Wirtschaftsweise:So kann sich die Wirtschaft erholen

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Keine Autoprämie, dafür Maßnahmen, die den Strukturwandel fördern - das empfiehlt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (Foto: dpa)

Der Sachverständigenrat empfiehlt ein Konjunkturpaket, das vor allem dem Strukturwandel helfen soll. Die Experten warnen die Politik vor kurzfristigen Maßnahmen - eine Kaufprämie für Autos etwa lehnen sie ab.

Gastbeitrag von Lars P. Feld, Veronika Grimm, Monika Schnitzer, Achim Truger und Volker Wieland

Durch die Corona-Krise ist mit einem historisch großen Einbruch der deutschen Wirtschaftsleistung im ersten Halbjahr 2020 zu rechnen. Die Pandemie hat praktisch alle Länder erfasst und dürfte mit einem weltweiten Rückgang der Wirtschaftsleistung einhergehen. Der deutsche Staat hat schnell umfangreiche Hilfspakete auf den Weg gebracht, um die Zeit der wirtschaftlichen Beschränkungen mit Liquiditäts- und Einkommenshilfen für Unternehmen und Haushalte zu überbrücken.

Dennoch wird die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach den bereits vorgenommenen und angekündigten weiteren Lockerungen durch Einkommensausfälle, eine erhöhte Unsicherheit und teils fortbestehende Einschränkungen belastet bleiben. Für viele Unternehmen besteht nach wie vor die Gefahr einer Insolvenz. Um einer lang anhaltenden Rezession entgegenzuwirken und die konjunkturelle Erholung zu unterstützen, sind nach Ansicht des Sachverständigenrats weitere fiskalpolitische Maßnahmen sinnvoll.

Diese Maßnahmen sollten zielgenau dort Unterstützung leisten, wo diese nötig ist, und zugleich an den richtigen Stellen Anreize setzen, um gestärkt aus der Krise zu kommen. Es gilt deshalb, nicht allein die Nachfrage zu stärken, sondern zugleich den Strukturwandel sinnvoll zu unterstützen. Insbesondere sollte sich die Politik nicht unter dem Einfluss einzelner Branchen zu einer Vielzahl an branchenspezifischen Maßnahmen, wie etwa einer Kaufprämie für Fahrzeuge, verleiten lassen, die tendenziell bestehende Strukturen verfestigen, ohne eine durchschlagende konjunkturelle Wirkung zu erzielen.

Gesundheitsschutz und wirtschaftliche Erholung müssen dabei immer zusammen gedacht und die konjunkturellen Maßnahmen eng mit der Lockerungsstrategie abgestimmt werden. Lockerungen sollten mit Schutzkonzepten einhergehen, die möglichst praktikabel und langfristig handhabbar sind. Erst dann kann sich die Konsumzurückhaltung der Haushalte abbauen, Unternehmen können verlässlich planen, Beschäftigte halten, Produktionskapazitäten erhöhen und Investitionen tätigen.

Zur Stabilisierung der Erwartungen gehört nicht zuletzt der maßvolle Umgang des Staates mit seinen finanziellen Ressourcen, auch wenn der Verschuldungsspielraum beachtlich ist. Die fiskalischen Impulse werden nur dann ihre volle realwirtschaftliche Wirkung entfalten, wenn nicht in absehbarer Zeit Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen drohen, die zu Konsum- oder Investitionszurückhaltung führen würden.

Der Sachverständigenrat sieht vor allem drei Maßnahmen, die den Anspruch erfüllen, zielgenau zu wirken, die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen und den Strukturwandel zu begleiten: die Ausweitung der Möglichkeiten zum steuerlichen Verlustrücktrag und -vortrag, eine Energiepreisreform sowie die Förderung privater und öffentlicher Investitionen. Konkret:

Durch eine Erweiterung des Verlustrücktrags können diejenigen Unternehmen unterstützt werden, die in den vergangenen Jahren erfolgreich waren und Gewinne erzielten, in diesem Jahr jedoch durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie Verluste erwarten. Dazu könnte die Höhe der verrechenbaren Verluste sowie der Zeitraum in der Vergangenheit, der für den Verlustrücktrag herangezogen wird, erweitert werden. Zudem würde durch eine Ausweitung des unterjährigen Verlustrücktrags den Unternehmen direkt und kurzfristig Liquidität zugeführt, ohne ihre Verschuldung zu erhöhen.

Eine Ausweitung des Verlustvortrags gibt den Unternehmen die Möglichkeit, ihre Steuerzahlungen mit den heutigen Verlusten, die noch nicht durch einen Verlustrücktrag ausgeglichen wurden, zu verrechnen und dadurch mittelfristig zu wachsen. Gleichzeitig erhöht dies den Anreiz, heute zu investieren.

