Fahrdienstleister:Uber und Lyft spielen ein gefährliches Spiel

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Konzerne wie Lyft sehen sich nicht als Arbeitgeber ihrer Fahrer, sondern nur als Vermittler. (Foto: Stephen Lam/Reuters)

Ein neues Gesetz in Kalifornien verpflichtet Fahrdienstvermittler dazu, ihre Fahrer als Angestellte zu behandeln. Die Konzerne wehren sich - und wollen notfalls ein Franchise-Modell einführen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Luigi soll es also richten, der lange Lulatsch und Bruder von Klempnerlegende Mario. Beim Fahrdienstvermittler Uber benennen sie Projekte nach Figuren der Videospiel-Serie, und es passt schon, dass sie in diesem Fall nicht Prinzessin oder Pilz gewählt haben, sondern einen Handwerker. Sie müssen nämlich, genau wie Konkurrent Lyft, viel reparieren, wenn sie von Donnerstag an ihre Fahrer im US-Bundesstaat Kalifornien wegen des Gesetzes mit dem langweiligen Namen AB5 als Angestellte behandeln müssen. Eine Möglichkeit offenbar, über "Projekt Luigi" eine Rohrleitung darum zu legen: Franchising.

Es gibt das Gesetz bereits seit Anfang des Jahres, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass es die Fahrdienstvermittler einfach mal ignoriert haben. Sie argumentieren, Tech-Konzerne zu sein und nicht Teil der Transportbranche. Im Mai sind sie von Kalifornien verklagt worden, und sie haben sich daraufhin verhalten wie der Mario-Bösewicht Bowser - was sie übrigens schon oft getan haben bei juristischen Problemen: Sie haben gedroht, die Geschäfte in der jeweiligen Region einzustellen und damit für Furor bei Fahrern und Gästen gesorgt. Die Marktmacht hat sehr oft dazu geführt, dass Gesetzgeber eingeknickt sind.

Diesmal jedoch hat das nicht funktioniert. "Es ist die alte Frage: Wenn im Wald ein Baum fällt, und niemand ist da, der es hört - gibt es dann ein Geräusch?", fragt Risikokapitalgeber Bradley Tusk, der Uber immer wieder in juristischen Angelegenheiten beraten hat. Der Konzern hatte geplant, die Geschäfte in Kalifornien in dieser Woche einzustellen und dann bei der Wahl im November ein Referendum für eine Ausnahme vorzuschlagen. Wegen der Corona-Pandemie allerdings ist die Nachfrage nach Personentransporten drastisch gesunken, Tusk sagt deshalb: "Der Aufschrei dürfte kleiner sein und vor allem von den Fahrern kommen."

Der Oberste Gerichtshof von Kalifornien hat am Montag entschieden, dass die beiden Konzerne ihre Fahrer innerhalb von zehn Tagen als Angestellte behandeln müssen. Sie würden also Anspruch auf gesetzliche Mindestlöhne, bezahlte Überstunden, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Arbeitslosenversicherung haben.

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Die Konzerne sehen sich jedoch nicht als Arbeitgeber, sondern als Vermittler von Selbständigen, und sie vermarkteten die Vorzüge dieser so genannten Gig Economy offensiv: Fahrer konnten selbst über ihre Arbeitszeiten bestimmen, sie waren unabhängig von Vorgesetzten oder Gewerkschaften, von Dienstplänen und Vorgaben wie Maximalstunden und Pausen. Das alles beeindruckte die kalifornischen Richter aber nicht, und die Konzerne gingen deshalb erst einmal auf Konfrontationskurs. Uber-Chef Dara Khosrowshahi sagte, dass sein Unternehmen "quasi bis November dicht macht, bis die Wähler entscheiden". Kurz darauf ergänzte Lyft-Mitgründer John Zimmer beim Telefonat anlässlich der Quartalszahlen, dass seine Firma gezwungen sei, "die Fahrdienstvermittlung in Kalifornien einzustellen, wir können nicht einfach so den Schalter umlegen". Allerdings blieb der öffentliche Aufschrei aus - zum einen, weil die Leute wissen, dass die Unternehmen nun mehr als sieben Monate Zeit hatten, diesen Schalter umzulegen. Zum anderen, weil sie in Kalifornien gerade mit anderen Problemen zu kämpfen haben als mit bockigen Tech-Konzernen.

