Thyssenkrupp:Wasserstoff statt Hochofen

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"Wir wissen, was zu tun ist", sagt Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz. (Foto: Julia Sellmann/Julia Sellmann)

Mit dem Verkauf der Aufzugssparte hat Thyssenkrupp die Überschuldung abgewendet. Doch womit will der Ruhrkonzern in Zukunft wachsen? Investoren sehen vor allem einen Hoffnungswert.

Von Benedikt Müller-Arnold, Düsseldorf

Blackbox heißt ein System, dessen Aufbau niemand kennt, dessen Inneres dunkel ist. Wenig schmeichelhaft also, wenn Ingo Speichs Worte zur Online-Hauptversammlung mit dieser Metapher beginnen. "Die zukünftige Strategie von Thyssenkrupp", sagt der Vertreter des Fondshauses Deka, "ist eher eine Blackbox als ein Fels in der Brandung."

Es steht nicht gut um Thyssenkrupp. Der mit 100 000 Beschäftigten größte Industriekonzern des Ruhrgebiets leidet seit Jahren unter seiner gescheiterten Stahl-Expansion nach Amerika. Seine Geschäfte vom Autoblech bis zum U-Boot werfen insgesamt zu wenig ab. Voriges Jahr haben die Essener ihre Aufzugssparte verkauft, um eine Überschuldung abzuwenden. 17 Milliarden Euro brachte die profitable "Perle" ein. Doch danach, in der Corona-Krise, waren Thyssenkrupps Produkte wochenlang kaum gefragt.

"Immer noch schmelzen die Milliarden wie Butter in der Sonne", moniert Henrik Pontzen von Union Investment. Fünf Milliarden Euro verlor Thyssenkrupp ohne die Aufzüge im vorigen Geschäftsjahr. Der Trend müsse aufhören, warnt der Investor. "Das entscheidet über das Schicksal des einst so stolzen Konzerns."

Der Konzern will im März entscheiden, ob er nach den Aufzügen auch die Stahlwerke verkaufen wird

Blackbox, Brandung, Schicksal: Martina Merz vermeidet derlei Worte. "Wir wissen, was zu tun ist", sagt die Ingenieurin, die Thyssenkrupp seit 2019 führt. Im März will sie entscheiden, wem künftig die Stahlwerke mit 27 000 Beschäftigten an Rhein und Ruhr gehören sollen. Die Sparte gilt als Herzstück des Konzerns.

Doch sie litt schon vor der Pandemie darunter, dass es weltweit zu viele Stahlwerke gibt, gemessen am Bedarf. Zudem muss die Branche Milliarden in klimaschonende Technik investieren, wenn sie eine Zukunft in Europa haben will. "Kein Stahlhersteller kann diese Transformation aus eigener Kraft stemmen", konstatiert Merz.

Daher sucht Thyssenkrupp einen Käufer oder Partner für die derzeit verlustreiche Sparte. Bislang bietet nur Liberty Steel; die Firma des Unternehmers Sanjeev Gupta hat in Vorjahren vor allem Weiterverarbeitungswerke in Europa übernommen. Thyssenkrupp prüfe die Offerte zwar sorgfältig, sagt Merz, es gebe aber "zu einer Reihe komplexer Themen noch Klärungsbedarf".

Alternativ erwägt Thyssenkrupp, den Stahl in eine neue Firma abzuspalten oder doch im Konzern zu halten; dann müssten die Werke freilich noch mehr sparen als geplant. "Bislang haben sich alle Optionen für die Stahlsparte zerschlagen", moniert Investor Pontzen. Ein Grund: Die Pensionsverpflichtungen allein der Stahlwerke summieren sich auf bald vier Milliarden Euro.

Thyssenkrupp prüft, wie das Geschäft mit Wasserstoff-Anlagen mit weiteren Partnern schneller wachsen könnte

Neben dieser Sparte will Thyssenkrupp weitere Geschäfte, die zuletzt Geld verbrannten, verkaufen oder in Partnerschaften abspalten. Darunter der Bau von Zementanlagen, für den Merz bislang kein überzeugendes Angebot sieht. Oder die Sparte Bergbaumaschinen, über deren Verkauf man nun mit dem dänischen Konkurrenten FLSmidth verhandelt.

Doch woraus soll Thyssenkrupp ohne Perle und womöglich ohne Herzstück bestehen? Merz bekennt sich zum internationalen Werkstoffhandel, weiten Teilen des Autozuliefergeschäfts, zum Schmiedegeschäft und dem Bau von Wälzlagern, etwa für Windräder. Es sind Sparten mit zuletzt knapp 60 000 Beschäftigten.

Und dann ist da ein Hoffnungsträger, der fast auf der Verkaufsliste gelandet war: Die Tochter Thyssenkrupp Uhde Chlorine verkauft Elektrolyseure, die aus Wasser mit viel Strom Wasserstoff erzeugen. Dieser kann - erneuerbar erzeugt - Brennstoffe wie Öl oder Gas ersetzen: etwa in Fabriken, Flugzeugen oder Kraftwerken. "Der ganze Markt entwickelt sich sehr dynamisch", sagt Merz. Daher prüfe man, wie das Geschäft mit weiteren Partnern noch schneller wachsen könnte.

Deka-Vertreter Speich bezweifelt, ob Thyssenkrupp sowohl in den Stahl als auch in die Wasserstoffproduktion investieren kann. Schlussendlich müsse sich der Konzern für einen Bereich entscheiden, fordert der Investor. Seine Präferenz ist klar: "Wasserstoff", sagt Speich, "ist der einzige wirkliche Leuchtturm bei Thyssenkrupp."

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