Dass US-Geheimdienste im Namen der nationalen Sicherheit und der Terrorabwehr exzessiv Daten sammeln, ist bereits seit Jahren klar. Doch was durch Enthüllungsberichte der Washington Post und des britischen Guardian in der vergangenen Woche herauskam, übersteigt selbst die schlimmsten Befürchtungen. Eine geleakte Präsentation der Militärnachrichtendienstes National Security Agency (NSA) enthüllt, dass die US- Sicherheitsbehörden direkten Zugang zu sämtlichen Daten haben, die Facebook, Apple, Google, Yahoo und andere wichtige Anbieter über ihre Nutzer speichern.
"Prism" heißt das bisher streng geheime Programm, das den Geheimdiensten Zugang zu Verbindungsdaten sowie gespeicherten und verschickten Informationen wie E-Mails, Fotos und Videos verschafft. Seit 2007 existiert es offenbar - auf der Grundlage des sogenannten Protect America Act, damals beschlossen am symbolträchtigen Datum 11. September. Dem Guardian zufolge wird mit den Informationen aus Prism mittlerweile der größte Teil des täglichen Geheimdienst-Briefing für US-Präsident Barack Obama bestritten.
Nachdem die Unternehmen bestritten haben, den Behörden direkten Zugang zu ihren Systemen zu gewähren, äußert sich jetzt die US-Regierung erstmals ausführlicher zu den Berichten - und spielt die Bedeutung der Datensammlung im Internet herunter: US-Geheimdienstkoordinator James Clapper sagt, Prism sei lediglich "ein internes Computersystem der Regierung" und "kein geheimes Programm zum Sammeln oder Aufsaugen von Daten".
Alles legal und nur gegen den Terror
Es diene dazu, das gesetzlich erlaubte Sammeln elektronischer Informationen bei der Auslandsaufklärung zu unterstützen. Die Regierung erhalte Informationen von Servern amerikanischer Internet-Unternehmen auf Gerichtsbeschluss und könne eine Internet-Überwachung nur dann anordnen, wenn es einen "zulässigen und dokumentierten geheimdienstlichen Zweck im Ausland" gebe. Darunter fielen der Kampf gegen den Terrorismus, sowie die Verbreitung von Waffen und Cyber-Bedrohungen.
Alles legal, nicht gegen US-Bürger gerichtet und ausschließlich im Dienste des Kampfes gegen den Terror. Das ist die Version der Geschichte, die Clapper verbreiten will. Außerdem spricht er von "leichtsinnigen Enthüllungen" und wirft den Medien vor, "bedeutende Fehldarstellungen" verbreitet zu haben. "In ihrer Hast zu publizieren, haben die Medien nicht den gesamten Kontext berücksichtigt" und wichtige Informationen außer Acht gelassen, etwa die Tragweite, wie stark die Überwachungsprogramme von allen drei Staatsgewalten beaufsichtigt würden. Nach Angaben von Obamas Vize-Sicherheitsberater Ben Rhodes prüft die US-Regierung deshalb juristische Schritte gegen die Veröffentlichungen.
Der Guardian enthüllt indes weitere Einzelheiten über die weltweiten Überwachungsaktivitäten der US-Geheimdienste. Die Zeitung berichtet von einem System der NSA, das einen Überblick über die gesammelten elektronischen Informationen gebe. "Boundless Informant" - zu deutsch: grenzenloser Informant. Das ist der Name des Programms, das unter anderem anzeigt, wie sich die Daten auf einzelne Länder verteilen.
Allein im März habe die NSA laut des Systems 97 Milliarden Daten-Einheiten aus Computer-Netzwerken in aller Welt gesammelt, heißt es in dem Bericht. Davon entfielen 14 Milliarden auf Iran und 13,5 Milliarden auf Pakistan. Mittels einer Farbskala von grün bis rot lasse sich darstellen, wie intensiv die Sammlung in einem bestimmten Land sei. Auch in den USA selbst seien in diesem Zeitraum mehr als drei Milliarden Daten-Einheiten erfasst worden.
Wenn "Boundless Informant" tatsächlich so funktioniert wie in dem Guardian-Bericht beschrieben, steht das in krassem Widerspruch zu Aussagen die Geheimdienstkoordinator Clapper noch im März in einer Anhörung vor dem US-Senat gemacht hat. "Sammelt die NSA in irgendeiner Form Daten über Millionen oder Hunderte Millionen von Amerikanern?", fragte damals der demokratische Senator Ron Wyden. "Nein", antwortete Clapper damals.
NSA-Sprecherin Judith Emmel sagte in Reaktion auf die jüngsten Berichte, dass die Identität und der Standort der Gesprächsteilnehmer nicht mit letzter Sicherheit erfasst werden könnten. Das habe ihre Behörde gegenüber dem Kongress auch stets so angegeben. Allerdings reicht die Datensammlung der NSA dem Guardian zufolge immerhin bis zur IP-Adresse. Diese lässt sich zwar verschleiern, liefert aber in der Regel zumindest die Stadt, von der aus ein Internet-User aktiv ist.
Aus dem Guardian-Artikel geht auch hervor, dass die US-Kongressabgeordneten zunehmend verärgert sind über die Informationspolitik der NSA. In mehreren Anhörungen haben sie sich vergeblich darum bemüht, von der NSA Zahlen zum Ausmaß der Überwachung in den USA zu erhalten.
Obama hatte das Programm am Freitag verteidigt: Das Prism-Programm sei vom Kongress gebilligt und stets mit überparteilicher Zustimmung erneuert worden. Die Abgeordneten seien "vollständig informiert" und die Anwendung der Programme zudem nur unter "sehr eng" definierten Umständen zulässig. Man könne nicht "100 Prozent Sicherheit und 100 Prozent Privatsphäre und null Unannehmlichkeiten haben", sagte der US-Präsident. Der Geheimdienst schaue auf die Telefonnummern und die Dauer der Anrufe, "aber sie schauen nicht auf die Namen der Leute und den Inhalt".
Vielleicht erklärt sich die Schweigsamkeit der NSA, über deren genaue Tätigkeit die US-Öffentlichkeit kaum etwas weiß, mit der Abkürzung. Die, so sagen Kritiker scherzhaft, stehe in Wirklichkeit für "Never Say Anything". Sag niemals irgendetwas.
Mit Material der Nachrichtenagenturen