Es dauert eine Weile, bis Susanne König, 49, die runden Steine holt. Die Innovation des saarländischen Start-ups Nebuma sieht aus wie Kiesel, manche so groß wie Golfbälle und hellgrau, andere, dunkel und so groß wie Murmeln. Sie gibt die Kiesel eigentlich nie aus den Händen, sagt sie. Es könnte ja jemand versuchen herauszufinden, was in ihnen steckt. Was drinnen ist, hat Martin Schichtel, 50, Königs Mann, entwickelt. Es ist ein auf Phosphat basierender Binder. Damit, erzählt König, lasse sich ein "betonähnlicher Stoff" herstellen, der allerdings deutlich bessere physikalische Eigenschaften aufweise als Beton. Die Steine mit dem neuen Binder sind Energiespeicher.
Der Stoff halte, erläutert König, sehr hohe Temperaturen aus - bis zu 1300 Grad Celsius - und kann sehr viel Energie speichern; die Energiedichte liege bei bis zu 1200 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Im Schnitt verbraucht ein Haushalt in Deutschland 2017 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 3126 kWh. "Die Formel für den Binder kennt nur mein Mann", sagt König mit einem Augenzwinkern: "Er hat sie aufgeschrieben - auf Papier."
Um die Technologie zu schützen, stellt Nebuma den betonähnlichen Stoff in einem Werk in der Nähe von Saarbrücken selbst her. Die Steine werden in einer schwarzen Metallbox mit allerhand Technik verbaut, dem Kraftblock, so lautet der Markenname. Es ist ein modulares System. Mehrere Boxen lassen sich kombinieren, um die Speicherkapazität auszubauen. "Unser System ist skalierbar", sagt König. Und nachhaltig sei es auch. Der Speicherstoff bestehe zu 85 Prozent aus recyceltem Material, zum Beispiel Schlacken aus der Stahlproduktion und Sand.
König und Schichtel wollen mit ihrer Anfang 2014 gegründeten Firma ein Stück zum Klimaschutz und zur Energiewende beitragen. "Wenn wir die Erderwärmung drosseln wollen, braucht es mehr erneuerbare Energie, und weil diese maßgeblich von Sonne und Wind abhängt, braucht es gute Energiespeicher, um Produktion und Verbrauch zu entkoppeln", sagt König. Für die Wende steht auch der Name der Firma. Nebuma ist die Abkürzung von "New Energy Building Materials". In den Kraftblöcken lasse sich auch Energie aus der Müllverbrennung speichern oder Abwärme in Fabriken. Einer der Investoren, die Comet Schleifscheiben GmbH, teste das gerade.
Es gibt potente Konkurrenten für Energiespeicher, das weiß König. Siemens Gamesa ist einer davon. Aber Schichtel ist überzeugt von der Technologie, und ein paar Investoren sind es auch, darunter Freigeist, das Investitionsvehikel von Frank Thelen, und die Saarländische Wagnisfinanzierungsgesellschaft. Nebuma beschäftigt derzeit neun Mitarbeiter und will wachsen. In der nächsten Finanzierungsrunde will König einen sieben- bis achtstelligen Betrag einsammeln, um das Geschäft zu internationalisieren.
Jedes Jahr entstehen an der Uni Saarbrücken 20 bis 30 Start-ups
Kraftblock ist ein Beispiel für die saarländische Gründerszene. Das Start-up hat sich im Gründerzentrum auf dem Campus der Universität des Saarlandes in Saarbrücken eingemietet. Jedes Jahr entstünden an der Universität 20 bis 30 Start-ups, erzählt Axel Koch, er leitet das "Dezernat FT: Forschungsmanagement und Transfer" der Universität des Saarlandes. Seinen Titel mag Koch nicht so sehr, er klinge zu sehr nach Verwaltung. "Wir waren eine der ersten Hochschulen mit einem eigenen Inkubator." In dreimonatigen Accelerator-Programmen bekommen die Gründer eine Grundausstattung. Wie gründet man eine Firma? Wie findet man einen Investor? Wie schützt man Name und Produkt?
