Manchmal geht es ziemlich schnell, und ganz anders als gedacht. Es ist gerade einmal drei Wochen her, da beschrieb VW-Chef Matthias Müller in einem Interview, wie er sich das künftige Topmanagement des Autoherstellers vorstellt: Weiblicher. Jünger. Internationaler. So wie es aussieht, dürfte der Aufsichtsrat bei seiner Sitzung an diesem Freitag überraschend einen neuen Chef bestellen, und der ist männlich, geht auf die 60 zu und kommt aus München. Er ist also irgendwie ganz anders, als sich Müller das noch vor einigen Tagen vorgestellt hatte.
Es ist das immer gleiche Spiel bei VW: Müller, ein altes VW-Gewächs, war im September 2015 von den Eigentümerfamilien an die Spitze geholt worden, weil der damalige Konzernchef Martin Winterkorn wegen der Dieselaffäre zurücktreten musste. Keine drei Jahre später nun die nächste Volte: Müller, der Mann, der nie einen Hehl daraus machte, wie sehr ihn der Rummel um die VW-Dieselaffäre und die Diskussion um sein Millionengehalt nerven, und dem man stets anmerkte, dass Wolfsburg nicht seine Stadt war, ist bald weg. Obwohl sein Vertrag noch bis zum Jahr 2020 läuft.
Volkswagen:VW-Chef Müller steht vor dem Aus
Nach der Diesel-Affäre wollen die VW-Eigentümerfamilien einen Strategiewechsel im Konzern. Nachfolger soll offenbar Markenchef Diess werden. Die Aktie des Autobauers legt kräftig zu.
Als es bei BMW nicht zum Vorstandschef reichte, machte er rüber zu VW
Und Diess ist endlich am Ziel und das in einem Alter, in dem man als Topmanager bei BMW bereits in Rente gehen darf. Der Aufstieg des selbstbewussten - einige sagen sogar: sehr selbstbewussten - Managers Diess begann bei BMW in München. Werksleiter Oxford, Chef der BMW-Motorradsparte, ab 2007 im Vorstand zuständig für den Einkauf. Es waren die prägenden Jahre des Herbert Diess: Am Ende waren Vorstandschef und Hauptaktionäre zufrieden, denn der im direkten Gespräch immer sehr freundlich lächelnde Herr Diess steigerte mit seinen Preisverhandlungen Gewinn, Rendite und Aktienkurs. Die Zulieferer aber, bei denen Diess einkaufte, keuchten und ächzten unter dem knallharten Dealer Diess. Wer damals mit ihm zu tun hatte, berichtete von langen Verhandlungsrunden, in denen - je nach Perspektive - mal gepokert, mal gequält, mal ausgequetscht wurde. Eigentlich aber wollte der Mann gar nicht den Rest seines Lebens mit Preisverhandlungen und Zulieferern verbringen und den harten Hund geben, sondern BMW-Chef werden. Doch das wollte auch ein anderer. Und tatsächlich entschieden sich die Eigentümer damals gegen Herbert Diess und für Harald Krüger. Krüger galt als der Ausgewogenere, der Ruhigere, der Zurückhaltendere von den beiden. Insofern hatte er von Anfang an besser zur BMW-Kultur gepasst.
Und Diess? Der machte, als der andere zum BMW-Chef ausgerufen wurde, rüber zum Rivalen VW. Nicht wenige fanden, dass dies konsequent sei, weil er da eh besser hinpasse. Diess, der Ausquetscher, Pokerspieler und Stratege, war ein Mann ganz nach dem Geschmack des damaligen VW-Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch.
Als VW-Markenchef hatte er dann viel Macht, aber nicht die ganze Macht. Dafür muss man erst VW-Chef werden - und so arbeitete Diess auf sein neues Ziel hin. Erste Regel: Terrain klären, Kante zeigen, ein bisschen sympathisch sein, aber auch nicht zu viel. Diess hat kein Problem damit, Feinde zu haben. Und noch weniger, sich neue Feinde zu machen. Und so legte er sich mit den notorisch starken Arbeitnehmervertretern an, allen voran Betriebsratschef Bernd Osterloh, brütete Sparpläne aus, und tat das, was er sehr gut kann: pokern.
Diess mag Autos und mal einen Spaß
Auffällig war aber auch: Wenn es im Konzern große strategische Würfe zu verkünden gab, dann war Diess am Start. Zum Beispiel die Ankündigung, Elektroauto-Marktführer im Jahre 2025 zu sein - ein Fall für Diess. Nur "die allerwenigsten Dinge" würden im Unternehmen "so bleiben, wie sie sind", sagte er mal und machte damit ganz nebenbei klar, was er von seinen Vorgängern hielt. Aber da Diess solche Sätze mit einem Lächeln sagt, braucht es eine Weile, bis sie bei denjenigen, an die sie gerichtet sind, auch ankommen.
