Verkehr:Maschinen mit 200 PS - Wie viel Motorrad braucht der Mensch?

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München (dpa/tmn) - Vor nicht mal zwei Jahrzehnten leisteten Motorräder in Deutschland maximal 100 PS. In diesem Jahr überschreiten einige Supersportmaschinen die 200-PS-Marke. Hightech oder Wahnsinn auf zwei Rädern?

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München (dpa/tmn) - Vor nicht mal zwei Jahrzehnten leisteten Motorräder in Deutschland maximal 100 PS. In diesem Jahr überschreiten einige Supersportmaschinen die 200-PS-Marke. Hightech oder Wahnsinn auf zwei Rädern?

Wer bis 1999 beim Motorrad den Gashahn aufdrehte, musste sich mit höchstens 100 PS begnügen. Dann trat im Juni des Jahres die EU-Betriebserlaubnis in Deutschland in Kraft, und zugleich endete das freiwillige 100-PS-Limit. Das Wettrüsten begann.

Jetzt schießen einige Hersteller über die 200-PS-Marke hinaus, wenn auch nur mit wenigen Modellen: Die Klasse der Supersportler hat am Motorradmarkt einen Anteil von 6,8 Prozent - ein Bruchteil davon leistet mehr als 150 PS. Ab nächster Saison gibt es fünf Superbikes mit 200 PS oder mehr: Aprilia RSV4 RR, Ducati 1299 Panigale, Yamaha YZF-R1, Kawasaki Ninja H2 und die BMW S 1000 RR, bei der zwar „nur“ 146 kW/199 PS im Datenblatt stehen, die Zeitschrift „Motorrad“ aber 206 Pferdestärken gemessen hat.

„Nicht alle Supersportler haben 200 PS, so viel Leistung finden Sie nur bei wenigen Motorrädern in der Top-Liga. Der Name Supersportler sagt wenig über die Leistung aus“, erklärt Achim Kuschefski vom Institut für Zweiradsicherheit (ifz). Deren wesentlicher Vorteil sei das relativ geringe Gewicht um die 200 Kilo oder weniger. Dadurch sind sie sehr dynamisch und doch leicht zu handhaben.

„Der Reiz bei 200-PS-Motorrädern liegt nicht in der Höchstgeschwindigkeit und der Beschleunigungskraft“, sagt Kuschefski. Sie seien nicht schneller als andere Supersportler mit weniger Leistung. Wegen der Gefahr abhebender Vorderräder (Wheelie-Neigung) werden Leistung und maximale Beschleunigung elektronisch begrenzt. „Ab einer gewissen Leistung sind Unterschiede beim Beschleunigen kaum auszumachen. Der Reiz liegt in der Kraftreserve“, sagt der ifz-Leiter.

Eine ganze Reihe von Fahrerassistenzsystemen sorgt dafür, dass die Spitzenleistung beherrschbar und nutzbar ist. Dazu zählen zum Beispiel kurventaugliches ABS und eine Wheelie-Kontrolle, die das Aufsteigen des Vorderrads beim harten Beschleunigen verhindert. Oder auch die Traktionskontrolle, damit das Hinterrad beim Gasgeben nicht durchdreht - auch nicht in Schräglage. Ebenfalls hilfreich sind verschiedene Fahrmodi: So wird im Regen-Modus die Leistungsentfaltung und die Höchstleistung begrenzt. Ein semiaktives Fahrwerk passt automatisch die Federelemente während der Fahrt an.

„Die Elektronik überwacht alle Fahreingriffe“, sagt Kuschefski. In den unteren Gängen wird die Leistung stark abgeregelt, anders wären die Maschinen nicht zu beherrschen. „Das passiert sanft, so dass der Fahrer es kaum mitbekommt.“ Dennoch sollte jeder Pilot - egal ob mit 20 oder 200 PS - seinem Fahrzeug mit Respekt gegenübertreten.

„Supersportmotorräder als Hightech-Aushängeschilder erreichen dank modernem Motorenbau und höherer Effizienz die 200-PS-Marke“, sagt Reiner Brendicke vom Industrie-Verband Motorrad (IVM). Als integralen Bestandteil der Entwicklung sieht er den intensiven Einsatz von Assistenzsystemen. Die Supersportler seien Produkte, bei denen die Industrie zeigt, was technisch möglich ist. „Die Assistenzsysteme bedeuten mehr Sicherheit und machen einen situationsangepassten Einsatz der hohen Leistung möglich.“ So lasse sich mit den Supersportlern täglich zur Arbeit fahren. „Topspeed ist heute kein Diskussionsthema mehr - was zählt, ist das Fahrverhalten.“ Die Hersteller regeln ihre Maschinen bei 299 km/h ab.

Auch wenn es so scheint, als ob die Zweirad-Boliden über Nacht auf den Markt kamen: Die Entwicklung vollzog sich langsam. „Die Leistungssteigerung entwickelte sich in den vergangenen zehn Jahren“, sagt Ruprecht Müller, Motorradexperte beim ADAC. Heute sei es einfacher, die Leistung zu generieren - und sie im Zaum zu halten.

„Die hohe PS-Zahl ist nebensächlich. Entscheidender ist ein hohes Drehmoment“, sagt Müller. Wenn Drehmomentverlauf und Gesamtabstimmung des Antriebs stimmen, sei es unerheblich, ob man 150, 180 oder 200 PS zur Verfügung hat. „Nur wer ständig auf der Rennstrecke im oberen Drehzahlbereich unterwegs ist, wird das Leistungsplus spüren. Im unteren Drehzahlbereich fahren sich Superbikes so leicht wie 600er-Sportler.“ Trotz der Assistenzsysteme sollten Fahrer besonnen bleiben: „Euphorie am Gas ist ungesund“, warnt der ADAC-Mann.

Trotz Leistungsplus, modernster Technik und der optischen Nähe zu reinen Rennmaschinen entwickelt sich das Supersportler-Segment zu einer immer kleineren Nische. Ein denkbarer Grund dafür ist, dass die zusammengekauerte Körperhaltung einfach nicht zum immer älter werdenden Durchschnitts-Biker passt. Vergangenes Jahr sanken die Verkaufszahlen bei den Supersportlern in Deutschland um mehr als 23 Prozent auf knapp über 4500 Fahrzeuge. Die deutlich schwächeren Klassik-Modelle dagegen legten zu - um satte 89 Prozent.

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