Süddeutsche Zeitung

Endlager in Finnland:Im Labyrinth des Atommülls

Finnland baut das erste Endlager für hochradioaktiven Müll, ein Tunnelsystem unter der Halbinsel von Olkiluoto. Nicht alle glauben, dass es wie versprochen 100 000 Jahre hält. Ein Ortsbesuch.

Von Mauro Mondello, Eurajoki

Als Letztes wird dann die Frage stehen, wie man den Menschen noch in 100 000 Jahren zuverlässig Angst wird machen können. Am meisten Chancen hat derzeit wohl ein gelbes Dreieck mit einem Totenkopf vor überkreuzten Schienbeinknochen. Dahinter steht Hoffnung, dass dieses Zeichen auch in fernster Zukunft als Omen für das Böse verstanden wird. Obwohl, einige Stimmen halten das nicht für ausreichend. Sprache und Symbolik können sich über die Jahrtausende ändern. Und was wäre, wenn die Archäologen der Zukunft das Warnschild als überaus interessantes antikes Symbol verstehen - und erst recht anfangen zu buddeln? Schon heute lässt sich kein Ausgräber von Knochen und Schädeln abschrecken, im Gegenteil. Die Frage muss weiter diskutiert werden.

Was wird passieren, wenn in einigen Zehntausend Jahren die nächste Eiszeit kommt?

Es klingt etwas weit hergeholt, ist aber ein ernsthaftes Problem. Wie warnt man Menschen zukünftiger Generationen vor den Gefahren hochradioaktiven Mülls? Darüber denken die Mitarbeiter des Unternehmens Posiva nach, die seit 2004 in der Gemeinde Eurajoki auf der Halbinsel Olkiluoto an der Westküste Finnlands das erste Endlager für hochradioaktiven Atommüll weltweit errichten. Das Problem sollte bis 2025 gelöst werden, dann nämlich sollen die ersten Fässer mit dem Problemmüll eingelagert werden.

Schon jetzt kann man die laufenden Arbeiten besichtigen, drei Stunden Autofahrt von Helsinki entfernt. Es geht auf einem verlorenen, asphaltierten Streifen durch eine verträumte Bilderbuchlandschaft. Weite Birken- und Kiefernwälder, zwischen Dörfern aus Blockhütten liegen makellose Wasserstraßen. Bislang warnen die Straßenschild nur vor querenden Rentieren, bislang eine der größten Gefahren im skandinavischen Hinterland.

Der finnische Energieversorger TVO hat diesen Teil des Landes gewählt, um ein Atomkraftwerk zu errichten, das bereits zum heutigen Zeitpunkt mit zwei aktiven Reaktoren 16 Prozent des Strombedarfs des Landes deckt. 30 Prozent werden es sein, wenn EPR mit 1600 Megawatt ans Netz geht. Diesen Druckwasserreaktor baut das deutsch-französische Konsortium Areva und Siemens.

Schließlich ist das Sicherheitstor der Anlage erreicht, dahinter befindet sich nur noch ein einfaches Eisengitter. Dann eine Reihe von Lastwagen, dicht nebeneinander geparkt, vor einer Wand an Containern, in Grün oder Gelb. Nichts deutet darauf hin, was genau unterhalb dieser Parkfläche, in 500 Meter Tiefe, stattfindet.

Der Kleintransporter fährt über eine asphaltierte, abschüssige Straße bis zum Eingang von Onkalo, vielleicht 200 Meter lang, dann eine Rechtskurve, vor einem Rollgitter kommt er zum Stehen. Am Steuer sitzt der Geologe Eero Koponen. Er zieht eine kleine schwarze Fernbedienung, drückt eine Taste, und während das Gitter nach oben in den Stein rollt, öffnet sich der Blick auf einen Tunnelschacht mit schlammigem Boden. An seine Wänden sind geologische Hinweise und Markierungen geschrieben, eng nebeneinander verlaufen Belüftungsschläuche, und oben an der rechten Felswand ist eine Metallplatte montiert, von der aus Neonlampen den Weg erhellen.

