"Big Bombie!", ruft der Dorfbewohner, lässt seine Hände wie Düsenflugzeuge kreisen. Die Hände fliegen auseinander. "Boom!" Der Mann steht vor seiner Holzhütte und stellt den Indochinakrieg nach. Vor einem halben Jahrhundert krachte es hier gewaltig. US-Kampfpiloten bombardierten jahrelang den Flecken, auf dem heute sein Haus, sein Hühnerstall und eine Handpumpe steht, an der sich die Familie wäscht.
Jetzt streckt er das Überbleibsel des Luftkriegs, ein pechschwarzes Ding, stolz in die Luft. In seinen Händen hält der Bauer eine kleine, fiese 120-mm-Wurfgranate. Sie sieht ein wenig wie eine Aubergine aus und enthält wohl genug Sprengstoff, um fünf Menschen zu töten. Er streckt sie seinen Besuchern aus Deutschland entgegen. Mal anfassen, boom? Nein, danke. Die Fotografin ist bereits in Deckung gegangen. Warum denn bloß? Der Dorfbewohner kann es nicht fassen. Achselzuckend legt er die Bombe beiseite und beginnt summend, die Hühner zu füttern.
So ist das hier im Norden von Laos mit den Bomben: Alltag. Überall liegen sie, in den Feldern, Flüssen, auf den Berggipfeln. Wenn der Monsun kommt, weicht der Regen den Boden auf und die Sprengkörper wandern an die Oberfläche wie vergiftete Pilze. Im Nachbarort schmelzen sie das Altmetall ein und gießen Löffel daraus. Und die großen, mannsgroßen Torpedos, die einst über dem Himmel aufplatzten und die kleinen Granaten über dem Land verstreuten, sind begehrtes Baumaterial. Wenn man mit dem Motorrad über die kurvigen Straßen voller Schlaglöcher holpert, sieht man die Bombenteile gelegentlich in neuer Verwendung als Zaunlatten, Pfähle oder Futtertröge für Kühe. Es ist ein gefährliches Wirtschaftsmodell, denn viele der Kriegsreste sind noch scharf. Und es gibt eine Menge davon.
Wie ein Sack Konfetti, der aufplatzt
Nirgendwo auf der Welt schlummern so viele Blindgänger wie auf der "Ebene der Tonkrüge" in Nordlaos, zugleich eine der am wenigsten entwickelten Regionen der Welt. Wie viele es sind und wo sie liegen, weiß keiner genau. Sicher ist bloß: Von 1964 bis 1973 warfen US-Piloten etwa 270 Millionen Streubomben über Laos ab, diese Zahl hat das US-Nationalarchiv dokumentiert. Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit gingen 2,5 Millionen Tonnen Munition in dem bergigen Land nieder - mehr Bomben, als die Alliierten im Zweiten Weltkrieg auf Deutschland und Japan zusammen warfen.
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Große Bomben mit mehr als 100 Kilogramm Sprengstoff machten nur einen Teil davon aus, viel verheerender war der Abwurf von Clustermunition. Man kann sich das vorstellen wie einen Sack Konfetti, der aufplatzt. Die Bomber lassen einen großen Torpedo fallen, er enthält bis zu 900 Sprengkörper, jeder so groß wie eine Mandarine oder ein Apfel. Einige hundert Meter über dem Boden platzt die Schale auf und verstreut die Fracht in der Landschaft. Neun Jahre lang fiel im Schnitt fast jede Sekunde eine Streubombe auf Laos.
Und etwa jede dritte explodierte nicht.
Diese Blindgänger sind gefrorene Geschichte, die darauf wartet zu tauen. Und wenn es passiert, dann trifft es unbedarfte Menschen wie Phongsavath Manithong. Es ist sein 16. Geburtstag, als der Schüler vom Unterricht heimläuft und einer seiner Freunde etwas Rundes, Schwarzes auf dem Boden findet. Das glänzende Ding zieht sie an, niemand von ihnen hat so etwas je gesehen. Gib es mir, sagt Phongsavath. Sein Freund drückt ihm die Metallkugel in die Hand. Die Kugel explodiert, alles wird schwarz. Als er aufwacht, liegt er im Krankenhaus, er hat beide Hände verloren und ist blind. Die Bombe hat seine Hände zerfetzt, die Ärzte haben sie amputiert.
"Überall in meinem Körper war Schmerz, meine Arme fühlten sich an, als würden sie brennen", sagt Phongsavath. Der heute 22-Jährige umklammert mit den Unterarmen seinen Blindenstock. Er sitzt im gelben T-Shirt in einem Büro der Hilfsorganisation Handicap International in der Hauptstadt Vientiane und erzählt, wie sich seit dem Unfall alles verändert hat. Als er Wochen später in sein Dorf zurückkehrt, reagieren viele ablehnend. Er kann nicht mehr zur Schule gehen oder arbeiten. Kinder rennen schreiend davon, wenn sie Phongsavath über die Straße humpeln sehen.
