Umwelt:Geologen lehnen "Anthropozän" als neue Epoche ab

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Luftaufnahme des Crawford-Sees in Kanada. (Foto: PETER POWER/AFP)

Verändert der Mensch die Erde so massiv, dass längst ein neues Zeitalter angebrochen ist? Ein entsprechender Vorschlag ist nun überraschend gescheitert - die Konsequenzen sind unklar.

Von Christoph von Eichhorn

Hat der Mensch die Erde so tiefgreifend verändert, dass er ein eigenes geologisches Zeitalter losgetreten hat, das Anthropozän? Seit mehr als 20 Jahren streiten Wissenschaftler über diese Frage, nachdem der Nobelpreisträger Paul Crutzen im Jahr 2002 angesichts des Klimawandels erstmals eine solche Epoche gefordert hatte.

Nun haben die Bemühungen um das Anthropozän jedoch einen erheblichen Rückschlag erlitten. Wie am Dienstag bekannt wurde, stimmte eine Gruppe von Geologen gegen eine Definition des Anthropozäns als neue erdgeschichtliche Epoche, und zwar überraschend deutlich mit zwölf zu vier Stimmen. Ob der Vorschlag damit noch eine Chance hat, ist derzeit unklar.

Zwar zeigt sich der Einfluss des Menschen auf den Planeten in vielerlei Hinsicht überdeutlich: Die stark steigenden globalen Temperaturen, der wachsende Berg an Plastikmüll oder der sich beschleunigende Verlust der Artenvielfalt sind dafür nur einige von vielen Beispielen.

Erst kürzlich gab es einen Durchbruch - nun folgt Enttäuschung

Trotzdem reichen diese Veränderungen für sich genommen nicht aus, um eine neue erdgeschichtliche Epoche zu definieren. Dafür muss sich der Einfluss des Menschen auch mit geologischen Methoden im Boden nachweisen lassen. Und das nicht nur heute, sondern auch in Tausenden oder gar Millionen Jahren - so wie sich in einer gewissen Tiefe praktisch überall auf der Welt Spuren des Asteroideneinschlags finden lassen, der einst die Dinosaurier auslöschte.

Den Versuch einer Definition hatte seit 2009 die "Anthropocene Working Group" (AWG) unternommen, eine Arbeitsgruppe der Internationalen Union der Geowissenschaften (IUGS). Nach jahrelanger Diskussion gab es im vergangenen Jahr einen Durchbruch: Die AWG einigte sich darauf, den Crawford-See in Kanada als eine Art Kronzeugen des Anthropozäns aufzurufen. Nach Ansicht der Forscher zeigt sich in diesem recht isolierten See in der Nähe von Toronto der anthropogene Einfluss überdeutlich: So lagert sich am Grund des Sees beständig Flugasche aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe ab wie in einem planetaren Archiv. Etwa vom Jahr 1950 an finden sich zudem Spuren von Plutonium, Überreste von Atombomben-Versuchen aus jener Zeit. Da diese radioaktiven Stoffe besonders lange Zeiträume überdauern, war Plutonium als "primärer Marker" für das Anthropozän vorgesehen. Ausgehend von solchen Spuren hätte der Beginn der neuen Epoche dann auch anderswo auf der Welt nachgewiesen werden können.

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Über den Vorschlag der Anthropozän-Arbeitsgruppe sollten ursprünglich mehrere andere Gremien nacheinander abstimmen, bis hinauf zur IUGS als Ganzes. Doch nun hat sich bereits die nächsthöhere Ebene gegen den Vorschlag gestellt, die "Unterkommission für Stratigraphie des Quartärs" (SQS). Als Quartär bezeichnen Geowissenschaftler den jüngsten Zeitabschnitt der Erdgeschichte seit 2,6 Millionen Jahren. Dazu zählt auch das seit rund 11 000 Jahren andauernde "Holozän", die aktuelle Epoche.

Warum der Vorschlag nun auf breite Ablehnung stieß, ist schwer zu beurteilen. Denkbar ist, dass einige aus dem 18-köpfigen SQS-Gremium den Crawford-See für ungeeignet halten, um das Anthropozän dort nachzuweisen, oder Plutonium als primären Marker - oder die 1950er als vorgeschlagenen Start der neuen Epoche. "Der Einfluss des Menschen reicht viel tiefer in die geologische Zeit zurück. Wenn wir das ignorieren, ignorieren wir die wahren Auswirkungen, die der Mensch auf unseren Planeten hat", sagte Mike Walker, ein Ausschussmitglied und Honorarprofessor an der Aberystwyth University in Wales, der New York Times. Ähnlich äußerte sich Jan Piotrowski, ein Geologe von der Universität Aarhus, in der Zeitung: "Was geschah zur Zeit des Beginns der Landwirtschaft? Was ist mit der industriellen Revolution? Was ist mit der Besiedlung Amerikas und Australiens?" Die vorgeschlagene Definition schränke die Bedeutung des Anthropozäns zu sehr ein, so Piotrowski.

Wie es nun weitergeht, ist bislang unklar. "Unabhängig von der Abstimmung steht die AWG voll hinter ihrem Vorschlag", schreibt der Vorsitzende der Anthropozän-Arbeitsgruppe, Colin Waters von der Universität Leicester, in einer E-Mail. "Eine Rückkehr zu den stabilen Bedingungen des Holozäns ist nicht mehr möglich", so Waters. Viele beteiligte Wissenschaftler würden sich wünschen, "als Gruppe weiterzumachen". Laut den geltenden Regeln der Geologen ist bei einer Ablehnung erst in zehn Jahren wieder ein neuer Anlauf möglich. Details zum weiteren Prozedere will Waters demnächst bekannt geben.

"Ich würde davon ausgehen, dass die Arbeit der AWG weitergehen wird", sagt Reinhold Leinfelder, emeritierter Paläontologe von der FU Berlin und stimmberechtigtes Mitglied der AWG. Zunächst müsse man klären, ob die SQS "genügend diskutiert" habe, ob womöglich manche Argumente nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. In diesem Falle könnte das Votum womöglich wiederholt werden, hofft Leinfelder. Eines sei jedenfalls klar: "Dass der Mensch riesigen Einfluss auf die Erde hat, haben wir zur Genüge nachgewiesen."

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