Volkswagen:Einigung mit den US-Behörden - jetzt muss VW vorsorgen

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Zahllose VW-Kunden sind vom Abgasskandal betroffen: Im Bild: Das VW-Werk Emden mit Autoterminal (Foto: dpa)
  • Der Volkswagen-Konzern hat sich in der Abgasaffäre mit den US-Behörden auf ein Eckpunkteprogramm geeinigt.
  • VW könnte nun betroffene Dieselwagen zurückkaufen und dazu einen "substanziellen Schadenersatz" an die Besitzer zahlen.

Von Thomas Fromm und Claus Hulverscheidt, New York

Man kann sich leicht täuschen in diesem Charles R. Breyer, denn ein Mann der lauten Worte, des Getöses und der Inszenierung ist der 74-Jährige wahrlich nicht. Mit ruhiger Stimme führt er durch die Anhörung im 17. Stock des Gerichtsgebäudes von San Francisco, eine kleine Spitze hier, eine bisschen Ironie dort - kein Grund für die Verfahrensbeteiligten, sich nicht wohl zu fühlen. Dass man Breyers freundliche Art aber nicht mit Nachgiebigkeit verwechseln sollte, das wissen Kläger wie Beklagte spätestens seit jener Runde im März, bei der ihnen der Bundesrichter für die Zusammenkunft an diesem Donnerstag einen klaren Auftrag erteilte: "Holen Sie diese die Umwelt verpestenden Autos von der Straße!"

Zivilklagen von Kunden, Konkurrenten und der Regierung kommen noch hinzu

Der Wolfsburger Volkswagen-Konzern und die US-Umweltbehörde EPA haben ihn verstanden: Am Donnerstag legten sie einen Plan zur Lösung der "Diesel-Problematik" vor, wie VW den Skandal um manipulierte Abgastests beschönigend nennt. Einen Patzer hätte sich VW nicht leisten können. Auf den letzten Metern noch ein Streit mit Breyer? Bloß nicht. In Wolfsburg hat man großen Respekt vor ihm. Das jetzt vorgelegte Paket ist eher eine Grundsatzvereinbarung als ein abschließender Plan, die Parteien haben bis zum 21. Juni Zeit für eine detaillierte Einigung. Aber darum ging es nun auch gar nicht.

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Betroffen sind 625 000 Kleinwagen, darunter viele Autos von Nissan. Der Konzernchef hat die Manipulationen bereits zugegeben.

Wichtig ist: Man ist einen großen Schritt voran gekommen. "Ich bin sehr angetan, mitteilen zu können, dass die Parteien einen konkreten Plan vorgelegt haben", sagte Breyer zu Beginn der Gerichtsanhörung. Im Grundsatz sieht die Lösung so aus: VW kauft die betroffenen Dieselwagen zurück und zahlt einen "substantiellen Schadenersatz" an die Besitzer. Statt zu verkaufen, können die Halter ihre Autos auch umrüsten lassen. Über die Höhe des Schadenersatzes schwiegen die Teilnehmer am Donnerstag. Zuvor kursierten Zahlen von bis zu 5000 Dollar pro Fahrzeug, was Insider allerdings als zu hoch einschätzten.

So oder so: Es ist ein robustes finanzielles Paket, das die Wolfsburger hier schultern müssen - und das allein in den USA. Der Konzern muss daher Vorsorge treffen. Schon im dritten Quartal des vergangenen Jahres hat er für die Reparatur seiner elf Millionen mit der Diesel-Software verseuchten Autos die sagenhafte Summe von 6,7 Milliarden Euro zurückgestellt. Doch das war nur der Anfang: Laut der US-Nachrichtenagentur Bloomberg hat Volkswagen jetzt mindestens zehn Milliarden Dollar für den Vergleich in den USA zur Seite gelegt, um die Zivilklagen der Kunden, der Konkurrenten und der dortigen Regierung abzuwenden. Eine Geldstrafe wegen des Verstoßes gegen Umweltgesetze und Täuschung der Behörden käme noch oben drauf. Wie hoch die Summe aussieht, werden erst die kommenden Wochen zeigen.

Sehr gut möglich, dass das Unternehmen das vergangene Geschäftsjahr daher mit einem Milliarden-Verlust abschließt. Eine neue Erfahrung, nachdem man jahrelang Rekordgewinne eingefahren hat.

Die Zahl der Klagen nimmt zu und die vielen offenen Rechnungen verändern den Konzern mit seinen 600 000 Mitarbeitern mehr, als ihm lieb ist: Milliarden müssen eingespart werden, in den Werken, in der Verwaltung, bei den Leiharbeitern. Ein Gigant, der noch bis zum Herbst das Ziel hatte, größter Autoproduzent der Welt zu werden, spart sich kleiner - das ist einer der Kollateralschäden dieses Abgasskandals.

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Trotzdem ist Breyers Zustimmung zu dem Kompromiss für VW der erste große Befreiungsschlag, seit der Skandal Mitte September in den USA aufflog. Zwar sind gerade einmal fünf Prozent der betroffenen Fahrzeuge dort zugelassen. Das finanzielle Risiko ist wegen der weitreichenden Entschädigungsmöglichkeiten, die das US-Recht getäuschten Kunden einräumt, aber erheblich höher als in vielen anderen Ländern. Viele US-Kunden befürchten, dass ihr Auto durch die Reparatur der Abgasanlage ein paar PS an Motorleistung verlieren wird. Allein das könnte ein Grund für Entschädigungsansprüche sein - vom gesunkenen Wiederverkaufswert der Fahrzeuge ganz zu schweigen.

Denn, so sagen die Kritiker: Selbst wenn ein Fahrzeug zurückgerufen und repariert wird - für viele bliebe es am Ende doch immer eine dieser alten Dieselkisten mit der bösen Software. An diesem Freitag sollen die Verhandlungsergebnisse auch dem VW-Aufsichtsrat vorgelegt werden. Es dürfte ein heikles Treffen werden, nicht nur wegen der Milliardenkosten in Übersee. Denn der Vorstand muss erklären, ob er auf seine millionenschweren Sonderboni für das vergangene Jahr verzichten will. Mitarbeitern und der Öffentlichkeit, auch in den USA, wären Sonderzahlungen schwer zu vermitteln.

Erst einmal war der Donnerstag für die VW-Verantwortlichen aber ein Tag zum Durchschnaufen, denn so teuer ein Vergleich in den USA ohne Zweifel ausfallen wird: Gemessen an den unkalkulierbaren finanziellen Folgen eines Prozesses dürfte er noch das kleinere Übel sein. Breyer hatte bereits im März klar gemacht, dass er nicht gewillt ist, Autos mit einem gesetzeswidrig hohen Schadstoffausstoß weiter auf den Straßen des Landes zu dulden - und er betonte nun erneut, dass die betroffenen Fahrzeuge "regelwidrig" zwischen New York und San Francisco unterwegs seien.

Zugleich hatte Breyer aber auch schon wieder Muße, sich nach dem Befinden von VW-Anwalt Robert Giuffra zu erkundigen. Dieser sagte auf eine entsprechende Frage des Richters, die vergangenen beiden Monate seien vermutlich die härtesten seiner 25-jährigen Berufslaufbahn gewesen. "Nächsten Monat haben Sie noch einmal die Chance, diesen Rekord zu brechen", so Breyer mit der ihm eigenen feinen Ironie. "Dann sind Sie dreifacher Rekordhalter."

© SZ vom 22.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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