Die Libelle wird nicht fliegen, vorerst zumindest nicht. Dragonfly, zu Deutsch Libelle, so heißt ein Projekt des Internetkonzerns Google für den chinesischen Markt. Geplant ist nach Berichten amerikanischer Medien eine App für die Internetsuche, die sich der chinesischen Zensur beugt und herausfiltert, was den Machthabern in Peking nicht genehm ist. Menschenrechtler zeigten sich empört, aber auch firmenintern gibt es demnach Kritik an den Plänen.
So schnell wird daraus aber ohnehin nichts werden. Die staatlich kontrollierte chinesische Zeitung Securities Daily schreibt unter Berufung auf "relevante Abteilungen", die Berichte über Googles Pläne seien falsch. Sowohl das investigative Internet-Nachrichtenportal The Intercept wie auch die New York Times hatten davor von Gesprächen mit Google-Mitarbeitern berichtet, die nicht nur bestätigten, dass es das Projekt gebe. Es hätten auch Gespräche mit der chinesischen Staatsführung stattgefunden, die schon begonnen hätten, bevor Präsident Donald Trump den Handelskrieg mit China angefangen habe.
Zusammenarbeit mit US-Militär:Krieg steckt in der DNA des Silicon Valley
Im Geschäft mit dem Tod stecken Milliarden US-Dollar. Auch Google erlag der Verlockung, eng mit dem US-Militär zu kooperieren. Doch der Protest vieler Mitarbeiter führte nun zum Ausstieg aus einem Großprojekt.
Nicht namentlich genannte Google-Mitarbeiter legten der Times auch interne Mails vor, in denen sich Kollegen darüber beschweren, dass ihr Arbeitgeber seine Prinzipien aufgeben und sich den immer strenger werdenden Zensurvorschriften in China beugen wolle.
Viele US-Internetkonzerne zensieren bereits Inhalte für China
Der Konflikt der Internetfirmen zwischen Geschäft und Moral in China ist so alt wie der Aufschwung des Internets zum Massenmedium, und er betrifft nicht nur Google alleine. Schon Anfang der 2000er-Jahre war das Internet-Unternehmen Yahoo in die Kritik geraten, weil es den chinesischen Behörden dabei geholfen hatte, Nutzer ihrer Dienste zu identifizieren. Daraufhin waren Dissidenten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Die Business-Plattform Linkedin, die inzwischen zu Microsoft gehört, zensiert Inhalte in China. Auch der iPhone-Konzern Apple kam Peking entgegen und entfernte Apps aus seinem Download-Angebot in China, mit denen sich die Internetüberwachung durch den Staat umgehen ließ.
Google dagegen hatte 2010 seine Internetsuche in China eingestellt, weil das Unternehmen zum einen die strengen Zensurauflagen nicht erfüllen wollte und zum anderen, weil es nach eigener Darstellung von einer schweren Hacker-Attacke getroffen wurde, als deren Urheber man indirekt China verantwortlich machte. Google wurde damals geführt von Larry Page und Sergej Brin. Heute leitet Page die Konzernmutter Alphabet, Brin ist deren Präsident. Für die Cashcow Google zeichnet seit 2015 der in Indien geborene Sundar Pichai verantwortlich. Pichai hat schon öfter erkennen lassen, dass er in China besser Fuß fassen wolle und zu Zugeständnissen bereit sei.
Dass so viele Internet-Konzerne auf den chinesischen Markt drängen, obwohl es ihnen die dortige Regierung keineswegs leicht macht, hat einen sehr einfachen Grund: Dieser Markt ist riesig. China ist das Land mit den meisten Internetnutzern weltweit, fast 800 Millionen Chinesen sind online. Das sind aber nur knapp 55 Prozent der Bevölkerung - weiteres Wachstum ist also zu erwarten. In den westlichen Ländern dagegen gibt es kaum noch Wachstum, in Deutschland liegt die Durchdringungsrate mittlerweile bei gut 96 Prozent, in den USA bei nahe 90 Prozent.
Wer also weiter substanziell wachsen will, muss neue Märkte erschließen, und sei es mit Zugeständnissen, die man eigentlich nur ungern macht. Doch der Handelsstreit zwischen den USA und China verschärft die Situation. Das bekam vor Kurzem auch Facebook zu spüren. Das US-Unternehmen eröffnete in China ein Innovationszentrum, eigentlich eine Goodwill-Aktion. Der Facebook-Konzern wollte damit zeigen, dass man China nicht aufgegeben habe, obwohl das Netzwerk und seine Tochterfirmen Whatsapp und Instagram in dem Land verboten sind.
Das Zentrum öffnete zwar kurz seine Pforten, doch schon am nächsten Tag war wieder Schluss. Die Behörden machten das Büro in Zhejiang dicht, als Begründung hieß es, die nationale Internetregulierungsbehörde Cyberspace Administration of China habe sich übergangen gefühlt.
Auch Google hat es in jüngerer Zeit nicht an Zuwendung fehlen lassen: Erst im Juni steckte der US-Konzern 550 Millionen Dollar in den chinesischen Onlinehändler JD.com. Google fördert die Forschung an künstlicher Intelligenz, indem das Unternehmen dafür Ressourcen und Software zur Verfügung stellt. Zudem hat der Konzern in China vor Kurzem eine Übersetzungsapp und eine zum Verwalten von Dateien auf Smartphones veröffentlicht.
Die Electronic Frontier Foundation (EFF), eine US-Stiftung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Freiheitsrechte im Internet zu verteidigen, kritisiert Googles Libellen-Projekt scharf. "Letztendlich", so EFF-Sprecherin Eva Galperin zur Tech-Webseite Wired, "benutzt die chinesische Regierung Google als Propagandawerkzeug - und Google lässt sich benutzen."
Entscheidend ist auch der Handelsstreit zwischen Peking und Washington
Ob das Projekt irgendwann tatsächlich verwirklicht wird, hängt aber auch am amerikanisch-chinesischen Handelsstreit. China kann den Zugang zu seinem Markt als Pfund in diesem Streit nutzen. Zudem wäre es nicht das erste Mal, dass China seine eigene Wirtschaft durch protektionistische Maßnahmen vor ausländischer Konkurrenz schützt. Google hätte es vermutlich ohnehin schwer, im Wettbewerb mit dem bereits etablierten Suchriesen Baidu in China aufzuholen. Wenn die Amerikaner wegen der Zensur nicht mehr zu bieten haben als der Platzhirsch, warum sollten die Menschen dann zu Google wechseln?
Zudem wäre der Schachzug auch schlecht für Googles Image, extern wie intern. Zwei Google-Mitarbeiter, die von der Nachrichtenagentur Bloomberg anonym zitiert werden, verglichen das Projekt Dragonfly bereits mit Project Maven, bei dem Google dem US-Militär Erkenntnisse aus der künstlichen Intelligenz geliefert hat. Google hat den Vertrag nach harscher Kritik nicht verlängert.