Siemens: Partner aus Russland:Neue Atom-Allianz

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Nach dem Ende des Bündnisses mit Areva sucht Siemens nach einem neuen Partner für das Atomgeschäft - und findet ihn in Russland. Doch im Aufsichtsrat gibt es Bedenken.

M. Balser und M. Bauchmüller

Siemens und das staatliche russische Nuklearunternehmen Rosatom bilden ein Gemeinschaftsunternehmen für Atomtechnik und die gemeinsame Vermarktung von Kernkraftwerken. Das kündigten Siemens-Chef Peter Löscher und Rosatom-Generaldirektor Sergey Kriyenko am Dienstag in Berlin an. "Unser Anspruch ist einen neuen Weltmarktführer zu kreieren." Bis Mai solle ein entsprechender Vertrag stehen. "Knackpunkte" sehe er nicht, sagte Löscher. "Wir kennen uns gut."

Siemens sucht einen neuen Partner für das Atomgeschäft - und hat ihn in Russland gefunden. (Foto: Foto: ddp)

Der Absichtserklärung zufolge wollen beide Unternehmen ausloten, inwieweit sie weitere Dienstleistungen rund um die Kernkraft anbieten können - von Brennstoffherstellung bis zur Stilllegung alter Atomkraftwerke. Rosatom soll eine Mehrheit von 50 Prozent plus einer Aktie an dem neuen Unternehmen halten. Beide Seiten sehen in der Kernenergie einen Wachstumsmarkt. Löscher bezifferte das Marktvolumen auf eine Billion Euro bis 2030. Prognosen zufolge würden bis dahin 400 neue Kernkraftwerke gebaut.

Einzig möglicher Partner

Siemens steht nach dem Ausstieg aus der Atompartnerschaft mit der französischen Areva unter Zugzwang. Um im Geschäft zu bleiben, braucht der Konzern dringend einen neuen Partner. Rosatom ist einer von nur vier Anbietern von Kernkraftwerken weltweit - und der einzige, der für Siemens in Frage kommt. Der Münchner Konzern kehrt Areva den Rücken, Hauptkonkurrent General Electric verbietet sich als Partner und arbeitet bereits mit Hitachi zusammen. Japans Toshiba wiederum hat die Mehrheit am US-Konzern Westinghouse übernommen. Ähnlich wie Areva haben die Russen große eigene Forschungsprogramme in der Kernenergie sowie Kapazitäten zum Bau ganzer Kraftwerke. Auch verfügen sie über einen eigenen Zugang zu Uran.

Ziel der Kooperation sei es, wieder in das operative Geschäft einzusteigen, hieß es in Konzernkreisen weiter. Die Zusammenarbeit mit Areva war im Kern eine reine Finanzbeteiligung. Zuletzt war in der Konzernspitze Unmut darüber aufgekommen, dass die Franzosen Siemens bei wichtigen Entscheidungen nicht mitreden lassen wollten. Bei den gemeinsamen Kernkraftwerken lieferte Siemens vor allem die Leittechnik und den konventionellen Teil, also die Anlagen zur Erzeugung von Dampf und zur Wandlung des Dampfes in Strom. Derzeit wird der Areva-Reaktor EPR 2 im finnischen Olkiluoto und in Flamanville in der Normandie gebaut. Bei dem Projekt kommt es zu erheblichen und für die Unternehmen kostspieligen Verzögerungen. Der russische Konkurrenzreaktor heißt WWER, ist ebenfalls ein Druckwasserreaktor und stellt die meisten der 31 russischen Leistungsreaktoren.

Die Atom-Holding Rosatom selbst war erst vor knapp zwei Jahren entstanden. Sie bündelt die Staatsbeteiligungen an rund 90 Unternehmen, die mit Kernkraft zu tun haben. Ziel der neuen Struktur war es, das zivile Atomgeschäft zu stärken. Russland will den Anteil der Kernkraft bis 2020 von 16 auf 25 Prozent steigern; dies entspräche dem Neubau von gut zwölf Reaktoren. Für Rosatom und seine Tochtergesellschaften verspricht das gute Geschäfte. Allerdings gilt die Kernkraft zu den "strategischen" Branchen Russlands, eine Beteiligung ausländischer Firmen ist damit nur begrenzt möglich.

Kritik der Siemens-Kontrolleure

Die Verhandlungen zwischen Deutschen und Russen laufen seit Wochen auf Hochtouren, heißt es aus dem Münchner Technologiekonzern. Doch noch immer bleiben Zweifel, ob Siemens und Rosatom die Partnerschaft wie gewünscht aufnehmen können. Denn der Vertrag zwischen Siemens und Areva verbietet es den Münchnern für acht Jahre, den Franzosen Konkurrenz zu machen. Siemens-Emissäre sollten nun in Paris gegen diese Klausel vorgehen, verlautet aus dem Unternehmen.

Mögliches Szenario: Siemens macht Zugeständnisse beim Preis seiner Anteile. Im Gegenzug könnten die Franzosen die Klausel kippen. Eine rasche Lösung aber scheint nicht in Sicht. Wohl frühestens im Sommer sei mit einer Einigung zwischen den Kontrahenten Areva und Siemens zu rechnen, heißt es aus Verhandlungskreisen. "Die ersten Gespräche mit Areva haben begonnen und die sind positiv", sagte Löscher.

Im Siemens-Aufsichtsrat mehren sich indes Zweifel am Kurs des Managements und einer Atompartnerschaft mit Russland. Bislang sei nicht über einen neuen Partner abgestimmt worden, heißt es im Gremium. An einer Partnerschaft mit einem russischen Atomkonzern gebe es nach dem jüngsten Gasstreit erhebliche Bedenken. Der Konzern könne sich in eine neue gefährliche Abhängigkeit begeben, verlautete aus dem Kontrollgremium. Allerdings habe auch die Partnerschaft mit Areva ihren Zweck nicht erfüllt, sagte ein Siemens-Aufsichtsrat: "Wir haben jetzt die Wahl zwischen Pest und Cholera."

© SZ vom 04.03.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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