Webasto und Corona:Ständig neue Fragezeichen

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Webasto-Vorstandschef Holger Engelmann im Werk in Wuhan. Die Aufnahme entstand im September 2019. (Foto: Michael Kappeler/picture alliance/dpa)

Erst brechen internationale Lieferketten zusammen, nun machen die Banken Druck. Wie global operierende Firmen wie Webasto durch die Pandemie kommen.

Von Marcel Grzanna

China, Japan, Indien, Russland: Der oberbayerische Mittelständler Webasto ist vornehmlich wegen seiner globalen Expansion zu einem der 100 größten Automobilzulieferer der Welt geworden. Das Traditionsunternehmen im Familienbesitz, das vor mehr als 80 Jahren mit der Produktion von Schiebedächern und Dachmodulen in Stockdorf bei München begonnen hat, produziert inzwischen an 30 Standorten der Erde. Im Corona-Jahr 2020 betrug der Umsatz 3,3 Milliarden Euro, nach 3,7 Milliarden Euro im Jahr zuvor.

Wer so global engagiert ist wie Webasto, der bekommt die Corona-Krise doch automatisch mehr zu spüren als jene Firmen, die deutlich weniger Schnittstellen mit dem Ausland haben. Oder etwa nicht? Im Falle von Webasto gilt: sowohl als auch. Das Unternehmen stand zu Beginn der Pandemie im Fokus der Aufmerksamkeit, weil einer seiner Mitarbeiter im Frühjahr 2020 als Patient null in Deutschland identifiziert wurde. Das Virus war aus China in die Firmenzentrale eingeschleppt worden. Ganz Deutschland schaute damals auf Webasto und sein Krisenmanagement.

Investitionen in neue Technologien: Webasto präsentiert im April 2021 einen Konzeptwagen zum autonomen Fahren in Shanghai. (Foto: via www.imago-images.de/imago images/VCG)

Heute blickt die Firma zurück auf 18 Monate Pandemie und zieht das Fazit: Es hätte alles viel schlimmer kommen können. "Insgesamt sind wir bisher besser durch die Corona-Zeit gekommen, als wir anfangs erwartet hatten. Uns war es wichtig, den Betrieb bestmöglich mit den reduzierten Ressourcen aufrechtzuerhalten, Lieferketten sicherzustellen und Kundenprojekte entsprechend zu priorisieren." Ausgerechnet die vermeintliche Achillesferse, nämlich Dutzende Standorte in aller Welt profitabel koordinieren zu müssen während einer Pandemie, in der sich alle Staaten weitgehend abschotten, wurde zum Vorteil von Webasto.

Firmen, die wie Webasto lokal einkaufen, geht es besser

Wie in der Automobilindustrie schon eine Weile üblich, kaufen die Oberbayern möglichst regional ein. Man produziert "im Markt für den Markt", heißt die entsprechende Marketingklausel, die eigentlich die Verbundenheit eines Herstellers mit dem jeweiligen Standort zum Ausdruck bringen soll. Ein bisschen geschieht das auch aus der Not heraus, weil verpflichtende Lokalisierungsquoten eigentlich keine Alternativen übrig lassen. Doch die regulatorischen Rahmenbedingungen zahlten sich in der Pandemie für Webasto aus. "Deshalb waren wir nicht so stark von Lieferkettenschwankungen betroffen wie andere Unternehmen."

Viele deutsche Unternehmen sind angewiesen auf Zulieferungen aus dem Ausland. Etwa jene kleinen und mittelständischen Firmen, die mit vielen Einzelteilen aus aller Welt deutsche Wertarbeit leisten, aber aus betriebswirtschaftlichen Gründen keine eigenen Standorte im Ausland betreiben. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang, warnte Mitte August davor, dass "die aktuell gute Lage in der europäischen Wirtschaft" nicht über drohende Konjunkturrisiken hinwegtäuschen dürfe. Vor allem, weil die Aufrechterhaltung der Lieferketten zur anhaltenden Herausforderung deutscher Unternehmen werden kann. "Die globale vierte Corona-Welle und anhaltende Lieferschwierigkeiten bei Vorprodukten drohen die intakte wirtschaftliche Erholung im zweiten Halbjahr zu gefährden", sagte Lang.