Das Unwissen über die Gefahren ist groß. "Viele kleine Kinder wissen nicht, was sie da finden und spielen damit", sagt Phongsavath. Als Behinderter hat er es schwer in der buddhistischen Gesellschaft. Wer einen Unfall erleidet, erhält damit die Quittung für Untaten in einem früheren Leben, glauben die Menschen. Aus Scham verstecken viele Angehörige Kinder und Jugendliche, die eine Explosion zu Invaliden gemacht hat. Wie viel Schaden die Clusterbomben angerichtet haben, ist daher schwer zu ermitteln. Experten vermuten, dass die Bomben seit Ende des Krieges etwa 20 000 Laoten getötet haben, davon 8000 Kinder. Die Zahl der Schwerverletzten liegt deutlich höher.
"Laos ist exemplarisch, was Kriegshinterlassenschaften verursachen können", sagt der Freisinger Politikwissenschaftler Andreas Hofmann, der seit drei Jahren in Laos lebt und über Tourismus und Bomben promoviert. "Jedes Jahr, jeden Monat", passierten Unfälle, das Schlimmste sei die Ungewissheit. "Du weißt nicht wo sie liegen, wie tief sie liegen, ob sie noch funktionieren oder nicht." Viele Männer stoßen beim Umgraben des Gartens auf Kriegsmaterial oder bei der Feldarbeit. Frauen trifft es, wenn sie auf offenem Feuer kochen und die Wärme eine im Boden vergrabene Bombe aktiviert. Dass die Geschosse so ähnlich wie Früchte aussehen und Kinder zum Spielen und Werfen animieren, macht es nicht einfacher.
Zäune aus Bombenschrott: Auf der Hochebene der Tonkrüge in Laos verwandeln die Bewohner die Kriegsreste in nützliche Dinge.
Explosive Blindgänger in allen Formen lassen sich in Laos finden. Kinder halten sie häufig für Spielzeug.
Drei von vier Opfer von Landminen sind Zivilisten, schätzt die Hilfsorganisation Handicap International.
Aus dem Altmetall der Bomben schmieden Handwerker Löffel, Messer oder Stahlträger für den Hausbau.
Das schwere Erbe wird die Laoten wohl noch lange begleiten - obwohl man versucht, die Kriegsreste zu beseitigen. Circa 20 auf Bombenräumung spezialisierte Organisationen sind in Laos aktiv. "Feuerwerker" heißen diese Spezialisten, zu Fünft ziehen sie los, wenn ein Bauer eine Sprengladung entdeckt und Alarm geschlagen hat. Das verdächtige Feld teilen die Suchtrupps in Abschnitte von 25 auf 25 Meter ein, jeder startet auf seinem Quadrat rechts unten, dann arbeiten sie sich synchron vor - damit der Abstand zum Nachbarn im Falle eines Unfalls maximal groß ist. Zwischen einer und fünf Stunden brauchen sie für ein solches Planquadrat, die Hitze von oft über 40 Grad zwingt sie zu vielen Pausen.
Arbeit für Tausende Jahre
Spezialisten wie Karl-Heinz Werther koordinieren die Suchtrupps. "Wenn die Helfer ein Signal im Detektor bekommen, graben sie sich langsam heran und legen die Ladung frei", sagt der Bombenspezialist. Werther hat 18 Jahre lang auf dem Balkan und in Indochina Tausende Landminen und Clusterbomben vernichtet. Je älter die Ladungen, umso gefährlicher wird es. "Die Zünder werden mit der Zeit immer empfindlicher", sagt Werther. Anders als Antipersonen-Landminen folgen Streubomben zudem keinem Verlegeschema, das man mit der Zeit erkenne. Am Ende des Tages platzieren die Feuerwerker dann kleine TNT-Ladungen neben die freigelegten Blindgänger. "Und dann wird gezündet", sagt Werther. Seit 1994 haben Helfer wie er auf diese Weise wohl eine halbe Million Streubomben in Laos gesprengt. Eine halbe Million von insgesamt 80 Millionen. Ginge es in diesem Tempo weiter, man wäre im Jahr 5194 fertig.
Bis heute ist die Bombardierung von Laos ein dunkler Fleck in der US-Geschichte. Es ist verrückt, dass ein Staat mit weniger als sieben Millionen Einwohnern der am stärksten bombardierte der Welt ist. Wo im kollektiven Gedächtnis doch vor allem der Vietnamkrieg haften geblieben ist, dessen Ende sich diesen April zum 40. Mal jährt. Doch während die Welt nach Vietnam blickte, tobte im Nachbarland Laos ein geheimer Krieg. Im Süden bombardierten US-Kampfpiloten den Ho-Chi-Minh-Pfad, versteckte Wege in bergigem Gebiet, über die nordvietnamesische Kämpfer Nachschub Richtung Saigon schleusten. Im Norden, auf der Ebene der Tonkrüge, bekämpften die Amerikaner die Führer der "Pathet Lao", der kommunistischen Bewegung von Laos. Der US-Kongress erfuhr jahrelang nichts davon. Dabei sind die Spuren dieses Luftkriegs schon beim Anflug auf den Provinzflughafen Xieng Khouang unübersehbar. Die Landschaft sieht aus, als hätten die Pocken sie heimgesucht und überall kleine Krater hinterlassen.
