Siemens:Raus aus Russland

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Mit dem Komplettrückzug wird Siemens auch aufhören, elektrische Lokomotiven in Russland zu bauen. (Foto: Donat Sorokin/imago)

Krieg, Sanktionen und ein mieses Geschäft: Nach 170 Jahren zieht sich Siemens komplett aus Russland zurück. Für den Konzern ist es eine Zäsur, für andere Unternehmen ein starkes Signal.

Von Thomas Fromm

Um 1850 herum reiste Werner von Siemens öfter mal ins Reich der Zaren - und durchaus mit einigem Erfolg. Bei der ersten Lieferung in den Markt im Osten ging es um 75 Zeigertelegrafen für die Telegrafenlinie St. Petersburg-Moskau. Für den Konzern-Ahnherrn ein wichtiges Geschäft: Auf dem Heimatmarkt Preußen lief es nicht rund, in England und Frankreich liefen Projekte nicht richtig an. 1853 dann schickte Werner von Siemens seinen jüngeren Bruder Carl nach St. Petersburg, um das Telegrafengeschäft weiter auszubauen. Aus dem Berliner Hinterhof-Start-up des Werner von Siemens war mit den Russland-Deals endgültig das geworden, was man heute ein internationales Unternehmen nennt.

Von der Garage in die Welt - so sah Globalisierung auch schon Mitte des 19. Jahrhunderts aus.

Auch deshalb ist dieser Schritt eine große Zäsur, auch wenn er vielleicht nicht ganz so überraschend kam. Schon Anfang März hatte der Konzern erklärt, dass man keine neuen Geschäfte mehr in Russland machen will. Allerdings gab es da noch längerfristige Verpflichtungen wie Serviceverträge, zum Beispiel für Kraftwerke oder Züge, die man mal gebaut und geliefert hatte. Jetzt hat Siemens die Reißleine gezogen und will sich komplett aus Russland zurückziehen. Nach 170 Jahren.

Die Entscheidung sei Siemens "nicht leichtgefallen"

"Wir verurteilen den Krieg in der Ukraine und haben beschlossen, unsere industriellen Geschäftsaktivitäten in Russland in einem geordneten Prozess zu beenden", sagte Siemens-Chef Roland Busch am Donnerstag in München. Die Entscheidung sei dem Konzern "nicht leichtgefallen, denn wir haben eine Fürsorgepflicht gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und langjährige Kundenbeziehungen", sagt Busch.

Ein neues Siemens-Verkehrsleitsystem für Moskau auf Knopfdruck: 2009 war das. Im Bild: Der damalige Vize-Bürgermeister von Moskau Juri Rosijak (links) und der damalige bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil. Rechts der Siemens-Manager Dietrich Möller. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/picture-alliance/ dpa)

Es war am Ende eine Abwägungsfrage: Hier die Mitarbeiter, die Kunden, die Fürsorgepflicht, die lange Historie. Da die täglichen, grausamen Bilder eines Angriffskrieges auf die Ukraine. Die Bilder der Opfer, die Bilder russischer Militäreliten in ihren Uniformen, hoch dekoriert, die Bilder des Kriegsherrn Wladimir Putin. Laufende Service-Verträge? Es fällt vermutlich sehr schwer, angesichts der vielen Bilder noch business as usual zu machen. Es ist eine Zäsur für den Konzern - und ein Signal an die anderen. Zum Beispiel in Richtung des Großhändlers Metro, der angekündigt hatte, wegen seiner Mitarbeiter und der Kunden vor Ort in Russland zu bleiben.

Dabei ist es nicht so, als wäre Russland für die Konzernbilanz der Unternehmen noch entscheidend. Auch nach 170 Jahren vor Ort macht das Russlandgeschäft weniger als ein Prozent des Siemens-Gesamtumsatzes aus, an die 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt der Konzern dort.

"Russland ist ein Land, wo viel zu verdienen ist"

Vor 170 Jahren klang das noch ganz anders. "Russland ist ein Land, wo viel zu verdienen ist", schrieb Werner von Siemens 1853 an seinen Bruder Carl. "Wenn man sein Terrain kennt." Er erwarte nun "mit jeder Dampfschiffpost (alle 8 Tage)" einen Brief von seinem Bruder, um über den Geschäftsverlauf informiert zu werden. "Mit der Schreibfaulheit muss es vorbei sein."

Werner von Siemens, der Gründer des Unternehmens, entdeckte den russischen Markt schon sehr früh. Für Siemens war es der Beginn der Globalisierung mit Telegrafen und elektrischer Beleuchtung. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Dynamomaschinen, Elektromotoren, Beleuchtungstechnik - Siemens, damals noch Siemens & Halske (S&H), hatte vieles, was man einem Riesenreich verkaufen konnte. Allerdings, und so ändern sich die Zeiten: Wirtschaftlich sind die Aktivitäten dort wegen des Kriegs und der anschließenden Sanktionen ohnehin nicht mehr. Metro musste im abgelaufenen Quartal 319 Millionen Euro abschreiben, mehr als 200 Millionen Euro davon auf das Geschäft in Russland und der Ukraine. Bei Siemens wurde das Geschäft wegen der Sanktionen mit 600 Millionen Euro belastet, vor allem die Zugsparte ist in Russland stark betroffen - es ist ein herber Einbruch. Ein "Land, wo viel zu verdienen ist", ist Russland also längst nicht mehr. Im Gegenteil.

Dabei hatte sich Siemens nach dem Ende des Kalten Kriegs nach und nach auf eine große Zukunft im Land vorbereitet. Im April 2011 erst eröffnete man einen neuen Hauptsitz in Moskau - 14 000 Quadratmeter für 1300 Menschen - auch dies ein klares Signal: Wir sind da, wir sind groß, und wir liefern.

Schon nach der Annexion der Krim musste Siemens aber erkennen, wie schnell es gehen kann, wie schnell man als Konzern in die Geopolitik verstrickt wird. Als im Sommer 2017 trotz westlicher Sanktionen auf einmal zwei Gasturbinen der Münchner auf der Krim standen, wurde die Frage laut gestellt: Hat hier ein großes deutsches Unternehmen etwa gegen EU-Wirtschaftssanktionen verstoßen, die wegen der Annexion der Region verhängt worden waren? Tatsächlich war es so: Zuvor hatte Siemens vier Gasturbinen an ein russisches Staatsunternehmen geliefert, laut Vertrag für ein südrussisches Kraftwerk. Nun aber waren Turbinen in zwei neue Kraftwerke nach Sewastopol und Semferopol auf der 2014 annektierten Krim gebracht worden, ein "eklatanter Bruch der Lieferverträge mit Siemens", so der Konzern damals. Schon da war der Einstieg in den Ausstieg im Grunde nicht mehr weit.

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