Onkalo ist ein unterirdisches Tunnelsystem, ein Labyrinth mit 137 Wegen, Gesamtlänge 60 Kilometer. 30-köpfige Gruppen arbeiten ununterbrochen, sieben Tage die Woche, an der Aushöhlung des massiven und äußerst robusten Gesteins, oft muss gesprengt werden. Bei den Bohrungen entnehmen die Arbeiter regelmäßig Materialproben. Die Untersuchungen am Gestein sind fundamental, denn die Analyse erlaubt es, Risse zu identifizieren, durch die Wasser eindringen und mit den Brennelementen in Berührung kommen könnte.

Das soll der Ort werden, wo die strahlenden Überreste lagern können, für immer - oder zumindest bis zum Zeitpunkt ihrer Unschädlichkeit, der in 4000 Generationen erreicht sein wird. "Onkalo ist so konzipiert, dass es die nächsten 100 000 Jahre überdauern kann, sogar Eiszeiten übersteht", sagt Pasi Tuohimaa, Pressesprecher des federführenden finnischen Unternehmens Posiva.

Die Vorbereitungen für die Ewigkeit begannen bereits 1970. In den ersten zehn Jahren entwarfen die Ingenieure das Konzept und die erforderliche technische Struktur. Zwischen 1980 und 1992 untersuchten Geologen Dutzende Areale in ganz Finnland, im Jahr 2000 waren schließlich vier geeignete Orte gefunden: Romuvaara in der Provinz vom Kuhmo an der Westküste des Landes; Äänekoski in Mittelfinnland; Hästholmen in der Nähe von Loviisa, 90 Kilometer von Helsinki entfernt und bereits Standort zweier Reaktoren aus sowjetischer Herstellung, die seit 1980 in Betrieb waren, und schließlich Olkiluoto in der Provinz von Eurajoki. Die Entscheidung für Olkiluoto fiel zum einen, weil die geologische Unterschicht die größte Stabilität aufwies und der Ort sehr abgeschieden ist.

Dabei gab es durchaus auch kritische Stimmen, etwa die von Matti Sarnisto, dem ehemaligen Direktor des finnischen Instituts für Geologie. Der 65-Jährige hat mehrere Male betont, dass unvorhersehbar sei, was während oder nach der nächsten Eiszeit passieren wird, binnen weniger Zehntausend Jahre. Er wies darauf hin, dass der Boden einen beachtlichen Druck ausüben werde auf das Gestein und die Lagerstätte dadurch beschädigt werden könnte.

"In der Auswahl des Lagers", widerspricht Posiva, "haben wir die seismischen Risiken des Areals untersucht wie auch die möglichen Folgen einer zukünftigen Eiszeit, in der eine Eisschicht von zwei Kilometer Dicke ganz Finnland bedecken könnte. Unseren Untersuchungen zufolge wird die Vergletscherung nicht bis zur Tiefe von Onkalo durchdringen. Es war notwendig, ein stabiles Areal zu finden, eine Gesteinsplatte, die bei seismischen Bewegungen nicht bricht: Die Insel von Olkiluoto ist dahingehend ideal." Auch die finnische Strahlenschutzbehörde Stuk hat Onkalon nie infrage gestellt, obwohl einige ihrer Experten Zweifel an der Abdichtung der Müllbehälter formuliert hatten.

Vielleicht gab den Ausschlag für diesen Standort aber auch die lokale Bevölkerung, die sich in einer Abstimmung zu dem Projekt bekannte. Das ist vor allem ein Verdienst der TVO, die mit dem Kraftwerk den größten Arbeitgeber der Region stellt und mit ihren Steuerzahlungen der Gemeinde fast ein Drittel des jährlichen Budgets von 60 Millionen Euro einbringt. "Das Atomzentrum ist die Grundlage unserer regionalen Wirtschaft, es ist hier seit 40 Jahren und hat sich immer als absolut sicher erwiesen. Ich bin sicher, dass das Gleiche für das Lager von Onkalo gilt", sagt Vesa Lakaniemi, Bürgermeister von Eurajoki: "Posiva und TVO investieren außerdem viele Mittel, um ein Kommunikationsprojekt weiterzuentwickeln, das die Lokalbevölkerung konstant und ausreichend informiert. Auf diese Weise sind alle beruhigt, die Menschen haben Vertrauen, und das Projekt bleibt unter Kontrolle."

