Zoologie:Wie viele Ameisen gibt es auf der Welt?

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Eine Waldameise (Formica polyctena) - einerseits eine wichtige Nahrungsquelle für Spechte, andererseits frisst sie selbst Schädlinge wie den Borkenkäfer. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Nach einer neuen Schätzung leben 20 Billiarden Ameisen auf der Erde. Ihre Biomasse ist größer als die aller Vögel und der meisten Säugetiere zusammen. Entsprechend gewaltig ist ihr Einfluss auf den Planeten.

Von Tina Baier

Was haben Menschen und Ameisen gemeinsam? Sie sind überall. Ameisen gibt es auf jedem Kontinent. Doch trotz ihrer Allgegenwärtigkeit ist manches noch nicht bekannt über die Insekten, die wie Bienen und Wespen zur Ordnung der Hautflügler gehören. Zum Beispiel, wie viele Ameisen es überhaupt gibt. Ein Team um den Biologen Patrick Schultheiss von der University of Hongkong hat im Wissenschaftsjournal PNAS jetzt eine neue Schätzung vorgelegt: Demnach leben 20 Billiarden Ameisen auf der Erde.

Den Forschern zufolge entspricht das einer Biomasse von zwölf Megatonnen Kohlenstoff. Das ist mehr als die Biomasse aller Vögel und Säugetiere - mit Ausnahme des Menschen - zusammengerechnet. Zur gigantischen Zahl von 20 Billiarden sind die Forscher gekommen, indem sie 465 Studien ausgewertet haben, in denen Ameisen an 1306 Orten auf der ganzen Welt gezählt wurden. Die Orte, für die genaue Zählungen vorlagen, ordneten die Forschenden bestimmten Landschaftstypen wie etwa "Tropischer Regenwald" oder "Wüsten und Trockenes Buschland" zu. Dann ermittelten sie die durchschnittliche Ameisendichte pro Quadratmeter in dem untersuchten Gebiet und rechneten diesen Wert auf den Teil der Erdoberfläche hoch, wo der entsprechende Landschaftstyp vorkommt. Anschließend addierten sie die globalen Werte für die verschiedenen Landschaftsarten.

Die Insekten gehen in riesigen Heeren gemeinsam auf die Jagd

Die meisten Ameisen gibt es demnach in den Tropen und in den Subtropen. Dort leben auch die meisten verschiedenen Arten. Die bis zu 35 Millimeter große Tropische Riesenameise Paraponera clavata zum Beispiel, deren Stachel das Gift Poneratoxin enthält. Damit lähmen die Arbeiterinnen, die alleine auf die Jagd gehen, ihre Beutetiere - in der Regel andere Insekten. Beim Menschen verursacht das Gift der Riesenameise unbeschreibliche Schmerzen. Ihr Stich gilt als der schmerzhafteste Insektenstich überhaupt. Opfer berichten, dass es sich anfühlt, als würde man bei lebendigem Leib verbrennen. Nach 24 Stunden lassen die Schmerzen nach, weshalb die Art auch als 24-Stunden-Ameise bezeichnet wird.

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Oder die gefürchteten Treiberameisen, von denen es in den Tropen etwa 200 verschiedene Spezies gibt. Die Insekten gehen in riesigen Heeren gemeinsam auf die Jagd und können innerhalb kürzester Zeit ein ganzes Gebiet leer fressen. Der berühmte amerikanische Ameisenforscher Edward Wilson, der vergangenes Jahr gestorben ist, hat sie einmal "wie ein einziges Tier mit Millionen von Mäulern und Stacheln" beschrieben und als "die fürchterlichste Erscheinung in der Welt der Insekten" bezeichnet.

Nach der Studie in PNAS gibt es weltweit 15700 bekannte Ameisen-Arten und -Unterarten und wahrscheinlich noch einmal genauso viele, die noch nicht beschrieben sind. Der Einfluss der Ameisen auf andere Lebewesen sei allein schon aufgrund ihrer großen Zahl gigantisch, schreibt das Team um Patrick Schultheiss. Dazu komme, dass Ameisen auf viele verschiedene Weisen mit anderen Lebewesen interagieren.

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Viele Spezies spielen zum Beispiel eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung von Pflanzen, indem sie Samen, Sporen oder Früchten an neue Orte bringen. Biologen bezeichnen das als Myrmekochorie. Pflanzen, die sich mithilfe von Ameisen verbreiten, verwenden einen Trick: Alles, was von den Ameisen transportiert werden soll, versehen sie mit einem sogenannten Elaiosom, einem nährstoffreichen Anhängsel, das die Ameisen anlockt und sie dazu veranlasst, zum Beispiel einen Samen in ihr Nest zu schleppen. Nachdem die Insekten das Elaiosom abgetrennt haben, bleibt der Samen entweder im Nest oder wird wieder herausgeschafft. In beiden Fällen ist das Ziel der Pflanze erreicht, ihren Samen an einen entfernten Ort zu bringen, an dem er Chancen hat zu keimen.

Die Insekten können pro Jahr und Hektar bis zu 13 Tonnen Erde ausheben

In Deutschland verbreiten sich zum Beispiel Schneeglöckchen auf diese Art, außerdem Leberblümchen und Schöllkraut. Wie wichtig diese Funktion der Ameisen ist, zeigt sich unter anderem in Südafrika, wo einheimische Ameisenarten von der eingewanderten Argentinischen Ameise Linepithema humile verdrängt werden. Anders als die einheimischen Ameisen, transportiert diese Art keine Samen, was mancherorts schon dazu geführt hat, dass sich die Zusammensetzung der Pflanzen im Buschland verändert hat.

Auch mit anderen Tieren sind Ameisen vielfach eng verbunden, zum Beispiel in Form einer "Trophobiose". Darunter versteht man eine Beziehung zwischen zwei Lebewesen, in der ein Organismus dem anderen Nahrung zur Verfügung stellt und dafür eine Gegenleistung erhält. Das bekannteste Beispiel ist die Beziehung zwischen Blattläusen, die Honigtau abgeben und dafür von Ameisen Schutz bekommen. In vielen Ökosystemen sind Ameisen zudem Räuber und Beute zugleich: Waldameisen zum Beispiel sind einerseits eine wichtige Nahrungsquelle für Spechte und fressen selbst Schädlinge wie den Borkenkäfer.

Auch auf ihre unbelebte Umwelt haben Ameisen gewaltige Auswirkungen. Den Autoren der Studie zufolge zeigt sich das schon alleine daran, dass die Insekten pro Jahr und Hektar bis zu 13 Tonnen Erde ausheben. Wie Menschen sind Ameisen also Ökosystem-Ingenieure, die ihre Umwelt und damit auch die Bedingungen für andere Lebewesen dauerhaft verändern können.

In einer früheren Version wurde die Zahl der Ameisen auf der Erde mit 20 Quadrillionen angegeben, die Schätzungen liegen jedoch bei 20 Billiarden. Dies haben wir korrigiert.

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