Eine Reform der Energiepreise

Mit einer zügigen und umfangreichen Energiepreisreform wiederum würde eine spürbare Entlastung von Haushalten und Unternehmen bei gleichzeitiger Behebung ökologisch fragwürdiger Verzerrungen der Energiepreise erreicht. Dazu könnte die Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz gesenkt werden. Ebenso wäre eine Senkung der EEG-Umlage über die im Klimapaket bereits beschlossene Reduktion hinaus denkbar.

Aufgrund der regressiven Wirkung von Energiesteuern würden durch eine solche Reform die verfügbaren Einkommen insbesondere von einkommensschwachen Haushalten relativ erhöht. Zusätzlich unterstützt ein niedrigerer Strompreis die Transformation hin zu einem klimafreundlicheren Energiesystem, indem er die Anreize zur Sektorkopplung und somit zum Einsatz von zunehmend regenerativ erzeugtem Strom zur Defossilisierung der Sektoren Wärme und Verkehr sowie der Industrie erhöht.

Unternehmen und Haushalte entlasten, das geht nach Ansicht des Sachverständigenrats auch mit einer zügigen und umfangreichen Energiepreisreform. (Foto: Jochen Tack/imago)

Schließlich können zur Stärkung der privaten Investitionen Anreize zur Bildung von Humankapital und zum Ausbau der Digitalisierung gesetzt werden. Durch digitale Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen könnten Unternehmen und Beschäftigte die Zeit der Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit nutzen, um neue Kompetenzen aufzubauen und sich so auf die Zeit nach der Rezession vorzubereiten. In Verbindung mit einer besseren digitalen Ausstattung der Unternehmen und Behörden kann somit der Strukturwandel befördert und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht werden.

Ein Hindernis für öffentliche Investitionen war in den vergangenen Jahren die hohe Auslastung der Bauwirtschaft. Wenngleich die Bau-Branche weniger stark von der Corona-Pandemie betroffen sein dürfte als andere, haben sich die Geschäftserwartungen dort ebenfalls eingetrübt. Freiwerdende Kapazitäten könnte der Staat nutzen, um wichtige Investitionen voranzutreiben und mit zusätzlichen Investitionsplänen die Erwartungen der Bauwirtschaft zu stabilisieren.

Zentral sind Investitionen in das Gesundheitswesen, den öffentlichen Nahverkehr, die Netzinfrastruktur, die Infrastruktur für die emissionsneutrale Mobilität sowie in den Breitbandausbau und in die Digitalisierung von Behörden und Schulen. Dabei muss der Staat nicht immer selbst als Investor auftreten, sondern kann gegebenenfalls durch Zuschüsse Anreize für private Investitionen setzen oder eine Koordinationsfunktion übernehmen.

Der Vorsitzende

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(Foto: dpa)

Lars Feld, 53 (re. im Bild), ist das dienstälteste Mitglied des Sachverständigenrats (seit 2011), den er seit März diesen Jahres leitet. Er ist Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Universität Freiburg und Direktor des Walter Eucken Instituts.

Die Energie-Forscherin

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(Foto: Giulia Ianicelli/dpa)

Veronika Grimm, 48, ist vom Bundespräsidenten im April frisch in den Rat berufen worden. Sie ist Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie forscht viel zu Energiefragen.

Die Innovationsexpertin

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(Foto: AP)

Monika Schnitzer, 58, wurde zusammen mit Veronika Grimm im April 2020 in den Rat berufen. Sie ist Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Uni in München und bekannt als Wettbewerbs- und Innovationsexpertin.

Der Sozioökonom

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(Foto: imago)

Achim Truger, 50, ist Professor für Sozioökonomie, Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen. Er ist 2019 auf Vorschlag der Gewerkschaften, die traditionell einen Sitz bestimmen dürfen, berufen worden.

Der Finanzprofessor

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(Foto: dpa)

Volker Wieland, 54 (li. im Bild), ist seit 2013 Mitglied, ihn hatten damals die Arbeitgeber vorgeschlagen. Der Professor für Monetäre Ökonomie ist Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability an der Goethe-Universität Frankfurt.

Rund ein Drittel der öffentlichen Investitionen werden auf kommunaler Ebene getätigt. Die finanzielle Situation der Kommunen ist aufgrund wegbrechender Gewerbesteuereinnahmen durch die Corona-Krise jedoch äußerst angespannt. Durch die gleichzeitig sinkenden Steuereinnahmen der Länder reduzieren sich die Möglichkeiten eines kommunalen Finanzausgleichs. Daher sind zusätzliche Mittel des Bundes für gezielte Investitionen der Kommunen in den genannten Bereichen notwendig.

Mit einem solchen Maßnahmenpaket, das mit der Lockerungsstrategie abgestimmt ist, kann die wirtschaftliche Erholung unterstützt werden. Gleichzeitig können damit die richtigen Anreize für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit der deutschen Volkswirtschaft gesetzt werden.

© SZ vom 22.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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