Eine Arbeiterin im Werk des deutschen Autozulieferers Webasto bei der Produktion eines Autodachs. (Foto: -/picture alliance /-/Webasto Group/dpa)

Solche und ähnliche Sorgen plagen hierzulande Hunderttausende Firmen. Eine aktuelle Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat ermittelt, dass 650 000 kleine und mittelständische Unternehmen einen "nachhaltigen negativen Einfluss" der Krise auf die Nachfrage nach ihren wichtigsten Produkten oder Dienstleistungen fürchten. Davon betroffen sind zahlreiche Handelsunternehmen, aber auch viele aus dem verarbeitenden Gewerbe.

Wie viele Firmen daran zugrunde gehen werden, ist Spekulation. Was ihnen aber helfen könnte, ist klar: mehr Kapital. Mit neuen Investitionen könnten die Sorgenkinder neue Pläne schmieden, neue Produkte entwickeln, neue Kunden finden. Doch ausgerechnet jetzt machen es die Banken den Unternehmen nicht leichter. Das hat auch Webasto zu spüren bekommen. "Generell erleben wir, dass die Kreditvergabe etwas restriktiver geworden ist", sagt Vorstandschef Holger Engelmann. Betroffen sei der gesamte Automotive-Bereich, also alle Aktivitäten im Bereich von Zulieferteilen, -produkten oder -dienstleistungen.

Wer auf Zulieferungen aus dem Ausland angewiesen ist, kann Schwierigkeiten bei der Finanzierung bekommen

Die Transformation der Branche mit neuen Antrieben und Mobilitätskonzepten sei nur ein Grund für die Zurückhaltung der Banken. Die "logistischen Herausforderungen, die während der letzten eineinhalb Jahre noch einmal zugenommen haben", ein anderer. Die Planungsunsicherheiten, bedingt durch Corona, haben die Anforderungen bei der Kreditvergabe verschärft. Wer international tätig und auf Zulieferungen aus dem Ausland angewiesen ist, kann Schwierigkeiten bei der Finanzierung bekommen. Umso wichtiger werden hohe Eigenkapitalquoten, um mögliche Lücken aus eigener Tasche schließen zu können. Webasto hat sich darüber hinaus mit ausreichenden Kreditlinien abgesichert, "um auch in einem unruhigen Marktumfeld unsere Unternehmensstrategie weiterverfolgen zu können", wie Engelmann sagt. So konnte das Unternehmen finanzielle Engpässe im vergangenen Jahr erfolgreich vermeiden.

Den coronabedingten Liquiditätssorgen zum Trotz beginnen die Unternehmen, sich an die neuen Umstände zu gewöhnen. In einer Umfrage der DZ-Bank, die seit 1995 zweimal jährlich die Stimmung unter deutschen Mittelstandsunternehmen auf Herz und Nieren abklopft, belegt die Corona-Krise inzwischen nur noch Rang drei in der Liste der größten Herausforderungen. Mit einem absoluten Allzeithoch von 80 Prozent Zustimmung liegt inzwischen die Bürokratie auf Platz eins, gefolgt vom Fachkräftemangel.

Allerdings dürften Bürokratie und Fachkräftemangel auch deshalb so oft genannt worden sein, weil durch die Pandemie die Probleme noch verstärkt werden. Unkomplizierte staatliche Hilfe ist beileibe nicht jedem Unternehmen in den vergangenen 18 Monaten widerfahren. Und der Fachkräftemangel ist kein neues Problem, aber eines, das durch Reiseeinschränkungen noch intensiviert wird. Viele potenzielle Fachkräfte aus dem Ausland, die vor der Pandemie einen Umzug nach Deutschland in Erwägung gezogen hatten, haben ihre Pläne vorerst auf Eis gelegt. Insofern ist der Mangel auch eine spezifische Ausprägung der Corona-Sorgen.

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