Als die Aufsichtsratssitzung am Donnerstagabend früher als erwartet zu Ende war, gab es für den scheidenden Chef noch ein paar warme Worte, so wie meistens, wenn einer geht, oder besser: gehen muss. "Matthias Müller hat Herausragendes für den Volkswagen Konzern geleistet", lobte der VW-Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch. Müller habe "im Herbst 2015 den Vorstandsvorsitz übernommen, als das Unternehmen vor der größten Herausforderung seiner Geschichte stand". Und es stellt sich die Frage: Wenn Müller, der auf dem Höhepunkt der Dieselkrise im Spätsommer 2015 den langjährigen VW-Boss Martin Winterkorn ablöste, so "Herausragendes" geleistet hat, warum muss er dann eigentlich gehen? Eine Frage, auf die es nach der Sitzung keine Antwort gab.
Für Müller kommt nun Herbert Diess, ein Mann, der erst im Sommer 2015 zu VW gerufen wurde und dort bisher als Chef der Stammmarke VW arbeitete - von Anfang an aber wohl mehr im Sinne hatte, als nur der Chef einer Marke zu sein. Bei VW klingt das am Donnerstagabend so: Diess habe "bei der Neuausrichtung der Marke Volkswagen eindrucksvoll bewiesen, mit welchem Tempo und mit welcher Konsequenz er tief greifende Transformationsprozesse umsetzen" könne. Das könnte im Umkehrschluss bedeuten: Was der eine offenbar kann, hatte man dem anderen wohl nicht mehr zugetraut. Diess, 59, hatte schon als Vorstand bei BMW bewiesen, wie sich Kosten drücken und Gewinne steigern lassen. Deswegen hatte man ihn im Juli 2015 abgeworben. Er verließ BMW, nachdem dort mit Harald Krüger ein anderer als er selbst Konzernchef werden durfte.
Volkswagen:Dieser Mann soll VW umbauen
Der Automanager Herbert Diess hat sein Ziel erreicht: Er wird Matthias Müller an der Spitze des Automobilkonzerns ablösen. Über einen Mann, der kein Problem damit hat, sich Feinde zu machen.
Müllers Millionen-Vertrag läuft eigentlich bis 2020
Seine Rezepte sollten auch bei der chronisch renditeschwachen Marke VW mit den Brot- und Butter-Marken Golf und Passat Wunder wirken - auch deshalb schwenkten die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch auf den Neuen um. Dass nun gleichzeitig mit Gunnar Kilian, 43, ein enger Vertrauer des mächtigen Betriebsratschefs Bernd Osterloh, in den Vorstand einzieht und dort für das Personal zuständig sein wird, könnte ein Indiz sein für einen im Grunde typischen VW-Deal: Der eine, Diess, wird von den Arbeitnehmervertretern unterstützt bei seinem Weg nach ganz oben. Der andere, der als Pressesprecher Osterlohs begann und als Geschäftsführer des Betriebsratsbüros als oberster Strippenzieher des streitbaren Arbeitnehmervertreters galt, wird dafür ins oberste Management entsandt. Nicht wenige glauben: als verlängerter Arm des Betriebsrats. Dass Müllers Millionen-Vertrag eigentlich bis 2020 läuft, dass er sein Gehalt bis dahin weiterbeziehen wird - in einem Großkonzern wie VW sieht man über solche Ausgaben gerne hinweg.
Diess ist nun mit einer Macht ausgestattet, die sein Vorgänger nie hatte: Er wird nicht nur Chef des Gesamtkonzerns, sondern wird gleichzeitig auch eine neue Markengruppe mit dem Namen "Volumen" führen, in der die Marken VW, Seat und Skoda gebündelt werden. Außerdem ist er verantwortlich für die Entwicklung und die Fahrzeug-IT. Auch wenn Diess nun so viel Macht auf sich vereint: Ziel des Großumbaus bei VW soll angeblich sein, künftig weniger zentral zu führen. Dazu werden zusätzlich die Markengruppen "Premium" (Audi) und "Super Premium" gegründet. Zu den Gewinnern der großen Rochade gehört Audi-Chef Rupert Stadler, der zwar in den vergangenen Monaten immer wieder im Zuge der Dieselaffäre in die Kritik geraten war. Müller wollte ihn deshalb aus dem Amt drängen, doch nun kommt der zweite Frühling: Stadler wird als Gruppen-Chef aufgewertet und künftig auch für den Konzernvertrieb zuständig sein.
Porsche-Chef Oliver Blume soll Leiter der "Super Premium"-Gruppe mit Porsche, Bentley, Bugatti und Lamborghini werden. Die Personalien Kilian, Stadler und Blume zeigen: Es gibt in diesem Spiel nicht nur Verlierer, sondern auch eine ganze Reihe von Gewinnern. Anders als der bisherige Beschaffungsvorstand Francisco Javier Garcia Sanz, ein VW-Urgestein und Weggefährte Müllers. Er verlässt den Konzern.
Die Lkw-Sparte soll zurück nach München ziehen
Rücktritte, Rauswürfe, und ein großer Umzug: Schon im Vorfeld der Sitzung hieß es aus Kreisen des Aufsichtsrats, die Zentrale des unter dem Namen "Volkswagen Truck & Bus GmbH" firmierenden Geschäfts werde aus Braunschweig nach Oberbayern verlagert - darauf hätten sich die Arbeitnehmer und Arbeitgeber bereits geeinigt. Hier in München sollen dann nach SZ-Informationen Bereiche wie Finanzen, Marketing, Kommunikation, Strategie, Recht und Personal angesiedelt werden. In Södertälje, am schwedischen Stammsitz der Lkw-Schwester Scania, sollen dann Produktplanung, Forschung und Entwicklung sowie der Einkauf des Bereichs angesiedelt werden.
Es gehe darum, einen Ausgleich zwischen den Interessen herzustellen, sagen an dem Vorgang Beteiligte. Nur eines wird es wohl nicht geben: eine Rückkehr in die alten MAN-Büros in der Münchner Ungererstraße. Zum einen, weil die in der Zwischenzeit an Audi vermietet wurden. Zum anderen, weil man ein Signal für einen Neuanfang in München setzen wolle. Dafür sondiere man jetzt einen ganz neuen Standort. Das Nutzfahrzeuggeschäft soll unabhängig werden und möglicherweise an die Börse gehen.
Einer, der von diesem Plan lange überzeugt werden musste, soll der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gewesen sein. Dass die VW-Nutzfahrzeugsparte ihren Hauptsitz von Braunschweig nach München verlagern will, muss dem Politiker aus Hannover ein Dorn im Auge sein. Es geht um Jobs, um Steuern und um Standortpolitik. Wie schwierig das ist, zeigte sich auch am Donnerstagabend: Zu der Verlagerung war offenbar noch kein Beschluss gefallen.
All das, was an diesem Donnerstag beschlossen wurde, soll VW nach der Dieselkrise erneuern. Ob es wirkt, wird sich erst noch zeigen.