Virtual Reality von Sony:Die nächste riskante Brillen-Wette

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Voll drin: Ein Besucher der Game Developers Conference in San Francisco probiert Sonys neue Virtual-Reality-Brille aus. (Foto: John Locher/AP)

Seit Jahren jazzen Tech-Firmen virtuelle Realität zum Megatrend hoch. Bisher wurde damit nur ein Haufen Geld verbrannt. Nun versucht es Sony mit einem neuen Gerät.

Von Jakob Arnold

Es gibt Erfahrungen, die nur wenige Menschen machen werden. Mit einem Kajak durch die Arktis paddeln zum Beispiel. Und es gibt Dinge, die niemand erleben wird. Mit Pfeil und Bogen gegen Roboter-Dinosaurier kämpfen etwa. Virtual-Reality-Brillen aber machen beides möglich. Ende Februar hat der Videospiel-Konzern Sony mit der Playstation Virtual Reality 2 seine neueste Brille in den Handel gebracht. Mit ihr will das Unternehmen den jahrelang schwelenden Hype um die virtuelle Realität endlich in wirtschaftlichen Erfolg übersetzen.

Halbwegs bezahlbare Technik für Virtual Reality (VR) gibt es seit fast zehn Jahren. 2016 kamen die Oculus Rift, die HTC Vive und die erste Playstation VR auf den Markt. Den Massenmarkt hat keines der Geräte erobern können. Nach den Zahlen des Marktforschungsunternehmens GfK wurden im vergangenen Jahr nur etwa 85 000 VR-Brillen verkauft, mit einem Umsatz von knapp 35 Millionen Euro. Obwohl das Weihnachtsgeschäft erfolgreicher war als im Vorjahr, gingen die Umsätze über das Gesamtjahr sogar zurück. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum kauften die Deutschen 20-mal mehr reguläre Videospielkonsolen, die im Schnitt ähnlich viel kosten.

Meta dominiert den Markt

Gelingt es Sony jetzt im zweiten Anlauf? Der Videospiel-Riese ist bisher nicht der größte Anbieter auf dem Markt für VR-Hardware und Spiele. Genaue Verkaufszahlen nach Hersteller gibt es für Deutschland nicht, doch nach den Zahlen der International Data Corporation, einem Marktforschungsinstitut im Technologiebereich, hat Meta im vergangenen Jahr den weltweiten Markt für VR-Brillen mit knapp 80 Prozent dominiert.

Das Unternehmen, das früher Facebook hieß, hat vor fast zehn Jahren den damaligen Marktführer Oculus übernommen, um langfristig in den VR-Markt einzusteigen. Finanziell hat sich diese Entscheidung bis heute nicht ansatzweise ausgezahlt. Das Geschäft wird stets quersubventioniert. Meta veröffentlicht keine Verkaufszahlen ihrer Brillen, doch einer internen Präsentation zufolge, die Anfang März geleakt wurde, soll der Konzern bisher insgesamt rund 20 Millionen Geräte verkauft haben. An diese Zahlen kommt kein anderes Unternehmen heran.

Sonys neue VR-Brille ist ein ziemliches Ungetüm und muss mit einer Playstation 5 verbunden werden. (Foto: Jeff Chiu/AP)

2022 hat die gesamte VR-Sparte von Meta einen Umsatz von rund zwei Milliarden Dollar erwirtschaftet. Das mag beeindruckend klingen, entspricht jedoch weniger als zwei Prozent des Gesamtumsatzes von Meta. Trotz der Namensänderung von Facebook auf Meta, die eine Ausrichtung des Geschäfts auf das Metaversum suggerieren soll, bleibt der Konzern im Kern eine Werbemaschine. Das Metaversum, das Nutzer über die VR-Brillen betreten, ist bis dato nichts als eine Nische, die viel Geld verschlingt. Dem Umsatz von zwei Milliarden Dollar steht ein Verlust von mehr als 13 Milliarden Dollar gegenüber. Oder anders gesagt: Jeden Dollar Umsatz mit VR erkauft Meta zum Preis von mehr als sechs Dollar Verlust.

In Deutschland konnten die Brillen wegen eines Streits mit dem Bundeskartellamt darüber hinaus von September 2020 bis Dezember 2022 nur über das Ausland gekauft werden. Meta verkaufte sie nicht in Deutschland, weil die Wettbewerbshüter einen Marktmissbrauch darin sahen, dass der Konzern einen Facebook-Account verlangt hat, um die Geräte zu nutzen. Mittlerweile reicht ein eigens dafür entwickeltes Meta-Konto.