Die parlamentarische Abstimmung, die im Mai 2001 endgültig freie Fahrt für die Einrichtung des Lagers gab und im Ergebnis 159 Stimmen dafür und drei dagegen hatte, wurde von Posiva immer als eindeutiges Zeugnis dafür angebracht, dass das 3,5 Milliarden Euro teure Vorhaben von der Gesellschaft gewünscht wird.

Zunächst müssen die Brennstäbe bis zu 20 Jahre lang abkühlen

So ist es nun recht wahrscheinlich, dass in sieben Jahren der erste hoch radioaktive Müll in Onkalo eingelagert wird, die letzte Einlagerung soll voraussichtlich im Jahr 2100 erfolgen: Müll aus den drei örtlichen Reaktoren und einem weiteren Kraftwerk der Gesellschaft Fortum an der südöstlichen Küste des Landes. Insgesamt soll Onkalo 6500 Tonnen Atommüll aufnehmen.

Die abgebrannten Brennstäbe werden allerdings erstmals zehn bis 20 Jahre in Abklingbecken abgekühlt, dann in 25 Tonnen schweren Transportbehältern aus Gusseisen oder Eisen gebündelt. Diese Behälter sind mit Kupfer ummantelt und werden in Kammern gelagert, die mit Bentonit aufgefüllt sind, einem tonhaltigen Material, das in Vulkanböden als Verwitterungsprodukt der Asche entsteht. Es handelt sich um eine Art geologische Katzenstreu: Das Betonit absorbiert eindringendes Wasser und verklumpt. Zusätzlich werden die Kammern mit Zementblöcken versiegelt. Mindestens 3000 Transportbehälter sollen hier lagern, jeder von ihnen mit fünf Meter Länge und einem Fassungsvermögen von ungefähr zwei Tonnen nuklearem Brennmaterial.

In den letzten zwei Milliarden Jahren hat sich in dem Granit relativ wenig getan

"Theoretisch reichen 1000 Jahre, um die Radioaktivität in bedeutendem Maße zu reduzieren. Wir haben allerdings beschlossen, eine Lösung zu finden, mit der die Problematik endgültig aus dem Weg geschaffen wird", sagt Pressesprecher Tuohimaa: "Der Granitstein hat in einem Zeitraum von zwei Milliarden Jahren nur sehr wenige Veränderungen gezeigt. Ausgehend von Simulationen können wir also davon ausgehen, dass - auch im Falle eines Erdbebens - der Anteil an Radioaktivität, der aus dieser Tiefe an die Oberfläche tritt, nur geringfügig sein wird."

Und außerdem: Keiner der Kritiker hat bislang eine alternative Lösung zur Endlagerung vorgestellt. Und so beabsichtigt Posiva seine in Onkalo erworbenen Kompetenzen in Zukunft auch in anderen Ländern anzubieten. Schließlich hat bis heute keine Nation eine andere Idee für die langfristige Entsorgung von Atommüll gefunden. Auch Deutschland wird bis 2080, wenn die letzten Kernkraftwerk vom Netz gehen, Platz finden müssen für rund 28 100 Kubikmeter hochradioaktiven Atommüll.

Momentan wird der Müll in temporären Strukturen in der Nähe der sieben noch aktiven Kraftwerke gelagert. Mit 1365 Megawatt ist Essenbach in Bayern das leistungsstärkste des Landes, es soll im Dezember 2022 abgeschaltet werden. Außerdem lagert Müll auf den Deponien von Ahaus (NRW), Gorleben (Niedersachsen) und Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern). Zusätzlich muss Deutschland bis 2080 weitere 60 000 Kubikmeter mittel- oder schwachradioaktiven Müll entsorgen. So sieht es aus, das radioaktive Erbe einer Epoche, die nachwirken wird: Es ist Müll für die Ewigkeit.

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SZ vom 03.11.2018
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