Uber zum Beispiel, das geht aus internem Mailverkehr hervor, über den zuerst die Washington Post berichtet hatte, bastelt bereits seit knapp einem Jahr an "Projekt Luigi". Es sollte etwa den Fahrern ermöglichen, das Ziel und damit den Fahrpreis schon vorab zu erfahren und eine Fahrt ohne Strafe absagen zu können. Damit wollte das Unternehmen seine Argumentation stärken, dass die Fahrer selbständig seien.

Die für November vorgeschlagene Resolution Prop 22 sieht vor, dass Vermittler, zu denen auch Lieferdienste wie Instacart, Doordash oder Postmates gehören, die vom aktuellen Gerichtsurteil aber nicht betroffen sind, den Fahrern Zugeständnisse machen, ohne sie fest anstellen zu müssen. Uber und Lyft sollen jeweils einen zweistelligen Millionenbetrag investiert haben, um Prop 22 zu bewerben. Der Ausgang der Abstimmung ist unklar, weshalb aus dem jeweiligen Umfeld beider Unternehmen zu hören ist, dass sie sich auf eine Niederlage vorbereiten. Lyft soll den Franchise-Plan bereits dem Aufsichtsrat vorgestellt haben, Uber das Geschäftsmodell prüfen.

Es wäre nicht neu, in Deutschland und Spanien arbeitet Uber zum Beispiel schon mit Betreibern von Fahrzeug-Flotten zusammen, ähnlich soll es dann auch in Kalifornien funktionieren: Uber und Lyft würden Fahrten an die selbständigen Betreiber vermitteln, die würden sich um Autos und Fahrer kümmern. Das Transport-Unternehmen Fedex verfährt so in einigen Märkten, wo regionale Firmen die Auslieferung von Paketen übernehmen.

"Das Gesetz könnte ihnen das Genick brechen."

Man könnte nun sagen: Na ja, ist ja nur Kalifornien. Nur: Lyft erzielt 16 Prozent seiner Gesamteinnahmen in dem Bundesstaat, wo auch die Firmenzentrale liegt. Und Gerichtsurteile und das Ändern des Geschäftsmodells in Kalifornien haben gewöhnlich weitreichende Auswirkungen auch an anderen Orten. Es würde zum einen bedeuten, dass die Tech-Konzerne mit anderen Firmen kooperieren müssten und so teilweise jene Unternehmen auf ihre Seite bekommen müssten, die sie mit ihrer aggressiven Expansion in den vergangenen Jahren so geärgert haben. "Es ist eine wichtige Entscheidung", sagt Dan Ives von der Analysefirma Wedbush Securities: "Das Gesetz könnte ihnen das Genick brechen."

Ives schätzt die Kosten auf 200 Millionen Dollar (Lyft) und 500 Millionen Dollar (Uber) pro Jahr - egal, ob nun das Gesetz AB5 greift oder ein Franchise-Modell eingeführt wird. Das wären keine guten Nachrichten für beide Konzerne, die gerade auch wegen der Corona-Pandemie schlechte Quartalszahlen vorgelegt haben: Bei Lyft sankt der Umsatz um 61 Prozent auf 339,3 Millionen Dollar, der Verlust lag bei 437,1 Millionen Dollar. Uber verzeichnete Einnahmen-Einbußen um 29 Prozent und einen Verlust von 1,8 Milliarden Dollar.

In den Super-Mario-Spielen gibt es an dramaturgisch wertvollen Stellen die Möglichkeit, über einen Stern unverwundbar zu werden. Für Uber und Lyft ist das noch immer das Durchsetzen von Prop 22 im November. Allerdings gilt im Spiel wie auch im wirklichen Leben: Verlassen sollte man sich darauf nicht.

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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