Leitartikel:Unbegreiflich: Trotz Wirecard schont Deutschland Wirtschaftsprüfer

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Zeichnung: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Auch nach dem Jahrhundert-Skandal schützt die Bundesregierung Wirtschaftsprüfer vor hohen Haftungsansprüchen. Eine falsche Entscheidung.

Von Markus Zydra

In der Weltwirtschaft haben Wirtschaftsprüfer eine herausragende Funktion. Sie kontrollieren, ob das Zahlenwerk in den Unternehmensbilanzen korrekt ist. Diese Überprüfung ist eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Finanzwirtschaft. Banken und Aktionäre geben nur dann Geld, wenn sie sich darauf verlassen können, dass die Testate der Spezialisten zuverlässig sind. Wirtschaftsprüfer erfüllen daher eine Art hoheitliche Aufgabe. In Deutschland geloben die Berufsabsolventen mit einem Eid, ihre Arbeit sorgfältig, objektiv und gewissenhaft zu erledigen. Und auch international gilt für diesen Berufsstand ein entsprechender Verhaltenskodex.

Viele Wirtschaftsprüfer beherzigen diesen Prinzipien in ihrer täglichen Arbeit, doch die Milliardenpleite von Wirecard hat der Öffentlichkeit gezeigt, dass es Wirtschaftsprüfer von EY an der notwendigen Sorgfalt vermissen ließen. Auch die Wettbewerber KPMG, PwC und Deloitte sind in den letzten Jahren immer wieder in Skandale verwickelt gewesen. Die Big Four, wie man sie nennt, haben allerdings wenig zu befürchten, wenn sie etwas falsch machen. In Deutschland muss jeder Rechtsanwalt, Steuerberater und Arzt für verursachte Schäden voll haften - nur die Wirtschaftsprüfer nicht. Sie genießen seit Jahrzehnten ein weltweit wohl einmaliges gesetzliches Haftungsprivileg. Unbegreiflicherweise hält die Bundesregierung auch in ihrem neuen Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität an diesem Prinzip fest. Die Obergrenzen für Schadenersatz werden vom 1. Juli an zwar auf eine Spanne von 500 000 bis 16 Millionen Euro leicht angehoben. Doch diese Haftungsbeträge sind Peanuts für eine Branche, die sich deutlich höhere Schadenersatzzahlungen leisten könnte. Und überhaupt: Warum sollten einzig die Wirtschaftsprüfer vor allzu hohen Haftungsansprüchen geschützt werden? An diesem Privileg gibt es kein öffentliches Interesse, zumal die Branche sowieso zu viele Freiheiten genießt.

Die Arbeit der Big Four ist durchsetzt von Interessenkonflikten. Sie prüfen die Bücher der Unternehmen und beraten dieselben gleichzeitig bei Strategien zur Steuervermeidung. Viele Finanzaufsichtsbehörden sind angewiesen auf die Expertise der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Die gesetzlichen Regelungen werden immer komplexer, und wer kennt sich auf diesem Feld besser aus als die Experten, die an diesen Gesetzen auch noch mitgearbeitet haben? Ja, richtig, die Big Four beraten auch den Gesetzgeber. Die Bankenaufsicht der EZB und die deutsche Bafin heuern die Profis ebenfalls regelmäßig an, um Banken zu prüfen, beispielsweise, ob die Institute die Geldwäscheregeln ordentlich erfüllen. Gleichzeitig beraten die Big Four dieselben Kreditinstitute, wie diese am besten die Aufsichtsregeln, nun ja, auslegen können. Die Anwälte und Prüfer wechseln problemlos die Seiten, mal rein in die Behörde, mal zurück in die Privatwirtschaft. Ihr Wissen aus den beiden Welten nehmen sie mit und versilbern es.

Die Big Four helfen auch autokratischen Herrschern

In viel zu vielen Fällen helfen die Big Four auch autokratischen Herrschern, Geld aus dem Land zu schaffen. Legendär ist die Episode mit dem damaligen britischen Premierminister David Cameron, der auf dem Anti-Korruptions-Gipfel 2016 einige Entwicklungsländer als "unfassbar korrupt" bezeichnete. Auf die Frage, ob er eine Entschuldigung fordere, antwortete der anwesende nigerianische Präsident Muhammadu Buhari: "Nein, keine Entschuldigung. Ich fordere die Rückgabe von Vermögen." In den Jahren zuvor waren 157 Milliarden Dollar aus Nigeria abgeflossen, geraubt von korrupten Politikern und Unternehmern. Doch diese Plünderung des Landes gelang nur mithilfe westlicher Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die das Geld in anonyme, zumeist britische Offshore-Gesellschaften schleusten. Auch die Panama Papers machten deutlich, wie agil westliche Beratungsfirmen zwielichtigen Akteuren bei der Verschleierung von Vermögen helfen. Diese Mandate sind sehr lukrativ.

Die Wirtschaftsprüfer sollten für Fehler stärker haften als bislang. Es braucht darüber hinaus strenge Regeln, um die Interessenkonflikte in der Branche aufzulösen. Beratungsmandate und Buchprüfung gehören in zwei Konzernen separiert. Wenn die Big Four ihren eigenen Verhaltenskodex ernst nähmen, würden sie ihre Lobbyarbeit in diese Richtung steuern.

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