkle Stirn ist leicht gerunzelt, der breite Mund etwas geöffnet. Große Zähne hatte das Kind, olivfarbene Haut und zottelige dunkle Haare. Die Augen sind mandelförmig und braun. Es ist kaum zu erkennen, dass es sich bei diesem etwas verwahrlosten Wesen nicht um einen modernen Menschen handelt, sondern um einen seiner zwei engsten, längst ausgestorbenen Verwandten. Das Porträt zeigt einen Denisova-Menschen, der vor etwa 50 000 Jahren von der Weltbühne verschwand. Das eigentlich Besondere an dem Bild aber ist: Es ist auf der Grundlage eines winzigen Knochenfragments entstanden.

Erstmals in der Geschichte haben Wissenschaftler allein aus Zehntausende Jahre altem Erbgut die Gestalt und das Antlitz einer ausgestorbenen Homo-Spezies rekonstruiert. Das Team um David Gokhman, der heute an der Stanford University forscht, und Liran Carmel von der Hebrew University in Jerusalem nutzte für seine Studie lediglich die verwitterte DNA aus dem Knochenstück eines Kinderfingers. Das Relikt war 2008 in der Denisova-Höhle in Sibirien gefunden worden.

Breitere Schultern, längere Finger oder ein fliehendes Kinn

Eine klassische Rekonstruktion anhand von Schädeln und Gebeinen wäre nicht möglich gewesen. Die Zahl der bestätigten Funde für diesen ausgestorbenen Menschenverwandten umfasst bislang nur wenige Zähne, den Teil eines Unterkiefers und das besagte Stück Knochen eines kleinen Fingers. Die israelischen Paläogenetiker entwickelten daher ein völlig neuartiges Verfahren, um aus der erblichen Information auf äußere Merkmale der Frühmenschen schließen zu können.

Dabei mag es zunächst fast trivial erscheinen, aus dem Erbgut etwas über Äußerlichkeiten zu erfahren - schließlich gilt das Erbgut eines Lebewesens als Bauplan, der naturgemäß auch die Gestalt bestimmt. Doch so einfach ist es nicht. Insbesondere bei eng verwandten Spezies wie Neandertalern, Denisova- oder modernen Menschen machen die Gene selbst meist kaum einen Unterschied aus.

Breitere Schultern, längere Finger oder ein fliehendes Kinn entstehen vielmehr dadurch, dass gleichermaßen vorhandene Gene im Vergleich weniger oder mehr aktiv sind. Erledigt wird dieser Modulierungsjob von der sogenannten Epigenetik, die auf vielfache Art regelt, wie häufig eine Erbinformation gelesen wird.

Dazu gehört vor allem die Methylierung von DNA. Dabei werden die Bausteine des Erbguts von der Zelle mit kleinen chemischen Anhängseln versehen, sie senken zumeist die Aktivität des Gens. Wenn auf Dauer sehr viele solche Anhängsel an einem Gen heften, werden sie auch vererbt. Und so entsteht zwar kein neues Gen, aber eine Eigenschaft, die alle Vertreter einer Art teilen.

Gokhman und Carmel haben sich diesen Umstand für ihre Arbeit umfänglich zunutze gemacht, denn seit einigen Jahren ist es möglich, auch aus sehr alter, beschädigter DNA zu lesen, welche Gene stark methyliert gewesen sein müssen. Vor zwei Jahren legten die israelischen Forscher erstmals sogenannte Methylierungskarten für das Erbgut von Neandertalern und Denisova-Menschen vor.

Für die aktuelle Studie mussten die Genetiker allerdings noch einiges mehr tun, denn selbst methylierte Erbanlagen verraten noch nichts über ihre Wirkung aufs Äußere - oder darüber, ob sie eine besondere Eigenschaft des Denisova-Menschen darstellen. Dazu muss bekannt sein, wie aktiv die betreffenden Gene bei anderen Menschenarten sind und welche Funktion sie haben. Erst der Vergleich mit mehr als 60 Genomen von Neandertalern, altertümlichen und heutigen Menschen kreiste jene Methylierungsmuster ein, die typisch für Denisova-Menschen sind.

"So könnte er ausgesehen haben"

Anschließend nutzte das Team eine Datenbank, in der unter anderem die Auswirkungen genetischer Veränderungen oder Defekte auf die Morphologie des menschlichen Skeletts oder des Schädels verzeichnet sind. Da ausgeschaltete oder wenig aktive Gene nach Auffassung von Gokhman und Kollegen ähnliche Effekte zeitigen wie defekte oder veränderte Gene, konnten sie den besonderen Methylierungen nun auch Eigenschaften zuordnen.

"So könnte er ausgesehen haben", sagte Liran Carmel am Donnerstag auf einer Pressekonferenz an der Universität in Jerusalem und zog mit einem Ruck das Tuch von einer nach den Forschungsergebnissen modellierten Büste des Denisova-Mädchens. Insgesamt fanden die Wissenschaftler 56 anatomische Eigenschaften, die im Vergleich mit denen der ausgestorbenen Menschenart und Neandertalern oder Menschen verschieden waren, 34 davon betreffen den Schädel. "Sie sind dem Neandertaler ähnlicher als dem modernen Menschen, aber sie haben eine flachere Stirn. Und sie haben einen sehr breiten Schädel", erklärte Carmel.

Die Forscher zeigten sich in Jerusalem sehr zuversichtlich, mit ihrem Resultat sehr nahe an der Wahrheit zu liegen, auch wenn diese nicht mehr zu überprüfen sein wird. Man habe die Genauigkeit der Methode jedoch an zwei eng verwandten Arten mit bekannter Anatomie getestet, nämlich am Neandertaler und am Schimpansen, sagte Carmel. "Das ergab eine Genauigkeit von 85 Prozent." Mit dieser Treffsicherheit sei man in der Lage gewesen, das anatomische Profil zu rekonstruieren.

"Mein Eindruck ist, dass die Schlussfolgerungen übertrieben sind"

Ganz so enthusiastisch sehen das andere Experten allerdings nicht. Der Paläogenetiker Ludovic Orlando von der Universität im französischen Toulouse hält die Idee der israelischen Kollegen zwar für clever, kritisiert jedoch Methodik und Schlussfolgerungen. "Wir können davon ausgehen, dass ein Teil der Methylierungsgruppen und damit Eigenschaften, die hier als spezifisch für Denisova-Menschen beschrieben werden, nur für dieses eine Individuum charakteristisch gewesen sind."

Welche das seien, wisse man aber nicht. Ein Problem bleibe, dass nur ein Denisova-Genom zur Verfügung stehe, aus dem sich Methylierungsdaten ableiten lassen, damit gestalte sich eine Generalisierung schwierig. Auch geschlechts- oder altersspezifische Unterschiede blieben deshalb unerkannt. "Man darf außerdem nicht vergessen, dass die äußeren Merkmale aus einer Datenbank abgeleitet wurden, die genetische Funktionsverluste in modernen Menschen beschreibt", ergänzt Orlando.

Wie sich die gleichen Veränderungen im Denisova-Menschen ausgewirkt hätten, könne man nicht mit Sicherheit sagen. "Mein Eindruck ist, dass die Schlussfolgerungen übertrieben sind." Der Experte für die Methylierung alter DNA hätte sich gewünscht, dass die Forscher die Methode erst an Frühmenschen erprobt hätten, für die mehr hochwertige Genome verfügbar sind.

Und so kann man vielleicht für das eine Mädchen aus der Denisova-Höhle sagen, dass sie aussah, wie Porträt und Büste es zeigen. Oder zumindest so ähnlich. Ob alle Denisova-Menschen ein solches Gesicht hatten, ob ihnen ein Kinn fehlte oder der Schädel flacher war als beim Neandertaler - man weiß es immer noch nicht genau. Aber vielleicht wird man es eines Tages wissen. Der neue Zweig der Paläoepigenetik steht ja erst am Anfang.

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