Bilanzskandal:Staatsanwaltschaft München: Drei Haftbefehle gegen Wirecard-Manager

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Die Haftbefehle richten sich gegen drei frühere Führungskräfte. Dabei geht es unter anderem um gewerbsmäßigen Bandenbetrug und Marktmanipulation - nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft blähte Wirecard Umsätze und Bilanzsumme seit 2015 auf.

Von Nicolas Richter und Jörg Schmitt, München

Der Skandal um den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard weitet sich offenbar massiv aus. Die Staatsanwaltschaft München I wirft nunmehr mehreren früheren Führungskräften, unter ihnen dem Ex-Vorstandchef Markus Braun, gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Gegen Braun wurde ein neuer Haftbefehl erlassen, der frühere Konzernchef wurde am Mittwochmorgen in München erneut festgenommen, nachdem er Ende Juni bereits einmal festgenommen und auf Kaution zunächst wieder freigelassen worden war. Sein Anwalt war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen. Außerdem wurden am Mittwoch zwei weitere, hochrangige Ex-Manager verhaftet.

"Die bisherigen intensiven Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I haben ergeben, dass der den Beschuldigten zur Last zu legende Sachverhalt erheblich erweitert werden muss", erklärte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch. Dies habe insbesondere mit Aussagen eines Kronzeugen zu tun, aber auch mit neuen Unterlagen.

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Demnach entschieden sich Konzernchef Braun und weitere Beschuldigte bereits im Jahr 2015, "die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der Wirecard AG durch das Vortäuschen von Einnahmen (...) aufzublähen." Das Unternehmen habe finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver aussehen sollen, "um so regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren zu erlangen und daraus fortwährend eigene Einkünfte zu generieren".

Den Beteiligten sei seit dem Jahr 2015 klar gewesen, dass der Konzern mit seinem eigentlichen Geschäft Verluste erzielte. Das Unternehmen habe daher überwiegend durch Kredite überlebt. Banken in Deutschland und Japan sowie weitere Investoren seien durch falsche Jahresabschlüsse getäuscht worden und hätten insgesamt Kredite von insgesamt etwa 3,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, erklärte die Staatsanwaltschaft. Dieses Geld sei "höchstwahrscheinlich verloren".

Seit Mittwoch steht damit fast die gesamte frühere Führungsspitze im Verdacht, den Schwindel aufgebaut und aufrechterhalten zu haben. Die Staatsanwaltschaft berichtet über das Ergebnis bisheriger Vernehmungen, Wirecard sei ein streng hierarchisches System gewesen, "geprägt von Korpsgeist und Treueschwüren gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden als Führungsperson." Die Ermittlungen hatten sich zunächst auf Konzernchef Braun, den Vorstand Jan Marsalek sowie einen weiteren Manager konzentriert. Die Vorwürfe lauteten zunächst unter anderem auf Betrug, Untreue, Marktmanipulation, Bilanzfälschung.

Braun hatte sich Ende Juni der Justiz gestellt, kam nach der Zahlung einer Kaution in Millionenhöhe aber wieder auf freien Fuß. Marsalek ist auf der Flucht und versteckt sich mutmaßlich im Ausland. Der dritte Beschuldigte, der die Geschäfte der Konzerntochter Cardsystems Middle East in Dubai führte, sitzt seit Anfang Juli in Untersuchungshaft. Am Mittwoch kamen nun noch zwei weitere hochrangige Beschuldigte hinzu.

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Die Wirecard AG, die sich auf die Abwicklung bargeldloser Zahlungen spezialisiert hat, galt lange als deutsche Technologie-Hoffnung und als Star an der Börse. Vor zwei Jahren stieg Wirecard in den Kreis der Dax-Konzerne auf und verdrängte dabei die Commerzbank. Allerdings hatte es auch jahrelang Kritik an der Bilanzierung und Zweifel an der Substanz des Geschäftsmodells gegeben. Im Juni musste Wirecard einräumen, dass es ein Guthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten bei zwei philippinischen Banken mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht gibt.

Ferner stand dem Unternehmen zufolge das angeblich so ertragreiche Drittpartnergeschäft in Frage. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hat für das Geschäftsjahr 2019 die Testierung der Bilanz verweigert. Wenig später beantragte Wirecard Insolvenz. Geschädigte sind nicht nur etliche Anlegerinnen und Anleger, deren Aktien annähernd wertlos sind, sondern auch Banken und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vor einer ungewissen Zukunft stehen.

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