Koch will nicht nur verwalten, er will mehr: "Wir müssen eine kritische Masse erreichen, um bundesweit wahrgenommen zu werden. Das Saarland allein ist zu klein." In Kooperation mit der Hochschule Trier und weiteren, nahe gelegenen Hochschulen in Rheinland-Pfalz, Luxemburg und Frankreich will er die "kritische Masse" erreichen, um auch attraktiver zu werden für Investoren und Firmen.
Koch hat ziemlich genaue Vorstellungen, was Saarbrücken fehlt. Drei Probleme hat er ausgemacht. Regional gebe es zu wenige Investoren und auch keine Kultur für Start-up-Finanzierungen. Im Saarland seien nur wenige innovative Mittelständler zu Hause, sagt Koch. Jahrzehnte lang haben Stahl und Autoindustrie die Wirtschaft geprägt. Und, so das dritte Problem, überregional sei das Saarland als Gründerland "nicht sichtbar". Die Schwerpunkte der angepeilten Hochschulkooperation hat er auch ausgemacht: künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit und Gaming.
Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit sind auch das Ding der drei Gründer von Seawater Cubes. Wer sie besucht, muss den Campus verlassen. In einer Halle eines alten Ausbesserungswerks der Bahn im Stadtteil Burbach entwickelt das Start-up ein System zur Fischaufzucht. "Die Aufzucht ist voll automatisiert", erklärt Carolin Ackermann, 28: "Nach einer kurzen Einführung kann das jeder." Sie ist für Vertrieb und Marketing zuständig, die Mitgründer Christian Steinbach, 29, und Kai Wagner, 31, für die Technik. Die beiden Ingenieure haben schon an der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HWT) des Saarlandes an solchen Systemen gearbeitet.
In einer der großen Halle steht schon ein Prototyp. Auf dem Display im Schaltkasten flimmern Anzeigen: Salzgehalt 2,4 Prozent, Temperatur 21,9 Grad. Im Becken schwimmen Wolfsbarsche, 7000 Stück. "Unser System eignet sich nur für kleinere Fischarten, erwachsene Thunfische wären zu groß", sagt Ackermann. 55 Kubikmeter Wasser fasst ein Becken. "Wir rechnen mit einem Besatz von maximal 50 Kilogramm pro Kubikmeter Wasser", erzählt Steinbach: "In machen Aquakulturen in Asien sind 300 Kilogramm üblich." Ein System besteht aus drei Containern und einem großen, durchgehenden Becken mit drei Abschnitten, um eine kontinuierliche Produktion zu gewährleisten.
"Unser System ist nachhaltig", sagt Wagner. Die Außenhülle der Anlage stellt Seawater Cubes aus alten recycelten Schiffscontainern her. Das Wasser werde zu 99 Prozent wieder verwendet. "Unser System ist klein, aber das macht es um so attraktiver", sagt Ackermann. Ein Cube koste 250 000 Euro. Etwa 50 Leute seien schon dagewesen, um sich die Fischzucht anzusehen. "Die meisten davon waren Landwirte, die suchen nach anderen oder zusätzlichen Geldquellen, weil die Preise für Milch und Fleisch schlecht sind", sagt Ackermann: "Unsere Anlage passt auch in ein Stallgebäude." Im ersten Quartal 2020 wollen sie die erste Anlage ausliefern.
"Was bringt es denn schon, wenn alle Start-ups nach Berlin gehen?"
Für ihre Firma können sie sich keinen besseren Standort vorstellen als das Saarland. Die Wege seien kurz und die Mieten noch günstig, sagt Ackermann: "Wir sind ein Anlagenbauer. Wir brauchen Platz. Was bringt es denn schon, wenn alle Start-ups nach Berlin gehen?" Es ist definitiv keine Frage. Sie seien heimatverbunden, sagen die drei Lokalpatrioten, sie wollen im Saarland Arbeitsplätze schaffen.
