Autoindustrie:VW will mit voller Härte gegen streikende Zulieferer vorgehen

Lesezeit: 3 min

Autoproduktion im Stammwerk von VW in Wolfsburg. Viele Fahrzeuge laufen wegen des Streiks zweier Zulieferer nicht mehr wie gewohnt vom Band. (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)
  • Weil zwei Autozulieferer den VW-Konzern bestreiken, rollen mehrere Modelle nicht mehr wie gewohnt vom Band. Die Golf-Produktion muss voraussichtlich sogar für mehrere Tage komplett gestoppt werden.
  • Etwa 20 000 Beschäftigte mussten zudem bereits oder müssen voraussichtlich bald in Kurzarbeit gehen.
  • VW will mit voller Härte gegen die Zulieferer vorgehen und kann sogar Gerichtsvollzieher losschicken, um die Ware beschlagnahmen zu lassen.

Von Klaus Ott

An Wirtschaftskrimis mangelt es wirklich nicht bei Volkswagen. Heute die Abgas-Affäre, früher der Rotlicht-Skandal. In Wolfsburg, dem Sitz des Konzerns, ist immer etwas los. So einen Fall wie jetzt hat es aber selbst bei VW noch nicht gegeben, und auch sonst nicht in der Autoindustrie.

Weil zwei Zulieferbetriebe Sitzbezüge und Getriebeteile nicht liefern, kommt die Produktion gleich in vier Werken teilweise zum Stillstand. Etwa 20 000 Beschäftigte in Emden, Kassel, Zwickau und Wolfsburg sind entweder bereits oder bald in Kurzarbeit. Mehrere Modelle laufen nicht mehr wie gewohnt vom Band, die Golf-Produktion muss voraussichtlich sogar vom 20. bis 29. August komplett gestoppt werden.. Das hat VW nach der immens teuren Abgas-Affäre gerade noch gefehlt.

Gefallen lassen will sich das der Konzernvorstand um Matthias Müller allerdings nicht. Volkswagen kündigte am Donnerstag an, mit voller Härte zu reagieren. Man sei dazu gezwungen, die "zwangsweise Durchsetzung der Belieferung vorzubereiten". Zu diesem Zweck werde VW alle Mittel nutzen, die laut Gesetz möglich seien. "Dazu gehören Ordnungsgeld, Ordnungshaft, Beschlagnahme, die über das Gericht beantragt werden." Parallel dazu bemühe man sich weiterhin, wie bisher schon, um "eine gütliche Einigung". Darauf deutete zuletzt allerdings immer noch nichts hin, obwohl Volkswagen in beiden Fällen bereits vor dem Landgericht Braunschweig vorläufig obsiegt hat.

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VW kann nun Gerichtsvollzieher losschicken und die Ware eintreiben lassen

Volkswagen wartet seit Tagen vergeblich auf Sitzbezüge der Firma Car Trim aus Plauen und auf Getriebeteile von ES Automobil Guss aus Schönheide, beides in Sachsen gelegen. Car Trim begründet den Lieferstopp laut Gericht damit, dass man noch Geld von VW bekomme. Allein im VW-Werk in Emden sind inzwischen schon knapp 8000 Beschäftigte in Kurzarbeit.

Ein Zulieferstreik in der deutschen Autoindustrie, das ist genauso ungewöhnlich wie die juristische Lage in diesem Fall. Beim Landgericht Braunschweig hat VW zwei Verfügungen erwirkt. Car Trim und ES Guss müssten ihre für die Produktion bei Volkswagen dringend nötigen Teile jetzt herbeischaffen, tun dies aber nicht. Nach Angaben der Braunschweiger Justiz hat VW nun das Recht, Gerichtsvollzieher loszuschicken. Die könnten dann die Sitzbezüge und Getriebeteile pfänden und von Sachsen zu den VW-Werken schaffen lassen.

