Artenvielfalt:Warum breitet sich die Mistel überall aus?

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Früher war es für Landwirte eine Frage der Ehre, die Misteln aus den Bäumen zu schneiden. Das ist lange her, heute verbreiten sie sich ungehindert wie an der Ifflandstraße in München. (Foto: Florian Peljak)

In den winterlich kahlen Baumkronen kann man überall Mistelnester entdecken. Das sieht hübsch aus, ist aber bereits eine Plage.

Von Vera Schroeder

Die Mistel ist ein auf Bäumen lebender Halbschmarotzer, den die meisten Menschen vor allem als wertvolle Zaubertrankzutat aus Asterixheften kennen, oder als Türschmuck im Advent: grüne Zweige mit weiß-glasigen Beeren dran. Im Moment reicht es aber auch, einfach in den Himmel zu schauen, oder genauer gesagt in die Baumwipfel, um Misteln zu sehen. Denn die Pflanzen breiten sich fast überall in Deutschland rasant aus. In der Landwirtschaft, aber auch im Naturschutz spricht man bereits von einer Plage.

Flächendeckende Daten fehlen zwar bisher, aber in manchen Regionen wurden in den vergangenen Jahren Zunahmen von Laub- oder Kiefermisteln von bis zu 30 Prozent beobachtet. Dazu zeigen Modellierungsstudien, wie sich das Verbreitungsgebiet weiter nach Norden und Osten und in die Berge hoch vergrößern könnte. "Für die Mistel läuft es gut", sagt Hanno Schaefer, Professor für Biodiversität an der TU München und auch privat mit Misteln verbunden: Als Kind versuchte er selbst noch, in den heimischen Streuobstbäumen Mistelsamen anzusäen. Heute schneidet er sie aus diesen Bäumen raus, ein Kampf, den er nicht zu gewinnen glaubt. Denn Misteln, die sich auf mehr als 400 Wirtsbaumarten niederlassen können, befallen besonders gerne alte oder durch Trockenstress geschwächte Bäume - und entziehen diesen dann Wasser und Nährstoffe, bis die Bäume irgendwann absterben.

Gründe für die rasante Ausbreitung gibt es mindestens zwei: Zum einen begünstigt der Klimawandel das Wachstum der Mistel in unseren Breiten, weil die immergrüne Pflanze, die durchgängig Photosynthese betreibt, relativ temperaturempfindlich ist, also keinen tiefen Frost mag und auch zum Auskeimen im Frühsommer eher wohlige Temperaturen braucht. Nachdem im Winter Vögel, meist Misteldrosseln, die klebrigen Beeren mit den Samen darin fressen und diese Samen über den Kot an den nächsten Baum quasi hinkleben, wartet dieser Samen dort auf den Frühling. Stimmt die Temperatur, keimt er aus und versucht, das Immunsystem des Baumes zu überwinden und mit ihm zu verwachsen - ein Prozess, der mehrere Jahre dauern kann.

Womit man beim zweiten Grund für die Ausbreitung wäre: Früher war es quasi eine Frage der Ehre für Menschen vor allem in der Landwirtschaft, Misteln sofort aus den Bäumen rauszuschneiden, um die Verbreitung zu stoppen. Wer das nicht machte, bekam es mit den Nachbarn zu tun. Zum Teil wurden die Äste auf Streuobstwiesen sogar im Winter mit groben Bürsten abgekämmt, um bereits die klebrigen Keime loszuwerden. Doch Streuobstwiesen sind in der Landwirtschaft nichts mehr wert. Die Pflege der Bäume lohnt sich wirtschaftlich nicht mehr, und eine neue Generation von Landwirten hat damit auch die mühsame Mistelbekämpfung in den vergangenen ein bis zwei Jahrzehnten weitgehend eingestellt. Ein realistisches Mittel gegen die Ausbreitung ist derzeit nicht bekannt.

"Als Wissenschaftler kann man sagen: Das ist spannend", sagt Hanno Schaefer, "aber beängstigend ist es auch." Immerhin: Dass Misteln irgendwann ungebremst die Welt überwuchern, ist nicht wahrscheinlich. Denn sie brauchen ja Bäume. Sterben die Bäume, stirbt auch die Mistel.

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