Übernahmekampf um Alstom:Siemens pokert im Präsidentenpalast

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Wer darf Alstom übernehmen? GE und Siemens geben ihre Angebote bei Präsident Hollande ab. Was die Produktpaletten betrifft, passen die Amerikaner eigentlich besser zu den Franzosen. Doch für Siemens geht es um zweierlei: den französischen Markt und einen psychologischen Vorteil.

Von Christoph Giesen und Claus Hulverscheidt

Der eine vormittags, der andere am frühen Abend, so hat Frankreichs Präsident François Hollande sie einbestellt, die Chefs von Genereal Electric (GE) und Siemens. Zuerst kam der Amerikaner Jeffrey Immelt in den Élysée-Palast, gegen 18 Uhr war dann Siemens-Boss Joe Kaeser dran, mit seiner Delegation dem Staatspräsidenten sein Angebot für den angeschlagenen Energiekonzern Alstom zu unterbreiten.

Auf Betreiben der französischen Regierung war Siemens am Wochenende in den Bieterkampf eingestiegen und hatte angeboten, die Energiesparte von Alstom zu übernehmen und im Gegenzug den Franzosen das Geschäft mit den Hochgeschwindigkeitszügen zu überlassen. Geht der Siemens-Plan auf, werden der TGV und der ICE künftig von Alstom produziert. Doch bis es so weit ist, müssen erst noch die Gremien befragt werden. Schon am Dienstag soll nach SZ-Informationen der Siemens-Aufsichtsrat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenkommen. Am Mittwoch tagt dann wahrscheinlich der Alstom-Verwaltungsrat.

Bis dahin kann Siemens auch mit der Unterstützung der deutschen Regierung rechnen. Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums sagte, eine Kooperation von Siemens und Alstom biete "große industriepolitische Potenziale" für beide Länder. Die Bundesregierung sei an einer engen Zusammenarbeit mit Frankreich im Bereich der Energiewirtschaft stark interessiert. Ressortchef Sigmar Gabriel (SPD) hat demnach nicht nur mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über den Fall gesprochen, sondern auch mit der Siemens-Führung sowie Vertretern der französischen Regierung. Gabriel stehe "im permanenten Kontakt mit allen Betroffenen", hieß es. Ähnlich äußerte sich auch Regierungssprecher Steffen Seibert.

Spürbare Folgen für den Industriestandort Deutschland

Merkels und Gabriels klare Parteinahme für das Siemens-Konzept ist ungewöhnlich, da sich die Bundesregierung üblicherweise aus Fusions- und Übernahmeverhandlungen privater Unternehmen heraushält. Dass sie es diesmal nicht tut, zeigt, welch große Bedeutung sie dem Fall beimisst und dass sie für den Fall eines Zusammengehens der Alstom-Kraftwerkssparte mit GE spürbare Folgen für den Industriestandort Deutschland befürchtet. Selbst aktiv ist die Bundesregierung in den laufenden Gesprächen allerdings nach eigenem Bekunden bisher nicht.

Ein wenig skeptischer beurteilt die Regierung ganz offensichtlich die Auswirkungen der Pläne von Siemens und Alstom auf den Markt für Hochgeschwindigkeitszüge. Die staatseigene Deutsche Bahn wäre bei einem Zustandekommen des deutsch-französischen Tauschgeschäfts aus Mangel an Alternativen künftig womöglich gezwungen, ICE-Züge von Alstom zu kaufen. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums lehnte eine Stellungnahme zu diesem Aspekt ab. Doch gerade der Tauschvorschlag - Energiegeschäft gegen ICE - könnte zum entscheidenden Argument für den Deal werden. Schaut man sich die Produktpaletten von Siemens und GE an, fällt auf: Zwischen den Deutschen und Franzosen gibt es etliche Überlappungen, GE passt eigentlich besser zu Alstom, und doch scheint Siemens derzeit die besseren Karten zu haben.

Das liegt vor allem an der ICE-Offerte. Neben dem Versprechen drei Jahre lang keine Arbeitsplätze in Frankreich abzubauen, lockt die Regierung in Paris die Aussicht, dass Alstom zum wichtigsten Hersteller von Hochgeschwindigkeitszügen aufsteigen könnte und somit wenigstens ein prestigeträchtiger "europäischer Champion" von Frankreich aus geführt würde.

Übernahme wäre auch bei Offshore-Windanlagen für Siemens sinnvoll

Für Siemens wäre eine Alstom-Übernahme vor allem ein psychologischer Erfolg, mal wieder den großen Wettbewerber GE ausgestochen zu haben. Zudem könnte Siemens endlich den französischen Markt knacken, der bisher eher schwer zugänglich gewesen ist. Etwa 2,1 Milliarden Euro setzt der Münchner Konzern dort derzeit um. GE erlöst in Frankreich viermal so viel. Wirtschaftlich betrachtet wäre der Deal für Siemens vor allem im margenstarken Kraftwerksservicegeschäft und in der Wasserkraft attraktiv. Derzeit ist der Konzern lediglich über ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem schwäbischen Maschinenbauer Voith im Wassergeschäft aktiv und weltweit die Nummer drei. Alstom liegt auf Position zwei. Gemeinsam wäre man mit Abstand Marktführer.

Auch bei Offshore-Windanlagen ist aus Siemens-Sicht eine Übernahme sinnvoll. Mit Windmühlen auf hoher See haben eigentlich nur Siemens, ABB und eben Alstom Erfahrung, GE ist blank. Erst kürzlich bekam Siemens den Auftrag, den größten Seewindpark der USA vor der Ostküste zu installieren. Für GE wäre es eine Chance gewesen aufzuschließen. Doch diese Möglichkeit könnte nach dem Auswahlverfahren im Präsidentenpalast vorüber sein

© SZ vom 29.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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