Darunter gibt es kilometerlange Karsthöhlen, einige davon voller medizinischer Geräte, Schmerzmittel und Verbände. Jahrelang lebten die Kämpfer in den Höhlen, behandelten dort Verletzte, kochten Mahlzeiten, unterrichteten ihre Kinder im Halbdunkel. Auch die provisorische kommunistische Regierung tagte unterirdisch. Wenn die Piloten Pause machten, eilten die Bewohner rasch nach draußen um ihre Toten zu begraben - die vielen improvisierten Friedhöfe schimmern hell auf den Hügeln gegen das satte Gelb der Hochebene.
Was sollen die Überlebenden nun mit diesem Erbe anfangen? All die Bomben zu beseitigen, ist jedenfalls auf die Schnelle keine Option. "Es sind so viele da, dass sie Teil der Landschaft geworden sind", sagt der Politikwissenschaftler Andreas Hofmann. "Es ist kein Fremdkörper mehr, sondern Teil des Ökosystems. Wie Wasser, Steine, Bäume, Bomben." Viele Laoten sehen es ähnlich. Wenn man ein paar Kilometer aus der verschlafenen Provinzhauptstadt Phonsavan rausfährt, begegnen einem am Straßenrand kleine Trupps Einheimische, die Metalldetektoren bei sich tragen und damit in die Büsche schlüpfen.
Für diese mutigen Einheimischen sind die Bomben vor allem eine Erwerbsquelle. Das Wissen, wie die Blindgänger zu entschärfen sind, kursiert unter der Bevölkerung schon seit Jahrzehnten. "Die großen Bomben werden aufgesägt, der Sprengstoff herausgemeißelt", sagt Bombenexperte Werther. So eine große Fliegerbombe kann über 100 Kilogramm Altmetall hergeben, das wird dann für umgerechnet 20 Cent pro Kilo weiterverkauft. Ganze Dörfer leben davon, das Metall einzuschmelzen und neue Waren daraus herzustellen.
"Diese Leute sollten wir unterstützen"
Michael Boddington hat den Aufstieg der Bomben zu einem veritablen Wirtschaftsfaktor miterlebt. Der stämmige Brite kam 1994 als einer der ersten westlichen Entwicklungshelfer ins erzkommunistische Laos, heiratete eine Einheimische und wohnt jetzt am Stadtrand von Vientiane. "Die großen Bomben sind aus Qualitätsstahl gemacht", sagt Boddington. "Das macht sie extrem wertvoll." Der Entwicklungshelfer kann unzählige Geschichten von verunglückten Schrottsammlern erzählen - die Wirtschaft des Landes könne dennoch kaum auf sie verzichten. So nutzt etwa die lokale Baubranche das Altmetall, um daraus billige Stahlträger herzustellen. Der Rohstoff ist so gut wie unerschöpflich. "Wir haben eben nur die Blindgänger", sagt Boddington achselzuckend.
Unzählige Entminungstrupps hat Boddington selbst begleitet. Zwischen 100 und 250 Dollar koste es, eine einzige Streubombe kontrolliert zu sprengen. Die Kosten tragen internationale Geldgeber, auch die USA beteiligen sich seit einigen Jahren mit etwa neun Millionen Dollar pro Jahr. Zum Vergleich: Die Bombardierung selbst kostete das Militär inflationsbereinigt 17 Millionen Dollar pro Tag. Doch Boddington hat eine Idee, wie es günstiger und schneller ginge. Der Schlüssel liegt für ihn in der Zusammenarbeit mit den Schrottsammlern. "Sie verwenden sehr billige, vietnamesische Metalldetektoren, Mickey-Maus-Zeug", sagt Boddington. "Diese Leute sollten wir unterstützen, ihnen gutes Equipment geben und eine ordentliche Ausbildung." Das ließe sich mit einem Bruchteil der jetzigen Kosten bewerkstelligen, ist der Entwicklungshelfer überzeugt. Man müsste dann nur noch die Ausbildung organisieren - und der Wirtschaftskreislauf bliebe erhalten.
Dass die Bomben am Ende auch eine Chance sein könnten, zeigt sich auch im Tourismussektor. Weil die Natur von Bergbau und Industrie so gut wie unberührt und der Artenreichtum enorm ist, zieht das Land immer mehr Reisende an. Ein begehrtes Ziel ist ausgerechnet die Ebene der Tonkrüge, die so heißt, weil bis zu zwei Meter große Gefäße wild in der Landschaft verteilt sind, Überreste einer unbekannten Hochzivilisation, die hier vor 2000 Jahren in Blüte stand. Erst 2004 fing man an, Bomben an den archäologischen Stätten zu suchen und zu entschärfen, ein paar Jahre später konnten die ersten Touristen anreisen. Dann staunen die Reisenden über die Leistungen dieses unbekannten Volkes, das die tonnenschweren Steinklötze aus den Bergen bis zu 18 Kilometer hierhin bewegt hat. Und dürfen selbst keinen Meter vom vorgegebenen Pfad abweichen.