Endlager in Finnland:Im Labyrinth des Atommülls

August 17 2017 Olkiluoto Finland The demonstration tunnel approximately 420 meters underground

Das Tunnelsystem von Onkala ist derzeit insgesamt 60 Kilometer lang.

(Foto: imago)

Finnland baut das erste Endlager für hochradioaktiven Müll, ein Tunnelsystem unter der Halbinsel von Olkiluoto. Nicht alle glauben, dass es wie versprochen 100 000 Jahre hält. Ein Ortsbesuch.

Von Mauro Mondello, Eurajoki

Als Letztes wird dann die Frage stehen, wie man den Menschen noch in 100 000 Jahren zuverlässig Angst wird machen können. Am meisten Chancen hat derzeit wohl ein gelbes Dreieck mit einem Totenkopf vor überkreuzten Schienbeinknochen. Dahinter steht Hoffnung, dass dieses Zeichen auch in fernster Zukunft als Omen für das Böse verstanden wird. Obwohl, einige Stimmen halten das nicht für ausreichend. Sprache und Symbolik können sich über die Jahrtausende ändern. Und was wäre, wenn die Archäologen der Zukunft das Warnschild als überaus interessantes antikes Symbol verstehen - und erst recht anfangen zu buddeln? Schon heute lässt sich kein Ausgräber von Knochen und Schädeln abschrecken, im Gegenteil. Die Frage muss weiter diskutiert werden.

Was wird passieren, wenn in einigen Zehntausend Jahren die nächste Eiszeit kommt?

Es klingt etwas weit hergeholt, ist aber ein ernsthaftes Problem. Wie warnt man Menschen zukünftiger Generationen vor den Gefahren hochradioaktiven Mülls? Darüber denken die Mitarbeiter des Unternehmens Posiva nach, die seit 2004 in der Gemeinde Eurajoki auf der Halbinsel Olkiluoto an der Westküste Finnlands das erste Endlager für hochradioaktiven Atommüll weltweit errichten. Das Problem sollte bis 2025 gelöst werden, dann nämlich sollen die ersten Fässer mit dem Problemmüll eingelagert werden.

Schon jetzt kann man die laufenden Arbeiten besichtigen, drei Stunden Autofahrt von Helsinki entfernt. Es geht auf einem verlorenen, asphaltierten Streifen durch eine verträumte Bilderbuchlandschaft. Weite Birken- und Kiefernwälder, zwischen Dörfern aus Blockhütten liegen makellose Wasserstraßen. Bislang warnen die Straßenschild nur vor querenden Rentieren, bislang eine der größten Gefahren im skandinavischen Hinterland.

Der finnische Energieversorger TVO hat diesen Teil des Landes gewählt, um ein Atomkraftwerk zu errichten, das bereits zum heutigen Zeitpunkt mit zwei aktiven Reaktoren 16 Prozent des Strombedarfs des Landes deckt. 30 Prozent werden es sein, wenn EPR mit 1600 Megawatt ans Netz geht. Diesen Druckwasserreaktor baut das deutsch-französische Konsortium Areva und Siemens.

Schließlich ist das Sicherheitstor der Anlage erreicht, dahinter befindet sich nur noch ein einfaches Eisengitter. Dann eine Reihe von Lastwagen, dicht nebeneinander geparkt, vor einer Wand an Containern, in Grün oder Gelb. Nichts deutet darauf hin, was genau unterhalb dieser Parkfläche, in 500 Meter Tiefe, stattfindet.

Der Kleintransporter fährt über eine asphaltierte, abschüssige Straße bis zum Eingang von Onkalo, vielleicht 200 Meter lang, dann eine Rechtskurve, vor einem Rollgitter kommt er zum Stehen. Am Steuer sitzt der Geologe Eero Koponen. Er zieht eine kleine schwarze Fernbedienung, drückt eine Taste, und während das Gitter nach oben in den Stein rollt, öffnet sich der Blick auf einen Tunnelschacht mit schlammigem Boden. An seine Wänden sind geologische Hinweise und Markierungen geschrieben, eng nebeneinander verlaufen Belüftungsschläuche, und oben an der rechten Felswand ist eine Metallplatte montiert, von der aus Neonlampen den Weg erhellen.

Onkalo ist ein unterirdisches Tunnelsystem, ein Labyrinth mit 137 Wegen, Gesamtlänge 60 Kilometer. 30-köpfige Gruppen arbeiten ununterbrochen, sieben Tage die Woche, an der Aushöhlung des massiven und äußerst robusten Gesteins, oft muss gesprengt werden. Bei den Bohrungen entnehmen die Arbeiter regelmäßig Materialproben. Die Untersuchungen am Gestein sind fundamental, denn die Analyse erlaubt es, Risse zu identifizieren, durch die Wasser eindringen und mit den Brennelementen in Berührung kommen könnte.

Das soll der Ort werden, wo die strahlenden Überreste lagern können, für immer - oder zumindest bis zum Zeitpunkt ihrer Unschädlichkeit, der in 4000 Generationen erreicht sein wird. "Onkalo ist so konzipiert, dass es die nächsten 100 000 Jahre überdauern kann, sogar Eiszeiten übersteht", sagt Pasi Tuohimaa, Pressesprecher des federführenden finnischen Unternehmens Posiva.

August 17 2017 Olkiluoto Finland Construction work in Posiva s spent nuclear fuel repository O

Das massive, äußerst robuste Gestein wird mit schwerem Bohrgerät ausgehöhlt.

(Foto: imago)

Die Vorbereitungen für die Ewigkeit begannen bereits 1970. In den ersten zehn Jahren entwarfen die Ingenieure das Konzept und die erforderliche technische Struktur. Zwischen 1980 und 1992 untersuchten Geologen Dutzende Areale in ganz Finnland, im Jahr 2000 waren schließlich vier geeignete Orte gefunden: Romuvaara in der Provinz vom Kuhmo an der Westküste des Landes; Äänekoski in Mittelfinnland; Hästholmen in der Nähe von Loviisa, 90 Kilometer von Helsinki entfernt und bereits Standort zweier Reaktoren aus sowjetischer Herstellung, die seit 1980 in Betrieb waren, und schließlich Olkiluoto in der Provinz von Eurajoki. Die Entscheidung für Olkiluoto fiel zum einen, weil die geologische Unterschicht die größte Stabilität aufwies und der Ort sehr abgeschieden ist.

Dabei gab es durchaus auch kritische Stimmen, etwa die von Matti Sarnisto, dem ehemaligen Direktor des finnischen Instituts für Geologie. Der 65-Jährige hat mehrere Male betont, dass unvorhersehbar sei, was während oder nach der nächsten Eiszeit passieren wird, binnen weniger Zehntausend Jahre. Er wies darauf hin, dass der Boden einen beachtlichen Druck ausüben werde auf das Gestein und die Lagerstätte dadurch beschädigt werden könnte.

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