Archäologie:In den Knochen der Römer

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Was Forscher alles aus jahrtausendealten Skeletten herauslesen können: Speisepläne, Wanderrouten und soziale Strukturen. Die Daten öffnen ein Tor in längst verschwundene Welten.

Von Hubert Filser

Die Arbeiter im Hafen von Rom, waren einfache Leute, aber sie ernährten sich lange Zeit gut. Sie tranken Wein aus Nordafrika und aßen Fleisch, Fisch, Olivenöl und Weizen aus dem Mittelmeerraum - bis die Vandalen im 5. Jahrhundert kamen und Rom plünderten. Danach änderte sich ihr Leben dramatisch. Die Arbeiter mussten mit Gemüse und kargen Eintöpfen vorliebnehmen. "Es war eine einfache bäuerliche Ernährung", sagt die Archäologin und Chemikerin Tamsin O'Connell von der Universität Cambridge.

Sie weiß das, weil auch sie ein Verfahren nutzt, das in den vergangenen Jahren in der Archäologie, der Anthropologie und auch in der Forensik große Bedeutung gewonnen hat. Mit der sogenannten Isotopenanalyse werden Atomarten - eben stabile Isotope - verschiedener chemischer Elemente wie Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Strontium, Zink oder Schwefel in alten Skeletten nachgewiesen. "Die Isotopenanalyse funktioniert nach dem Prinzip, dass man ist, was man isst", erklärt O'Connell.

Sie informiert nicht nur über die Speisepläne der Vergangenheit. Denn was Menschen und Tiere einst über Nahrung und Wasser aufnahmen und in Knochen, Zähne und Haare einbauten, liefert auch Informationen darüber, woher Menschen stammten oder wie die sozialen Strukturen einer Gesellschaft aussahen. Die Daten öffnen ein Tor in längst verschwundene Welten.

Lange Zeit ernährten sich die Hafenarbeiter so wie die wohlhabenden Bürger

Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus florierte der Hafen von Rom und war danach mehr als vier Jahrhunderte lang das Tor der mächtigen Stadt zur Welt. Die Saccarii, die körperlich hart arbeitenden Sackträger, verluden wichtige Güter, die dort aus dem Ausland ankamen: Nahrungsmittel, Marmor für die Prachtbauten, Kunstgegenstände, Luxusartikel, ja sogar wilde Tiere für Spektakel im Kolosseum.

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Die einfachen Arbeiter profitierten im 1. Jahrhundert vom allgemeinen Wohlstand, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin Antiquity. Die Isotopendaten zeigen eine hochwertige Ernährung an, auch mit tierischen Produkten. Sie ernährten sich ähnlich wie die wohlhabenden Bürger, die auf dem Friedhof von Isola Sacra begraben wurden. "Soziale Unterschiede zwischen Arbeitern und reichen Bürgern können wir anhand der Begräbnissituation erkennen", sagt O'Connell.

Die britischen Anthropologen werteten Kohlenstoff- und Stickstoffisotope aus dem Kollagen der Knochen und dem Zahnschmelz aus - und zwar von Individuen aus unterschiedlichen Jahrhunderten. Kohlenstoffisotopen-Analysen erzählen den Forschern zum Beispiel etwas über die Pflanzen, die ein Mensch isst. Sogenannte C3-Pflanzen wie Weizen, Roggen, Hanf, Hafer oder Reis lassen sich im Signal gut von C4-Pflanzen wie Hirse, Mais, Zuckerrohr oder Amarant unterscheiden.

Aufgrund ihrer unterschiedlichen Masse reichern sich die verschiedenen Isotope eines Elements nämlich je nach Umgebung und Ernährung in unterschiedlichem Maße im Körper an. Das Verhältnis von leichten und schweren Isotopen können die Forscher dann im Massenspektrometer messen und mit Standardwerten vergleichen. Die Daten zeigen auch an, ob Menschen Fische oder andere Tiere und Pflanzen zu sich nahmen. So erhalten die Wissenschaftler eine erste grobe Spur.

Eine kritische Phase in der Geschichte des kaiserlichen Roms

Verwendet man zusätzlich die Stickstoffwerte, wird das Bild noch klarer. Sie sind Indikatoren für die sogenannte trophische Ebene eines Organismus, also seine Position in der Nahrungskette. Fleischfresser haben höhere Werte als Pflanzenfresser. Menschen verfügen über einen etwas höheren Stickstoffisotopenwert als an denselben Orten lebende tierische Fleischfresser wie Hyänen, Wölfe und Füchse. Die höchsten Stickstoffwerte wiederum haben Fische und andere Meereslebewesen. Vergleicht man die Werte von Menschen an einem Ort, ergeben sich daraus Hinweise auf die relative Bedeutung von tierischen und pflanzlichen Proteinen in ihrer Ernährung und den Konsum von Fisch.