VR-Brillen werden nicht regelmäßig genutzt

Die grundlegenden Probleme der Technologie betreffen alle Hersteller. Da wäre zum einen die sogenannte Motion Sickness, die auch bei den modernsten Geräten wie der Playstation VR 2 auftritt. Dabei handelt es sich um das Gefühl der Übelkeit, das viele Spieler erleben wegen des Unterschieds der eigenen Bewegung und der Bewegung der Umwelt. Die Augen nehmen das Wackeln des Kajaks in der Arktis wahr, während der Körper stillsteht. Das kann vor allem beim ersten Mal Schwindel und Kopfschmerzen auslösen. In einer Untersuchung der Universität Köln im Jahr 2020 gaben zwei Drittel der Befragten an, bereits Erfahrungen mit VR-Übelkeit gemacht zu haben.

Wer häufiger eine VR-Brille nutzt, dem wird zwar seltener schlecht, doch viele Experten schätzen, dass es gar nicht so viele Nutzer gibt, die die Brille auch regelmäßig aufsetzen. Der Videospielautor Chet Faliszek kennt die Branche seit vielen Jahren, da er unter anderem für den Software-Entwickler Valve an deren VR-Produkt mitgearbeitet hat. Im Fall von Meta würden nur zehn Prozent der Käufer die VR-Brillen auch aktiv nutzen, vermutete er auf Twitter. Den Grund dafür sieht Faliszek unter anderem darin, dass die meisten Videospieler schlicht zu faul sind. Viele VR-Spiele verlangen jedoch körperliche Aktivität. Im Kampf gegen die Roboterdinosaurier muss der Spieler aufrecht stehen und seine Hände und Arme bewegen, um den Bogen zu halten und neue Pfeile aus dem Köcher zu ziehen. Die meisten Spieler würden in ihrer Freizeit jedoch lieber entspannt auf der Couch sitzen wollen und nicht mit virtuellen Bögen herumturnen.

VR - die Alternative für Ältere?

Jochen Färber, ein Unternehmenssprecher von Sony, widerspricht der Einschätzung. Er sieht im Gegenteil die intuitive Bedienung der VR Brillen als deren Chance, neue Spielergruppen für die Konsole zu gewinnen. "Es gibt für jeden Videospiele, die ihm oder ihr Spaß machen würden", ist er überzeugt. Doch besonders Ältere würden schon die herkömmlichen Controller abschrecken mit ihren 15 bis 20 Tasten und zwei Joysticks. Hinter den Rücken greifen, um einen Pfeil aus dem Köcher zu ziehen, könne hingegen fast jeder. Und ja, wer die Konsole testet, dürfte beeindruckt sein, wie intuitiv es ist, einen Bogen zu spannen und abzufeuern, doch dass Boomer deshalb gleich zu Videospielern werden, lässt sich dennoch bezweifeln.

Eine allzu große Auswahl an Spielen hätten sie ohnehin nicht. Auf der neuen Playstation VR 2 gibt es nicht mehr als eine Handvoll hochkarätiger Spiele. Mit so wenigen Titeln ist der Kaufpreis von 600 Euro allein für die Konsole und bis zu 70 Euro für die einzelnen Spiele nur noch enthusiastischen Liebhabern gegenüber zu rechtfertigen. Notabene: Die VR-Brille muss immer an eine reguläre Playstation 5-Konsole angeschlossen werden, die selbst 450 Euro kostet.

"Die autonomen Geräte haben deshalb größeres Potenzial", sagt Ralf Böhle. Er beschäftigt sich als Experte bei PwC Deutschland schon lange mit VR. Autonom sind zum Beispiel die Brillen von Meta, da sie funktionieren, ohne an eine externe Konsole angeschlossen werden zu müssen. "Die Gesamtinvestition von über 1000 Euro bei Kombi-Geräten ist für den Gelegenheitsspieler meistens zu hoch." Der sei es jedoch, von dem das größte Wachstumspotenzial für den Markt ausgehe.

Virtual Reality steht vor dem Henne-Ei-Problem

So steuert die Playstation VR 2 wahrscheinlich ins Henne-Ei-Problem: Potenzielle Käufer schreckt die kleine Auswahl an interessanten Spielen ab, weshalb die Konsole nur eine überschaubare Spielerbasis hat. Die Entwickler der Videospiele werden ihrerseits dadurch nicht das große Geld investieren, um an Blockbuster-Spielen zu tüfteln. Aufwendige Produktionen müssen Branchenexperten zufolge mehrere Millionen Mal verkauft werden, damit sie überhaupt profitabel für die Herausgeber sind. Wie viele Käufer die Playstation VR 2 seit rund einem Monat im Handel gefunden hat, veröffentlicht Sony nicht. Das 2016 erschienene Vorgängermodell wurde knapp fünf Millionen Mal verkauft.

Warum investieren profitgetriebene Konzerne dann überhaupt so viel in die virtuelle Realität? Böhle zufolge haben alle Hersteller das gleiche Kalkül: "Mit der Hardware lässt sich schwer Geld verdienen", sagt er. "Häufig subventionieren die Hersteller diese, um die Nutzer auf ihre Plattformen zu bringen, damit sie die dortigen Inhalte kaufen. Aber es fehlt eben noch die eine große App".

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