Volkswagen:Wenn der Zulieferer nicht mehr spurt

Lesezeit: 5 min

Produktion des VW Golf im Stammwerk in Wolfsburg. Weil ein Zulieferer Getriebeteile für das Modell zurückhält, kommt Volkswagen nun in Not. (Foto: dpa)

Normalerweise sind die Machtverhältnisse klar: VW befiehlt, der Lieferant gehorcht. Doch gerade ist alles anders.

Von Max Hägler und Klaus Ott

Bald sitzt die große Volkswagen-Familie wieder beim Fußball zusammen. Die neue Bundesligasaison beginnt, und alle paar Wochen trifft sich die Konzernspitze mit Händlern und Zulieferern in den Logen und VIP-Sälen der VW-Arena, direkt neben dem Werksgelände, der Autostadt.

Bei Volkswagen erzählt man gerne, wie offen oben in der Edel-Etage gesprochen werde, während unten auf dem Rasen der VfL kickt. Der Vorstand lasse sich von den Abgesandten der Zulieferer berichten, wo der Schuh drücke, und kümmere sich.

Als Martin Winterkorn noch Konzernchef in Wolfsburg war, habe er persönlich dafür gesorgt, dass jeder Beschwerde nachgegangen werde. Einen Händler in Frankfurt, der von klemmenden Kofferraumdeckeln an einer Fahrzeugserie berichtet habe, hätten am darauffolgenden Montag morgens um sechs Uhr Serviceleute aus dem Bett geklingelt. Man wolle die Mängel beheben.

Es ist ein Bild der Harmonie, das da gezeichnet wird - aber es wirkte stets sehr aufgesetzt. Um so mehr jetzt, da ein Streik zweier Zulieferer aus Sachsen für Stillstand in mehreren VW-Werken sorgt.

Autoindustrie
:VW will mit voller Härte gegen streikende Zulieferer vorgehen

Die Golf-Produktion steht für mehrere Tage komplett still, 20 000 Beschäftigte müssen in Kurzarbeit gehen. VW könnte die fehlende Ware eintreiben lassen - per Gerichtsvollzieher.

Von Klaus Ott

In Wolfsburg läuft kein Golf mehr vom Band, das meistverkaufte Modell des Unternehmens. Bei VW ist von "Erpressung" die Rede. Gegen Verantwortliche der beiden Zulieferer, die keine Getriebeteile und Sitzbezüge mehr liefern und damit die Produktion lähmen, will der Konzern nun ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft beantragen.

Autokonzerne nutzen Einkaufsmacht, um Preise zu drücken

Seit jeher ringen Zulieferer und Hersteller heftig um Aufträge und Preisnachlässe, Fristen und Stückzahlen - doch so einen Zoff, bei dem ganze Werke stillstehen, hat es noch nie gegeben.

Der oberste Autolobbyist im Land, Ex-Verkehrsminister Matthias Wissmann, rühmt gerne die ach so erfolgreiche Zusammenarbeit von Herstellern und Zulieferern. Sie sei "das Fundament der technologischen Führungsposition", die sich die deutsche Automobilindustrie erarbeitet habe.

Tatsächlich jedoch nutzen die Konzerne, die viele Milliarden Euro verteilen, ihre Einkaufsmacht, um die Preise zu drücken - denn wenn ein einzelnes Teil ein paar Millionen Mal verbaut wird, können selbst kleinste Nachlässe am Ende sehr viel Geld ausmachen.

Zwei Drittel der Teile kommen vom Zulieferer

Auf der anderen Seite stehen Lieferanten, die spezielle Komponenten herstellen, die sonst nirgendwo zu haben sind. Das kann selbst große Hersteller abhängig und anfällig machen. Heutzutage stammen bei Wagen deutscher Produktion meist zwei Drittel der Teile nicht vom Autohersteller, sondern von einem Zulieferer. Das können Achsen, Fensterheber oder Getriebe sein, Gelenke, Klimaanlagen oder Elektronikteile.

Die Zulieferer können in diesem harten Geschäft nur bestehen, wenn sie hohe Qualität liefern, höchst effizient sind und auch kreativ. Die Zulieferer, zu denen die ganz Großen gehören, Bosch, Conti, Schaeffler oder ZF, aber auch sehr viele Mittelständler, stemmen ein Drittel der Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Sie beschäftigen in Deutschland mehr als 300 000 Mitarbeiter.