Volkswagen:Die Gier hat einen Namen
Mit erbärmlichen Argumenten verteidigt VW das Millionengehalt von Vorstandschef Müller. Den Managern fehlt jegliches Gespür für die Verantwortung, die sie tragen.
Er mag Autos, aber auch mal einen kleinen Spaß: Als Diess im vergangenen Jahr einen Interviewtermin bei der Süddeutschen Zeitung hatte, da ließ er sich nicht von einem Chauffeur in einem Luxuswagen aus dem Konzern vorfahren. In der Autoindustrie gibt es genug Chef-Limousinen und Fahrer. Diess aber hatte sich einen Golf GTI gewählt, weiß, Sportvariante. Und - klar - er fuhr den Wagen selbst. Ist das nun Understatement oder die wahre Natur des Herbert Diess? Vielleicht ein bisschen von beidem.
Nur eines stört, der Amtsantritt bei VW war gewissermaßen ein paar Tage zu früh. Es gibt da einen Termin, von dem sich Diess wohl gewünscht hat, er wäre niemals dabei gewesen. Es war der 27. Juli 2015, Ort: die Konzernzentrale in Wolfsburg. Diess war gerade erst einige Wochen bei Europas größtem Autobauer, und so stand er an jenem Tag am sogenannten Schadenstisch - eine Art Heiliger Gral in der Technik-Welt des damaligen VW-Chefs Martin Winterkorn. Es ging bei diesen Routinerunden um aktuelle technische Probleme, um Lösungen, und manchmal auch darum, Kollegen vor versammelter Mannschaft zusammenzustauchen. An jenem Tag jedenfalls sollen VW-Ingenieure gegenüber Winterkorn den Abgasbetrug in den USA gebeichtet haben - jenen Skandal, der dann zwei Monate später in den USA ans Tageslicht kam. Diess war dabei, und die Frage, die immer wieder gestellt wurde, lautet: Wie ist der Ex-BMWler mit der Sache umgegangen? Aus Industriekreisen hieß es seinerzeit, der Neuling aus Bayern habe nachgefragt und sich angeboten, selbst mit den amerikanischen Behörden über die Sache zu verhandeln.
Der Mann, der nur wenige Wochen vor dem Auffliegen der Dieselbetrügereien zum VW-Konzern kam, hat dennoch Strafermittlungen am Hals. Es geht um den Vorwurf, dass Volkswagen-Vorstände - darunter eben auch er - die Öffentlichkeit zu spät informiert hätten damals im Spätsommer. Die Ermittlungen laufen derzeit, das ist unangenehm. Aber Diess macht business as usual.
Diess war zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle
In den vergangenen Wochen machte der Manager abseits des juristischen Parketts jedoch Punkte gut im Abgas-Skandal. Immer noch ein wenig verdruckst, aber doch so deutlich wie kein anderer Automanager hat er Mitte März bei der Jahrespressekonferenz der Marke VW eingestanden, dass die Automobilbauer vielleicht formaljuristisch im Recht sind, wenn sie die ganze Zeit betonen, ihre Autos seien ordnungsgemäß zugelassen - aber moralisch vielleicht nicht. Es gebe "eine Diskrepanz zwischen den Vorgaben an die Emissionswerte, die Automobilhersteller erfüllen, und den Zielwerten in den Städten", sagte Diess. Und: "Ich fühl mich auch da ein bisschen mitverantwortlich. Weil man diese Entwicklung, die in den letzten Monaten eskaliert ist, vielleicht schon ein bisschen vorab hätte sehen können", gestand er. "Wenn wir uns die Zahlen genau angeguckt hätten - wir, ich sag mal, Entwickler in der Autoindustrie hätten wahrscheinlich gemerkt, dass die Stickoxidwerte in den Städten nicht schnell genug fallen." Ein knapper Satz zwar, aber ein bemerksenswerter: Selbstkritik und Reflexion sind seltene Tugenden bei Automanagern.
Rein zufällig sagt Diess so etwas nicht - er grenzte sich damit auch von Müller ab. Der musste sich in seiner Amtszeit immer wieder für unsensible Worte rechtfertigen, zuletzt vor allem wegen seines Millionengehaltes, und bekam dafür reichlich Kritik. Diess nutzte seine Zeit bei VW hingegen meist, um in aller Ruhe über Elektroautos, Strategien und die Firmenkultur zu reden. Abwarten, ein bisschen provozieren, aber insgesamt keine Fehler machen - Diess beherrscht das Spiel. Er ist nicht weiblich, nicht jung und nicht international. Aber er dürfte der nächste VW-Chef sein.