Stickoxid-Emissionen:Die Autobauer müssen das Abgas-Schlupfloch endlich schließen

Zu hohe Abgaswerte bei Dieselautos

Viele Hersteller machen sich bei den Dieselautos das "Thermofenster" zunutze, um bei niedrigen Temperaturen die Abgasreinigung herunterzuregeln.

(Foto: dpa)

Sinken die Temperaturen, lässt die Abgasreinigung ihrer Dieselautos nach: Im Gegensatz zu VW handeln andere Autohersteller aber offenbar legal - weil sie das "Thermofenster" nutzen.

Kommentar von Thomas Fromm

Wenn die Affäre um geschönte Abgasmessungen bei Volkswagen etwas Gutes hat, dann dieses: Die Debatte über die betrügerische Software in Dieselmotoren, mit deren Hilfe bei Messungen zwischen Prüfstand und normalem Straßenverkehr unterschieden werden konnte, hat im Lauf der Monate eine ganze Branche in den Fokus gerückt. Auch wenn nach jetzigem Kenntnisstand nur Volkswagen mit der trickreichen Methode operiert hat: Auch viele andere Hersteller schießen nach den jüngsten Messungen mit ihren Abgaswerten weit über zulässige Grenzen hinaus - über Grenzen, die ja nicht zufällig als solche definiert wurden; sie sollen Mensch und Natur schützen.

Anders als bei VW soll das Vorgehen angeblich legal sein, die Industrie beruft sich sogar auf eine Verordnung der Europäischen Union zum Motorschutz. Es ist aber deshalb nicht weniger trickreich.

Die Abgasreinigung in den Dieselmotoren funktioniert auf dem Prüfstand hervorragend - bei 20 Grad Raumtemperatur und mehr liefert sie die perfekten Abgaswerte. Sie funktioniert auch auf der Straße - im Sommer und auch im Frühling, zumindest tagsüber. Sinkt aber die Temperatur weiter ab, zum Beispiel auf unter zehn Grad, dann fährt auch die Abgasreinigung zurück, um den Motor und seine vielen Leitungen zu schützen.

Das "Thermofenster" steht im Winter besonders weit offen

"Thermofenster" nennt man das in der Branche. Je tiefer das Thermometer sinkt, desto mehr Stickoxide werden in die Nacht hinausgeblasen. Das "Thermofenster" ist also, wenn man so will, eine Art Schlupfloch für Stickoxide. In kalten Nächten, wenn die Temperaturen runtergehen, und auch im Winter steht es besonders weit offen. Dann ist die Luft auf den Straßen besonders schlecht.

Die Hersteller müssen das Fenster endlich schließen, und auch der Gesetzgeber ist nun gefragt: Mehr als ein halbes Jahr, nachdem die Manipulationen bei VW-Dieseln bekannt wurde, könnte nun auch bei den anderen der Stickoxid-Ausstoß eingedämmt werden. Es darf bei der Abgasreinigung keinen Unterschied machen, ob der Wagen im Juni oder im Januar fährt.

Kunden, die einen Diesel kaufen, wissen von diesem Fenster in der Regel nichts. Ihr Wagen ist ja zugelassen, deshalb kaufen sie in der Gewissheit, dass hier alles seine Ordnung hat.

Auch die Kunden gehören zu den Getäuschten

Von wegen - sie selbst gehören zu den Getäuschten. Wer mit einem modernen Dieselmotor fährt, hat ein kleines und kompliziertes Chemiewerk an Bord. Das, was im Motor passiert, wenn die Abgas-Reinigung nicht der Temperatur angepasst wird, nennen die Ingenieure "Versottung": Kohlenwasserstoff, Kondenswasser und Ruß bilden im Lauf der Zeit eine schwarze, glibberige Masse, die die Leitungen am Motor immer mehr verstopft. Ein unappetitlicher, fester Schleim.

Und so kommt es zu dieser absurden Abwägung: Die Hersteller schalten die Abgasreinigung bei niedrigeren Außentemperaturen herunter - zum Schutze des Motors. Stattdessen sollten sie es technisch hinkriegen, sie auch im Winter hochzufahren - zum Schutze der Bürger.

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