FC Bayern
:Hoeneß stützt Winterkorn

Der wegen des Dieselskandals zurückgetretene VW-Chef Martin Winterkorn soll Aufsichtsratsmitglied des FC Bayern München bleiben. "Winterkorn ist gewählt bis 2018, und er wird das Mandat erfüllen", sagte der designierte Präsident Hoeneß.

Die Computer der neuen E-Klasse von Daimler etwa lassen sich über ein Touchfeld am Lenkrad bedienen. Stolz führen sie das bei Daimler vor und sagen dabei auch sehr klar, dass dies ein Zulieferer entwickelt habe: Der Mittelständler Preh aus Unterfranken.

Viel Gewinn bleibt den meisten Zulieferern nicht

76 Milliarden Euro setzte die deutsche Zulieferindustrie im Jahr 2015 um, allzu viel Gewinn bleibt den meisten Unternehmen aber nicht. Denn die Autohersteller haben einen sehr tiefen Einblick in deren Bücher. Wirtschaftsingenieure in Ingolstadt, München, Stuttgart oder Wolfsburg rechnen durch, wie viel dieses und jenes Teil kosten wird, ein wenig Marge gewähren sie, höchstens einstellig. Der Gesamtpreis sinkt üblicherweise jedes Jahr um drei Prozent; die Lieferanten müssen immer effizienter werden.

Bei all dem gibt es eine Hackordnung: Die großen, forschungsstarken Zulieferer an der Spitze, die viele Kunden haben in aller Welt und die komplexe Dinge konstruieren, können bessere Preise durchsetzen als die Kleinen: Sie liefern ganze Automatikgetriebe (ZF), die Motorsteuerung samt Abgasregelanlage (Bosch) oder Sensoren und Computer für Fahrassistenzsysteme (Conti).

Die Zulieferer der Zulieferer wiederum leiden zunehmend. Es sind oft mittelständische Unternehmen. Zwei Drittel von ihnen erklärten in diesem Jahr bei einer Umfrage des Center of Automotive Management, dass der Kostendruck existenzgefährdend sei.

Und beinahe jeder zweite Zulieferer meint, ihre Auftraggeber hätten kein echtes Interesse daran, dass sie nachhaltig wirtschaften. Dass also dieses Prinzip des scheinbar fairen "Gebens und Nehmens", das in der VfL-Arena zelebriert wird, letztlich gar keinen Bestand hat.

Eine Schlüsselfigur bei VW und überhaupt in der Branche ist Francisco Javier Garcia Sanz. Er ist Einkaufsvorstand des Wolfsburger Konzerns - und zugleich Aufsichtsratschef des konzerneigenen VfL Wolfsburg.

Wenn Garcia Sanz in der Arena auf der Tribüne sitzt, dann interessiert manche Gesprächspartner nur am Rande, ob der VfL unten auf dem Rasen gewinnt oder verliert. Dann ist wichtig, was oben in den Logen besprochen wird.

Garcia Sanz wird als knallharter Verhandler gefürchtet. Erst kürzlich zeigte dies ein Rundschreiben. VW müsse auch bei den "Beschaffungskosten deutlich effizienter werden", verkündete Garcia Sanz. Er wolle die Reserven mobilisieren. "Das wollen wir kooperativ erreichen, aber auch mit der notwendigen Konsequenz, um wettbewerbsfähig zu bleiben."

Denn ob ein Hersteller Gewinn macht, entscheidet sich nicht zuletzt im Einkauf. Und bei VW ist der Druck wegen der Dieselaffäre, die Milliarden an Strafe und Schadensersatz kostet, besonders hoch.

Diesel-Affäre
:VW-Musterverfahren zugelassen

Die zahlreichen Schadensersatzklagen von Anlegern gegen Volkswagen sollen nicht einzeln, sondern in einem Musterverfahren vor dem OLG Braunschweig geklärt werden.

