Neuer ICE:Telefonieren und Bahnfahren, jetzt auch gleichzeitig

Lesezeit: 3 min

Insgesamt 73 ICEs 3 Neo hat die Deutsche Bahn bei Siemens bestellt. Bis 2029 sollen alle ausgeliefert sein. (Foto: Siemens AG)

Die Deutsche Bahn präsentiert ihren neuen Prestigezug ICE 3 Neo, der eher ein alter Bekannter ist. Der Verkehrsminister lobt das Milliardenprojekt vor allem für eine Innovation: Hightech-Scheiben für besseren Handyempfang.

Von Markus Balser, Berlin

Viel zu feiern gab es bei der Deutschen Bahn in den vergangenen zwei Jahren nicht. Wegen der Corona-Pandemie blieben viele Züge leer. Die Schulden des größten deutschen Staatskonzerns kletterten deshalb auf neue Rekordwerte. Und auch wer einstieg, brauchte viel Geduld. Beunruhigt registrierte die Bahnspitze, dass die Pünktlichkeit und damit auch der Komfort für die Passagiere zuletzt ab- statt zunahm. "Die letzten zwei Jahre waren eine Ausnahmesituation", räumt Konzernchef Richard Lutz ein.

Wie sehr die Bahn derzeit auf positive Nachrichten hofft, machte am Dienstag die Präsentation ihres neuen ICE-Flaggschiffs in Berlin klar. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), Siemens-Chef Roland Busch und Lutz rollten mit pompöser Musik und zu dritt in einem 200 Meter langen ICE im Bahnwerk Rummelsburg am Rande der Hauptstadt ein. Manager und Minister überschlugen sich nach dem Aussteigen mit Lob für das Milliardenprojekt. Der neue ICE sei schnell, fortschrittlich, familien- und fahrradfreundlich, barrierefrei und überhaupt ein Symbol für eine neue Ära der Mobilität.

Wer den Zug allerdings betritt, spürt: Eine Revolution hat die Bahn nicht geordert. Aber so einiges ändert sich tatsächlich. Jeder Sitzplatz hat künftig einen Tablethalter fürs bequemere Filmschauen. An den Eingängen der Großraumabteile haben Designer mehr Platz für Gepäck reserviert. In jedem der neuen ICEs können Kunden künftig immerhin acht Stellplätze für Fahrräder buchen.

Auch Streit mit dem Nachbarn über die Steckdose soll es in den neuen Zügen künftig nicht mehr geben. Zwischen den Sitzplätzen befinden sich zwei Lademöglichkeiten statt nur einer. Die Kinderabteile fallen größer aus, in den Familienabteilen gibt es Platz zum Abstellen von Kinderwagen. Mehr Türen sollen garantieren, dass das Ein- und Aussteigen schneller klappt. Mit einem in den Zug eingebauten Hublift an bestimmten Türen soll der Ein- und Ausstieg für Rollstuhlfahrer leichter werden.

Passagiere werden mit den neuen Zügen erstmals ab Ende des Jahres fahren können. Die ersten ICEs 3 Neo der 30 schon bestellten sollen dann auf der Schnelltrasse zwischen Nordrhein-Westfalen und München fahren. Am Dienstag kündigte die Bahn nun einen weiteren Großauftrag für Siemens an. Weitere 43 Züge für 1,5 Milliarden Euro will die Bahn beim Technologiekonzern bestellen. Bis 2029 soll dann der letzte der 73 Züge ausgeliefert sein. Insgesamt würde die Schnellzugflotte bis Ende des Jahrzehnts so auf insgesamt rund 450 Züge anwachsen, teilte die Bahn mit.

Das Milliardenprojekt sichert laut Siemens-Chef Busch Tausende Arbeitsplätze

Die größte Veränderung, die der neue Zug den Kunden bietet, ist zwar nicht sichtbar, dem Bundesverkehrsminister aber ein Extralob wert. "Es wird alles anders", kündigte Wissing an. Denn Bahnfahren und Telefonieren - das soll zumindest in der neuen ICE-Baureihe bei Reisen durch Deutschland künftig gleichzeitig funktionieren. Möglich macht das der Einbau neuer Scheiben, die Handystrahlung anders als im Vorgängermodell durchlassen. Allerdings räumt Wissing auch ein, dass Funklöcher entlang der Trassen erst mal bleiben könnten. Die neue Technik werde also nicht jedes Gespräch retten können.

Der Zug erreicht Geschwindigkeiten von 320 Stundenkilometern und ist damit deutlich schneller als der eigentlich neuere ICE 4, der aber nur auf 265 Stundenkilometer kommt. Allerdings braucht er geeignete Trassen, wie zwischen Köln und Frankfurt. Geplant ist, auch die Ost-West-Verbindung zwischen Berlin und Nordrhein-Westfallen so auszubauen, dass Züge mit 300 Stundenkilometern dort unterwegs sein können und die Fahrzeit verkürzen. Die wachsende Flotte schneller ICEs könnte auch dazu führen, dass die Bahn auf Schnelltrassen künftig ihre Fahrzeiten etwas verkürzen kann. Lutz deutete an, dass die Bahn nicht auf jeder Strecke bereits alle Möglichkeiten ausschöpfe.

Damit der neue Zug sein Tempo auch ausfahren kann, muss allerdings die Infrastruktur ertüchtigt werden. Vor allem auf dem Ost-West-Korridor gebe es Ausbaubedarf, sagte Lutz. Der Konzernchef verwies auf den geplanten Ausbau der Schnellfahrstrecken zwischen Hannover und Bielefeld sowie Hannover und Berlin.

Die Bahn erwartet, dass nach dem Höhepunkt dieser Corona-Welle vom Frühjahr an wieder deutlich mehr Passagiere Bahn fahren. Wann immer die Pandemie es zulasse, würden die Menschen reisen, sagte Lutz. Er gehe davon aus, dass die Passagierzahlen wieder deutlich steigen. Bis Ende des Jahrzehnts soll die Bahn nach Plänen der Bundesregierung ihre Fahrgastzahlen verdoppeln. Dafür braucht der Konzern deutlich mehr Züge. Die 73 Züge des neuen ICE-Modells verschaffen der Bahn insgesamt immerhin 32 000 zusätzliche Sitzplätze.

Gebaut werden die Züge im Siemens-Werk in Krefeld. Zulieferungen kommen unter anderem aus Nürnberg und aus Österreich. Das Milliardenprojekt sichert laut Siemens-Chef Roland Busch Tausende Arbeitsplätze in Deutschland. "Bei Siemens sind es rund 1500 Kolleginnen und Kollegen. Zusätzliche Arbeitsplätze kommen von rund 230 Zulieferern überwiegend aus Deutschland."

In einigen Jahren soll dann eine ganz neue Generation von ICE-Zügen folgen. Der ICE 5 wird bereits entwickelt. Er soll Ende dieses oder Anfang des nächsten Jahrzehnts zum Einsatz kommen. Das neue Modell soll unter anderem digitaler sein und einen ebenerdigen Einstieg ohne Stufen möglich machen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: