Medizinische Versorgung:Volle Praxis trotz Pandemie

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Deutschland leistet sich eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt. (Foto: Daniel Karmann/dpa)
  • Um das Coronavirus einzudämmen, sind Ärzte derzeit aufgerufen, alle nicht dringend notwendigen Behandlungen aufzuschieben.
  • In Bayern betrifft das etwa die Zahnärzte. Doch einige halten den Routinebetrieb dennoch aufrecht und bieten sogar Komfortbehandlungen wie Bleaching an.
  • Auch in Kliniken ist die Lage nicht so eindeutig.

Von Werner Bartens

Anruf beim Kieferorthopäden, um den Termin des Sohnes abzusagen. Alle paar Wochen wird die Zahnspange kontrolliert, manchmal nachjustiert. "Hier läuft es normal weiter, wir machen auch Routine", sagt die Mitarbeiterin. "Das Wartezimmer ist voll." Moment, war da nicht was? Deutschland Ende März, Politiker und Virologen befürchten, dass die große Infektionswelle bald kommt, im Land gilt Kontaktbeschränkung, um Zustände wie in Italien zu verhindern, überall fehlt Schutzausrüstung - trotzdem sagen Ärzte Routinetermine nicht ab, obwohl sie sich verschieben ließen? Verbrauchen noch dazu Schutzmasken, Handschuhe und Kittel, die anderswo dringender benötigt werden?

Offiziell heißt es im Schreiben der Bayerischen Landeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB) zwar, "wir bitten erneut darum, aufschiebbare Behandlungen auf die Zeit nach Ende der Schulschließung zu verschieben". Doch ist der nächste Satz nicht eine Relativierung? "Die Entscheidung darüber trifft in jedem Einzelfall der behandelnde Zahnarzt gemeinsam mit dem Patienten." Die Mehrzahl der Zahnärzte würde sich an die Empfehlungen halten, betont ein Sprecher der KZVB, "das sehen wir auch daran, dass Abrechnungszahlen spürbar zurückgehen". Die Behandlungstätigkeit ist demnach um etwa 80 Prozent reduziert worden, in Bayern haben sich mehr als 300 von 8000 Praxen vorübergehend abgemeldet - meist wegen Mangel an Schutzausrüstung oder Personal.

Manche Praxen machen weiter wie bislang, andere werden fast komplett heruntergefahren

Jedoch gehören Zahnärzte wie Ärzte zu den freien Berufen. "Deshalb können wir einem selbständigen Zahnarzt keine Vorschriften machen, nur dringende Empfehlungen aussprechen", sagt der KZVB-Sprecher. "Anordnungen müssten gegebenenfalls vom Staat kommen." Er appelliert an die Vernunft der Patienten. Manche Eltern, die jetzt zu Hause sind, würden sich wohl sagen: Ich habe frei, da gehe ich mit dem Kind doch zum Kieferorthopäden.

Gerade herrscht Durcheinander in der medizinischen Versorgung. Während sich Kliniken und Intensivstationen für den Ansturm der Infizierten rüsten und dabei oftmals nicht über genügend Schutzausrüstung verfügen, scheint in Arztpraxen und Ambulanzen jeder nach Gusto vorzugehen. Manche Augenärzte behandeln wie zuvor, Radiologen fertigen Röntgenaufnahmen zur Routine an, einige Zahnärzte bieten sogar weiterhin "Komfortbehandlungen" wie Bleaching an.

Andere Praxen werden hingegen fast komplett heruntergefahren und sagen allen Patienten ab, sofern sie keine Beschwerden oder Erkrankungen haben, die engmaschig betreut werden müssten. Die Spanne reicht von Wohlstandsmedizin bis zur Pandemie-Leere. Etliche Ärzte melden für ihre Praxis Kurzarbeit an, bei anderen könnte sich das noch halb gefüllte Wartezimmer zum Corona-Hotspot entwickeln.

Die Verbände der Fachärzte und Hausärzte haben sich am 23. März mit einem dringenden Appell "Die Lage ist ernst - Eindämmen, Eindämmen, Eindämmen" an die Doktoren gerichtet: "Bitte behandeln Sie jetzt nur noch Notfälle und führen Sie nur noch medizinisch absolut notwendige Untersuchungen, Behandlungen und Operationen durch! Alle aus medizinischen Gründen nicht zwingend erforderlichen Untersuchungen, Behandlungen und Operationen müssen verschoben werden. Wir müssen aktiv mithelfen, die Infektionskette zu unterbrechen!" Das ist deutlich, aber es gibt immer noch Ausreißer.

In Bayern sind 260 Praxen wegen des Coronavirus geschlossen

"Wir führen laufend Abfragen bei den Praxen durch", sagt Wolfgang Krombholz, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. "Aktuell haben in Bayern 260 Praxen aus Gründen von Corona geschlossen, davon zwei Drittel wegen Quarantäne-Maßnahmen. Weitere 1500 Praxen haben uns mitgeteilt, dass sie den Umfang ihrer Tätigkeiten deutlich reduziert haben, im Schnitt um 30 bis 50 Prozent." Zudem sei festzustellen, dass Patienten aufgrund der Ausgangsbeschränkungen sowie allgemeiner Verunsicherung seltener von sich aus Praxen aufsuchen.

Auch in Kliniken ist die Lage nicht so eindeutig. Zwar gilt laut Bekanntmachung des bayerischen Gesundheitsministeriums vom 19. März 2020, dass Krankenhäuser, "soweit medizinisch vertretbar, bis auf Weiteres alle planbaren Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen haben, um möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von Covid-19-Patienten freizumachen". Aber gerade die Klausel "soweit medizinisch vertretbar" ist dehnbar, und darauf berufen sich offenbar jene, die in Pandemiezeiten weitermachen. So kommen aus Kliniken Klagen, dass einzelne Abteilungen weiterhin Elektiveingriffe und Routinekontrollen vornehmen. Auf den Vorwurf, unsozial und aus Profitgier zu handeln, käme die Reaktion, dass Klinikbetten und OP-Kapazitäten ja noch nicht voll ausgelastet seien.

Manchmal gibt es allerdings auch zu viel Zurückhaltung: Aus einigen Unikliniken Bayerns wird berichtet, dass Krebspatienten trotz dringender Notwendigkeit, therapiert zu werden, ermutigt werden müssen, weiterhin in die Klinik zu kommen.

© SZ vom 01.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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