Zwangsräumungen:Job verloren, Wohnung weg

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Graffito an einer Kindertagesstätte in Berlin-Friedrichshain: Viele Kitas in der Hauptstadt sehen inzwischen einer ungewissen Zukunft entgegen. (Foto: imago stock&people)

Zwangsräumungen in Pandemiezeiten sollten verboten werden, fordert die Wohnungslosenhilfe - und plädiert für einen anderen Weg.

Von Joachim Göres

Wer zwei Monate lang keine Miete zahlt, muss mit der fristlosen Wohnungskündigung rechnen. Doch zwischen April und Juni 2020 galt das nicht; die Regelung war durch einen Beschluss des Bundestages vorübergehend ausgesetzt. Menschen, die als Folge der Pandemie ihre Miete nicht oder nicht vollständig zahlen konnten, etwa wegen plötzlicher Kurzarbeit, sollten so vor Wohnungslosigkeit geschützt werden. Wie hat sich diese Regelung in der Praxis ausgewirkt?

Zum Beispiel im niedersächsischen Celle. "Wir hatten wegen der Pandemie acht Stundungsanfragen. Alle haben inzwischen die Restsummen bei uns bezahlt", sagt Viktor Jäger, der bei der Städtischen Wohnungsbau GmbH (WBG) für die Vermietung zuständig ist. Monatlich verschickt die WBG, mit etwa 2000 Wohnungen der größte Vermieter der 70 000-Einwohner-Stadt Celle, ein Dutzend Kündigungen, vor allem wegen nicht fristgerecht überwiesener Miete. "In den meisten dieser Fälle kommt es aber nicht zur Kündigung, weil das Geld doch noch gezahlt wird. Meistens hat die Verzögerung damit zu tun, dass Empfänger von Transferleistungen Anträge nicht rechtzeitig stellen und die Ämter dann erst später zahlen", sagt Jäger.

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Jeweils ein halbes Dutzend Zwangsräumungen gab es bei der WBG 2019 und 2020, in diesem Jahr wurde bisher viermal die Wohnung durch einen Gerichtsvollzieher geräumt. "Dabei geht es meist um Fälle, in denen die Wohnung verwüstet wurde oder die Mieter zu laut waren", sagt Jäger und fügt hinzu: "Wir suchen immer nach Lösungen, um eine Räumung zu verhindern, denn wir tragen dafür immer die Kosten."

Ein etwas anderes Bild liefern die Zahlen des Amtsgerichts Celle, das für den gleichnamigen Landkreis zuständig ist. Dort wurden im vergangenen Jahr 95 Räumungsanträge eingereicht. Zu 80 bis 90 Prozent sei der Grund nicht gezahlte Miete. 58 Zwangsräumungen wurden tatsächlich durchgeführt, davon 56 in Wohnungen. Ähnliche Zahlen erwartet Amtsgerichtsdirektor Dieter-Philipp Klaas auch für 2021.

Im vergangenen Jahr gab es bundesweit etwa 40 000 Zwangsräumungen

Celle dient als konkretes kommunales Beispiel, da aktuelle Zahlen auf Landes- oder Bundesebene Mangelware sind. Zu den Ausnahmen gehört Hamburg. Nach Angaben des Senats hat die größte städtische Wohnungsgesellschaft SAGA seit Beginn der Pandemie mit etwa 3200 von Corona betroffenen Mietparteien Ratenzahlungen vereinbart oder die Miete gestundet. Außerdem seien für April bis Juni 2020 geplante Mieterhöhungen verschoben worden, wodurch Mindereinnahmen von 270 000 Euro entstanden seien. Die Zahl der Zwangsräumungen in der Hansestadt ist von 1239 im Jahr 2019 auf 977 im vergangenen Jahr gesunken.

Bei dem mit mehr als 350 000 Wohnungen größten deutschen Wohnungsunternehmen Vonovia haben sich wegen finanzieller Schwierigkeiten in der Pandemie in diesem Jahr zwei Prozent der Mieter gemeldet und um Zahlungsaufschub gebeten - zum selben Zeitpunkt des Vorjahres waren es nur halb so viel. "In den allermeisten Fällen konnten wir direkt Vereinbarungen zur Stundung und Ratenzahlungen vereinbaren", sagt eine Vonovia-Sprecherin.

Bundesweit haben 2019 etwa 50 000 Menschen nach einer Zwangsräumung ihre Wohnung verloren, so die wohnungspolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion Caren Lay. Ihre Partei fordert einen besseren Kündigungsschutz - nach der Begleichung eines Mietrückstandes soll künftig nicht nur die fristlose, sondern auch die fristgerechte Kündigung unwirksam werden. Eine Forderung, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) unterstützt wird.

"Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell es zu Mietrückständen kommen kann."

"Zwangsräumungen in die Wohnungslosigkeit darf es nicht geben, schon gar nicht in Zeiten der Pandemie", betont Sabine Bösing, stellvertretende Geschäftsführerin der BAG W. Nach ihren Angaben war Berlin das einzige Bundesland, in dem zu Anfang der Pandemie Zwangsräumungen bis Ende Juni 2020 ausgesetzt wurden. Nach Schätzungen gab es bundesweit im vergangenen Jahr rund 40 000 Zwangsräumungen. "Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell es zu Mietrückständen kommen kann, da viele Haushalte mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für Miete ausgeben müssen. Wenn dann ein Einkommen plötzlich wegfällt, entsteht die Gefahr eines Wohnungsverlustes", sagt Bösing.

Ihr bereitet Sorge, dass Mieter ihre Mietschulden aus der Zeit von April bis Juni 2020 bis spätestens Ende Juni 2022 zurückzahlen müssen. "Das könnte für viele die Kündigung des Mietverhältnisses bedeuten und damit zum Wohnungsverlust führen", befürchtet Bösing. "Es wäre für Menschen in Not ein sehr wichtiges Zeichen gewesen, wenn ihnen diese Mietschulden mit Hilfe eines entsprechenden Fonds erlassen worden wären." Auch mehr als 150 Wissenschaftler hatten einen Erlass der Mietschulden sowie einen staatlichen Hilfsfonds für Vermieter gefordert, die wegen Mietausfällen in finanzielle Schwierigkeiten geraten.

Der Deutsche Mieterbund spricht von einer deutlichen Verunsicherung der Mieterinnen und Mieter im Corona-Jahr 2020, die zu einem Anstieg auf 138 000 Beratungen bundesweit geführt habe. Dabei sei es neben Möglichkeiten zur Minderung der Miete und drohenden Kündigungen auch um andere Fragen gegangen. Darf man während der Pandemie auf dem Balkon grillen? Was gibt es bei der Nutzung der Wohnung als Home-Office zu beachten? Oder auch: Sollte man man Handwerker angesichts hoher Inzidenzzahlen überhaupt in die Wohnung lassen?

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