So kamen die Forscher dem grundlegenden Wandel im Hafen von Rom auf die Spur. Bei Überresten von Arbeitern ab dem 5. Jahrhundert veränderten sich nämlich schlagartig die Stickstoff- und Kohlenstoffwerte. Die Saccarii ernährten sich nun offenbar hauptsächlich von Bohnen und Linsen, bei den wohlhabenderen Bürgern blieb die einstige Vielfalt erhalten. Ausgrabungen zeigen zugleich, dass das Hafenbecken damals versandete. Es war eine kritische Phase in der Geschichte des kaiserlichen Roms. Die Bevölkerungszahl ging zurück.

Dann kam mit der teilweisen Zerstörung des Hafens und der Stadt durch die Invasion der Vandalen im Jahr 455 n. Chr. der entscheidende Schlag. Politische Veränderungen könnten also die Ernährungssituation geprägt haben, so Tamsin O'Connell. "Als Rom reich war, war jeder, von der lokalen Elite bis zu den Hafenarbeitern gut ernährt. Dann kommt dieser große politische Bruch, und zumindest den Handarbeitern geht es nicht mehr so gut wie früher."

Natürlich sind die Ergebnisse nicht immer eindeutig. Die Technik liefert keine absoluten Werte, die unabhängig von Region und Zeit einem bestimmten Ernährungsprofil zuzuordnen sind. O'Connell findet es wichtig, das lokale Nahrungsnetz und alle archäologischen Informationen auszuwerten. Hat man beispielsweise in den Knochen der Arbeiter ein klares Signal für C3-Pflanzen und gleichzeitig Hinweise auf Bohnen und Linsen im archäologischen Befund, ist das Ergebnis klar.

Bisweilen liefern auch historische Quellen spannende Hinweise. So geschehen, als die Anthropologin Sandra Lösch von der Universität Bern die Überreste römischer Gladiatoren aus einem antiken Friedhof nahe Ephesus in der heutigen Türkei untersuchte. In seiner "Naturalis Historia" beschrieb nämlich der Geschichtsschreiber Plinius der Ältere gegen 77 n. Chr. ein Getränk aus Ofenasche, das im Leben der Gladiatoren eine Rolle spiele.

Diese erhielten es angeblich nach Kämpfen und möglicherweise auch während ihrer Ausbildung, um Schmerzen zu lindern. Und tatsächlich: "Die erhöhte Konzentration bestimmter Spurenelemente weist auf einen Aschetrunk hin", sagt Lösch. Die Isotopenanalyse zeigte außerdem, dass die Kämpfer vornehmlich Gerste und Weizen aßen, was laut Lösch auf einen niedrigen sozialen Status deutet.

Doch auch wenn schriftliche Quellen fehlen, lassen sich bisweilen aus Isotopendaten soziale Strukturen ablesen, etwa bei den Toten aus dem keltischen Gräberfeld von Münsingen-Rain nahe Bern aus dem 5. bis 3. Jahrhundert v. Christus. Die Menschen dort ernährten sich hauptsächlich von C3-Pflanzen, vermutlich von Getreide. Auffällig war jedoch, dass die Männer deutlich mehr Fleisch aßen als die Frauen. "Fleisch war Individuen in höheren sozialen Stellungen vorbehalten", sagt Lösch. Zudem waren einige Männer mit Waffen bestattet, was auf einen höheren sozialen Status hinweist - und genau jene hatten die höchsten Stickstoffisotopenverhältnisse.

Bei einzelnen Individuen lassen sich ganze Lebensgeschichten rekonstruieren

Zudem belegten die Isotopenanalysen, dass die Münsinger Kelten wie viele frühe Gesellschaften patrilokal organisiert waren. Die Männer kamen wohl vorwiegend aus der näheren Umgebung, darauf deuten die für die Region typischen Schwefel-Isotope. Die Frauen hingegen waren zugewandert. Lösch folgert: "Wir beantworten geisteswissenschaftliche Fragestellungen mit naturwissenschaftlichen Methoden."

Patrilokalität konnten Forscher unter Leitung des Münchener Archäologen Philipp Stockhammer auch bei Skeletten der Bronzezeit aus Süddeutschland nachweisen. Corina Knipper vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim zeigte hier anhand von Strontium-Isotopen, dass die Mehrheit der Frauen im Lechtal vor 4000 Jahren aus Böhmen oder Mitteldeutschland kam, während die Männer zumeist aus der Region stammten.

