Eigentlich ist die Sache klar: Jede Lampe verbraucht eine gewisse Menge Strom, dafür erzeugt sie Licht in einer bestimmten Stärke. Damit der Käufer weiß, wie hell und wie teuer es wird wenn er das Licht anknipst, müssen beide Werte deutlich auf der Lampen-Packung stehen. So kann er das sparsamste Produkt auswählen. Eigentlich.
In der Praxis bekommt der Kunde zwar Angaben zu Leistung und Verbrauch präsentiert. Mit seinem Alltag haben die Zahlen aber nur bedingt zu tun. Dort verbrauchen Lampen in der Regel deutlich mehr Energie, bis sie so hell leuchten wie versprochen. Diese Trickserei zulasten des Kunden und der Umwelt ist nach geltendem Recht legal - und soll es nach dem Willen der EU-Kommission auch bleiben.
Denn anders als versprochen, will die Brüsseler Behörde doch nichts gegen die systematischen Tricksereien mit den Messtoleranzen unternehmen. Das geht aus einem Anfang Februar bei der Welthandelsorganisation (WTO) eingereichten Papier hervor, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach will die Europäische Kommission die Lampen-Hersteller von der Verschärfung der Regeln verschonen. Auf Anfrage wollte sich die Behörde dazu nicht äußern.
Die EU-Kommission kennt das Schlupfloch seit Jahren
Die entsprechende Passage im Entwurf der EU-Kommission liest sich allerdings ziemlich eindeutig. Sie klingt wie ein Eingeständnis des Scheiterns. Nach Angaben der Hersteller, heißt es dort, müssten viele Lampen-Typen sofort komplett vom Markt genommen werden, wenn die Messtoleranzen nicht mehr so ausgenutzt werden dürften wie bisher. Im Klartext bedeutet das, dass die allermeisten Lampen eigentlich so ineffizient sind, dass sie nach geltendem EU-Recht gar nicht verkauft werden dürften - und die Kommission den Herstellern den legalen Verstoß gegen ihre Regeln wohl weiterhin ermöglichen will.
Die Leistungsdaten ihrer Produkte erheben die Hersteller in ihren Laboren selbst - und die EU-Kommission gewährt ihnen dabei bisher große Spielräume, eigentlich um mögliche Messfehler auszugleichen. Das sind die sogenannten Toleranzen. Dank moderner, präziserer Messtechnik wissen die Hersteller aber ziemlich genau, wie effizient ihre Lampen tatsächlich sind. Auf die selbst ermittelten Werte können sie deshalb die alten, hohen Messtoleranzen zulasten der Kunden aufschlagen. Die Lampen verbrauchen damit mehr Strom als auf der Verpackung angegeben - oder sie liefern eben weniger Licht. So ergab beispielsweise eine Untersuchung des Magazins des Schwedischen Verbraucherverbands, dass einige Halogen-Lampen unter Alltagsbedingungen mehr als 20 Prozent schwächer leuchten, als angegeben.
Die EU-Kommission weiß schon seit 2011, dass die Branche das Schlupfloch gezielt und flächendeckend ausnutzt, um besser dazustehen. Das hatte eine Sprecherin im Dezember gegenüber der SZ eingeräumt. Der Fehler liegt dabei in der Ökodesign-Richtlinie der EU: Sie legt unter anderem fest, wie viel Strom eine Lampe bei einer bestimmten Lichtstärke verbrauchen darf und wie hoch die Messtoleranzen sind. Wie genau diese Abweichungen aber verrechnet werden dürfen, ist nicht eindeutig vorgegeben.
Ein Lapsus, den die EU-Kommission an anderer Stelle auf der Lampen-Verpackung längst korrigiert hat: Neben den Leistungsdaten in Watt und Lumen muss dort auch das Energielabel aufgedruckt sein, das die Effizienz auf einer farbigen Buchstaben-Skala von A bis G ausweist. Die Regeln für das Label sind aber in einer anderen Richtlinie festgelegt - und dort wurde die Verwendung der Toleranzen bereits 2012 im Sinne der Verbraucher neu geregelt. Die Konsequenz: Viele Lampen rutschten plötzlich auf der Skala nach unten, und das, obwohl die Angaben zu Stromverbrauch und Leuchtkraft unverändert blieben. Dabei sagen beide Werte nichts anderes aus als die Effizienz.
Insgesamt, so schätzt der europäische Umweltschutz-Dachverband EEB, könnte die EU nun allein durch den fortgesetzten Missbrauch der Toleranzen bei Lampen ihre Stromspar-Ziele im Jahr 2020 um 10,2 Terawatt-Stunden jährlich verfehlen. Das entspricht der Stromerzeugung eines größeren Kernkraftwerks. Hinzu kämen die Mehrkosten für die Kunden, die geschätzt 1,65 Milliarden Euro mehr für Strom bezahlen müssten, als eigentlich versprochen.
Entsprechend scharf kritisierten Verbraucherschützer die Pläne der EU. "Es ist nicht zu rechtfertigen, dass die Lampen-Hersteller aus der Verantwortung genommen werden", sagte ein Sprecher des Europäischen Verbraucherverbands BEUC, zumal die Tricksereien seit Jahren bekannt seien. Gewisse Toleranzen seien technisch zwar nötig, sie müssten aber so niedrig wie möglich bleiben.
Insider halten zehn Prozent Toleranz für überholt
Ähnliche Äußerungen kommen, zumindest hinter vorgehaltener Hand, auch aus der Branche selbst. Hohe Abweichungen seien dank moderner Messtechnik nicht mehr zeitgemäß, sagt etwa ein langjähriger Manager, der namentlich nicht genannt werden möchte. Zwei bis drei Prozent seien heute realistisch. Tatsächlich dürfen die Werte auf der Packung heute aber noch immer um zehn Prozent daneben liegen.
In ihrem neuen Entwurf verweist die EU-Kommission nun auch darauf, dass die Frage der korrekten Verwendung der Messtoleranzen bei Lampen ohnehin am besten an anderer Stelle geklärt werden sollte, etwa wenn die bestehenden speziellen Regelwerke für diesen Bereich überarbeitet werden. Genau das passiert derzeit; die drei bestehenden Leuchten-Verordnungen sollen zum Bürokratieabbau in einer zusammengefasst werden. Schärfere Vorgaben zu den Messtoleranzen finden sich in dem Entwurf, welcher der SZ ebenfalls vorliegt, allerdings auch nicht. Dagegen könnte die Neuregelung nach jetzigem Stand aber dafür sorgen, dass alte, stromfressende Leuchten-Typen vorübergehend wieder in der EU zugelassen werden, obwohl sie längst vom Markt verbannt sind, warnten die Umweltschützer der Coolproducts-Initiative vergangene Woche in einer Analyse.