Das will auch Marc Grewenig, 32. Fanomena, die Firma, die er gemeinsam mit Max Ulbrich 2015 gegründet hat, sitzt in einem Hinterhofgebäude in der Stadt. Fanomena entwickelt Software. Mit der Software Eventbaxx lassen sich sogenannte Microsites bauen, das sind stark abgespeckte Internetseiten, die auf die Nutzer zugeschnitten sind. Unternehmen können die Microsites auf Messen und anderen Veranstaltungen nutzen, um Interessenten personalisiert anzusprechen.
Einer der ersten Kunden war der österreichische Konzern Red Bull mit seinem Wohltätigkeitslauf Wings for Life World Run. Grewenig erklärt das Prinzip: Über eine webbasierte App meldet sich der Nutzer, in diesem Fall der Läufer an. Auf Basis seiner Daten erhält er dann personalisierte Werbung und Gutscheine von den Sponsoren des Rennens. "Man muss Inhalte zur richtigen Zeit mit dem richtigen Kunden teilen." Die Zielgruppe wird in einzelne Segmente zerlegt. "Je mehr Daten, umso besser der Zuschnitt", sagt Grewenig: "Aber der Kunde und Nutzer bleibt jederzeit Herr über seine Daten." Ausgewertet würden sie nur anonymisiert.
"Die Kunden wollen genau wissen, wie sie, ihre Produkte und ihre Werbung beim Nutzer ankommen", sagt Grewenig: "Im digitalen Zeitalter zählt nur das Messbare." Ihm zufolge nutzen mittlerweile rund 150 Kunden Microsites mit der Software Eventbaxx, auch Firmen wie Facebook oder O'Reilly. "Wir machen hier auch knallharte Kalt-Akquise", sagt Grewenig. Heißt: Seine Vertriebsmitarbeiter versuchen am Telefon, neue Kunden zu gewinnen. Gut zwei Drittel der Kunden kommen aus den USA. "Die fallen nicht gleich rückwärts vom Stuhl, wenn sie für einen solchen Dienst 2000 Dollar zahlen sollen." Die Kunden bezahlen pro Event oder eine monatliche Lizenzgebühr für Eventbaxx.
Gipfelstürmer
Der dritte Gipfelstürmer-Salon findet am 13. September auf dem Campus der Universität des Saarlandes in Saarbrücken statt. Mehr dazu unter www.sz-wirtschaftsgipfel.de/gipfelstürmer
Grewenig hat Veranstaltungskaufmann gelernt. Er war nie länger weg aus Saarbrücken, er stammt aus der Nähe. "Viele sind weggegangen und dann wiedergekommen", sagt er. "Alle Standorte haben Vor- und Nachteile. Innovation kann überall stattfinden." Die Nachteile offenbaren sich beispielsweise bei der Suche nach Mitarbeitern. Bis Ende des Jahres soll deren Zahl von 20 auf mehr als 30 steigen. Manche wüssten gar nicht, wo Saarbrücken liegt, erzählt Grewenig. "Einer hat mal gefragt, ob das in Frankreich liegt. Das ist schon erschreckend."
Im vergangenen Jahr hat er ein paar Monate in einem Start-up-Camp im Silicon Valley gelebt. Die Gründerkultur sei dort völlig anders und aus seiner Sicht auch besser. In den USA drehe sich das Gründergeschehen um Unternehmen und Universitäten, in Deutschland um Unternehmen und Politik. "Im Silicon Valley sind Gründer die Helden", sagt Grewenig. Und potenzielle Investoren fragten nicht nach dem Umsatz, sondern nach Marktanteilen. "Die Leute hier wollen wenig ins Risiko gehen", sagt der Fanomena-Chef. Er hat Investoren gefunden, den weltweit tätigen Accelerator Startupbootcamp und mit der Scheer Holding und der Holzer Group zwei saarländische Unternehmen.
Fanomena braucht noch mehr Geld. Eine weitere Software, die ähnlich wie Eventbaxx funktioniert, um Mitarbeiter zu gewinnen, hat das Start-up schon. Und Grewenig will Fanomena zu einer Plattform weiterentwickeln, die potenzielle Sponsoren und Events zusammenbringt. "Smart money" wäre Grewenig am liebsten, ein Investor, der Erfahrung hat mit Werbung und Veranstaltungen. "Wir wollen das Ding zum Fliegen bringen."