"Wir denken, dass die Mobilität der prähistorischen Frauen die Antriebskraft für regionale und überregionale Kommunikation war", sagt auch Sandra Lösch. So konnte ein Austausch von Wissen und Technologie stattfinden, der am Ende der Steinzeit zur Verbreitung neuer Metalle wie Bronze und Eisen führte.

Bei einzelnen Individuen lassen sich ganze Lebensgeschichten rekonstruieren. Zahnschmelz wird nur in der Kindheit und Jugend gebildet, dort gespeicherte Isotope verraten etwas über den Aufenthaltsort in jungen Jahren. Knochen beinhalten Informationen über die letzten zehn bis zwanzig Jahre, die Haare speichern das letzte Jahr. Ein berühmter Fall war etwa das 17-jährige Mädchen von Egtved, das vor 3400 Jahren zwischen Dänemark und dem Schwarzwald pendelte. Diese Information hatte das Strontium-Signal aus den Haaren geliefert. Strontium ist im Wasser enthalten, die je nach Gegend unterschiedlichen Isotope lagern sich in Haaren und Fingernägeln ab.

Natürlich gibt es auch Kritik an der Methode. Nicht immer liegen ausreichend Daten vor, die Aussagekraft hängt oft von Vergleichsdaten ab. Fehlen diese, wird die Interpretation eher eine Glaubenssache. Der Mainzer Paläogenetiker Joachim Burger hält vor allem die Strontium-Methode für überschätzt. "Meines Erachtens kommt sie nur infrage, wenn man eine klare Hypothese zur Herkunft einer Person hat und wissen will, ob diese stimmen kann", sagt Burger. Für generelle Screens taugt sie nicht." So ordnet auch Karin Margarita Frei, Archäologin am Dänischen Nationalmuseum, ihre Ergebnisse hinsichtlich der Herkunft des Mädchens von Egtved ein: "Natürlich gibt es beim Landschafts-Signal Unsicherheiten. Wir bräuchten prinzipiell noch bessere Strontium-Isotopen-Karten, für das Egtved-Mädchen sind die Signale aber relativ klar."

Je weiter man zurück in der Zeit reist, desto komplizierter wird die Datenerhebung und -interpretation. Ein besonders komplexer Fall ist die kontrovers diskutierte Ernährungsweise der Neandertaler. Seit Jahren tobt ein Streit, ob diese nur Fleisch oder auch Gemüse und Fisch zu sich nahmen. Je mehr Nahrungsquellen infrage kommen, desto schwieriger ist es, diese exakt auseinander zu halten.

Die Neandertaler-Frau aß vermutlich Pferde- und Rentierfleisch

Die Diskussion bekam in diesem Frühjahr neuen Schwung anhand zweier später Neandertaler aus den Höhlen Les Cottés und Grotte du Renne in Frankreich. Zunächst hatte das Forscherteam um Klervia Jaouen vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig bei den Neandertalern (einer Frau und einem Baby) außergewöhnlich hohe Stickstoffisotopenwerte gemessen, was traditionell als Konsum von Süßwasserfisch interpretiert wird. Doch an keiner der beiden Grabungen waren archäologische Überreste von Fischen entdeckt worden. Die Forscher waren irritiert. Sie wendeten daher eine neuartige, verfeinerte Technik an, die auf Ebene der Moleküle ansetzt.

Die sogenannte "Compound specific isotope analysis" (CSIA) untersucht nicht das gesamte Kollagen im Knochen, sondern in einem aufwendigen Prozess Aminosäuren wie etwa Phenylalanin oder Glutaminsäure. So lassen sich mehr Umwelt- und Einflussfaktoren berücksichtigen, um das Ernährungsverhalten zu rekonstruieren. Nach Ansicht von Jaouen lieferte die Methode eine eindeutige Antwort: "Die Neandertalerin von Les Cottés war eine Fleischfresserin, die sich fast ausschließlich von landlebenden Säugetieren ernährt hatte."

Sogar die Hauptnahrungsquelle konnten die Forscher ermitteln. Da sich die Stickstoffisotopen-Zusammensetzung einer Aminosäure nicht wirklich zwischen einem Fleischfresser und seiner Beute ändert, suchten die Forscher nach Tieren, die ähnliche Phenylalanin-Werte wie die Neandertaler aufweisen. Dies war bei Rentieren und Pferden aus der Umgebung der Fall - offenbar die Hauptbeutetiere.

Noch etwas unklar ist es, was das Neandertaler-Baby aus der Grotte du Renne zu sich nahm. Die Isotopendaten deuten durchaus auf Wassergetier. "Man könnte also denken, dass das Baby ein wenig Fisch gegessen hat", sagt Jaouen. "Wir glauben aber, dass das Signal vom Stillen kommt, da sieht es so aus, als würden die Kinder ihre Mütter essen."

© SZ vom 31.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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