Zu diesem oder einem ähnlichen Mittel will der Wolfsburger Autokonzern nun in der Tat greifen und all das beschlagnahmen lassen, was gebraucht wird, damit Kunden nicht vergeblich auf den Golf und andere Modelle warten. Vielleicht fahren demnächst also Gerichtsvollzieher mit Lkw-Kolonnen in Sachsen vor. Gerichtsvollzieher, die dann gleich eine ganze Firmen-Produktion pfänden anstatt wie sonst üblich Schmuck und Gemälde, oder Möbel und Fernseher. Das klingt so, als ob einem Krimiautor die Fantasie durchginge. Doch so ist nun einmal die juristische Lage in diesem Fall, in dem es so aussieht, als sei VW das Opfer.

Immerhin hat das sich von Volkswagen und zwei VW-Tochterunternehmen angerufene Landgericht Braunschweig bislang ganz auf die Seite des Autokonzerns geschlagen. Und gegen Car Trim wie auch gegen ES Guss einstweilige Verfügungen erlassen, die deutlicher kaum hätten ausfallen können. Das Gericht verpflichtete Car Trim per Urteil dazu, VW zumindest bis Mai 2017 weiter mit Sitzbezügen zu versorgen. Die ES Automobil Guss GmbH muss VW und die Konzernmarke Skoda sogar bis Februar 2018 weiter mit Getriebeteilen bedienen. So sieht es ein Beschluss des Landgerichts Braunschweig vor.

ES Guss hat Widerspruch eingelegt. Ende August wird in Braunschweig bei der 1. Kammer für Handelssachen weiter über die Getriebeteile verhandelt. Car Trim ist nach Angaben der Justiz bislang nicht in Berufung gegangen. Trotz Widerspruchs, trotz möglicher Berufung könnte VW nach Darstellung des Gerichts in beiden Verfahren nun Gerichtsvollzieher losschicken.

Eigentlich wollen die Zulieferer ja im Geschäft bleiben

Was aber bewegt zwei mittelständische Zulieferer, bei einem ihrer wichtigsten Abnehmer die Produktion teilweise zum Stillstand zu bringen? Sich derart heftig mit einem der ganz Großen in der Branche anzulegen, was in der Autoindustrie beinahe als "Selbstmord" gilt, wie Insider sagen. Eigentlich will man ja im Geschäft bleiben, nicht nur bei Volkswagen. Das Landgericht Braunschweig teilt auf Nachfrage mit, Car Trim mache neben formalen Einwänden ein "Zurückbehaltungsrecht" für die vertraglich vereinbarten Lieferungen der Sitzbezüge geltend. Mit dem Argument, man habe aus einem "gescheiterten Projekt" noch finanzielle Ansprüche gegen Volkswagen. Einen Lieferstreik hat das Landgericht deshalb aber nicht als gerechtfertigt betrachtet.

Die ES Automobilguss GmbH aus Schönheide gehört seit November vergangenen Jahres zur Prevent Group, einer mittelständischen Unternehmensgruppe mit mehr als einer halben Milliarde Euro Jahresumsatz. Prevent ist ebenso wie VW in Wolfsburg ansässig und arbeitet für viele Abnehmer, in vielen Ländern. Quer durch Europa bis nach Brasilien. Auch die neue Tochter ES Guss läuft gut. Zu den Kunden gehören neben Volkswagen und mehreren VW-Töchtern wie Audi nahe alle anderen namhaften Autohersteller: Daimler, Fiat, Ford, Opel und andere. Verlässlichkeit ist eines der wichtigsten Güter in dieser Branche. Jeder Hersteller ist darauf angewiesen, dass sämtliche Fahrzeugteile rechtzeitig ankommen, damit die Produktion nicht ins Stocken kommt.

Anruf bei Jürgen Becker, einem der beiden Geschäftsführer der neuen ES-Muttergesellschaft Prevent. Ob man mit ihm darüber reden könne, was da im Umgang mit Volkswagen gerade passiere? Das Telefonat dauert nicht einmal eine Minute, die Bitte um Auskünfte bleibt unerfüllt. Daran habe man kein Interesse, betont Becker, sagt "Tschüss" und beendet das Gespräch. Auch die Prevent-Tochter ES Guss äußert sich nicht. "Unsere Unternehmensgruppe befindet sich in einer juristischen Auseinandersetzung mit Volkswagen und ist in diesem Zusammenhang auch zur Vertraulichkeit verpflichtet", sagte Alexander Gerstung aus der ES-Geschäftsführung der Deutschen Presseagentur.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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