Ist also bei den beiden jetzt streikenden sächsischen Firmen, der ES Automobilguss und Car Trim, der Preisdruck zu groß geworden? Manche in der Branche vermuten das. Ein deutscher Zulieferer, der den beiden Streikenden still und heimlich Respekt zollt, sagt: "Die betreiben da Harakiri und stehen wahrscheinlich mit dem Rücken zur Wand."

Streit könnte mit einem Eigentümerwechsel zu tun haben

Aber es könnte noch andere Gründe für den Lieferstreik geben. Aus Wolfsburg heißt es, der Streit könne mit einem Eigentümerwechsel zu tun haben und einem Wechsel im Geschäftsgebaren.

Tatsächlich wurden die beiden sächsischen Firmen vor einiger Zeit von einer Unternehmensgruppe namens Prevent übernommen. Diese in Wolfsburg ansässige Holding hat auch Tochtergesellschaften in Brasilien - und diese wiederum sollen sich mit der brasilianischen VW-Dependance verkracht haben. Von schwankender Qualität bei einem Entwicklungsauftrag ist die Rede - ob es stimmt, ist unklar.

Die Unternehmensgruppe Prevent mit mehr als 500 Millionen Euro Jahresumsatz ist mit ihrer Wolfsburger Zentrale nahe der Autostadt und der VW-Arena ansässig. Der Weg zu Volkswagen, zu einem der Hauptkunden, ist für die Prevent-Manager kurz, sehr kurz.

Vor allem die Getriebeteile bringen VW in Not

Aber die Distanz zwischen den beiden Unternehmen könnte derzeit kaum größer sein. In VW-Kreisen erzählt man sich jedenfalls: Vor der Übernahme durch Prevent habe es nie Probleme gegeben mit den beiden früher eigenständigen Firmen aus Sachsen. Zuverlässig habe man die Getriebeteile und Sitzbezüge bekommen.

Nun sei plötzlich alles anders. Baut da ein Zulieferer mit gezielten Firmenkäufen eine Gegenmacht zu VW auf, um den Spieß umzudrehen? Um Volkswagen von sich abhängig zu machen?

Vor allem die Getriebeteile für den Golf, die ES Automobilguss zurückhält, bringen VW in Not. Daran sei, heißt es in der Autobranche, Volkswagen freilich auch selbst schuld. VW habe sich beim Golf größtenteils nur auf diesen einen Zulieferer verlassen. Dabei gilt: Man sollte sich trotz all der Spezialisierung in diesem Gewerbe nie von einem Lieferanten abhängig machen. Man sollte immer zwei Partner haben, um notfalls ausweichen zu können.

"Die Art und Weise, in der VW mit Zulieferern umgeht, ist in keiner Weise akzeptabel"

Wie wichtig derlei Getriebekomponenten sind, zeigte sich vor wenigen Jahren beim Zulieferer Honsel: Dieser stellte solche Teile her wie jetzt die streikenden Sachsen und ging pleite. Auch auf Bitten von Autoherstellern kaufte der große ZF-Konzern diesen Lieferanten, damit die Produktion sichergestellt ist.

Honsel insolvent
:Heuschrecke zerlegt Automobilzulieferer

Das Muster passt: Trotz glänzender Geschäfte muss Honsel Insolvenz anmelden. Der Automobilzulieferer hat eine Heuschrecke im Haus, die ihren Einstieg größtenteils kreditfinanziert hatte.

Prevent sagt, an dem Streit mit VW sei man "nicht beteiligt". Die eigenen Geschäfte mit VW liefen störungsfrei; Car Trim und ES Autoguss seien eigenständige Firmen.

In einer gemeinsamen Pressemitteilung mit Prevent erklären die beiden Unternehmen, der Lieferstreik sei das Ergebnis einer "frist- und grundlosen Kündigung von Aufträgen" durch Volkswagen. Es gehe um einen zweistelligen Millionenbetrag. Da VW einen Ausgleich abgelehnt habe, sei man zu dem Lieferstopp gezwungen.

"Die Art und Weise, in der VW mit Zulieferern umgeht, ist in keiner Weise akzeptabel und kann jeden kleineren Betrieb in den Ruin treiben", sagt ES-Geschäftsführer Alexander Gerstung. Das hört sich nicht nach einem baldigen Ende des Konflikts an. Es könnte also noch länger dauern, bis der Golf wieder vom Band rollt.

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: