Siemens-Hauptversammlung:Kaeser: "Make Siemens great again"

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  • Auch bei der Hauptversammlung von Siemens geht es um den neuen US-Präsidenten Donald Trump.
  • Die Stimmung ist nicht so euphorisch, wie die Ergebnisse vermuten lassen. Kein Wunder. Die USA sind immerhin der größte Einzelmarkt für das Unternehmen.

Von Thomas Fromm

Es ist kurz nach sieben Uhr in der Münchner Olympiahalle, als sich drei Männer und eine Frau an den Lehnen ihrer schwarzen Lederstühle festhalten und sehr ernst in die Kameras schauen. Die Siemens-Vorstände, darunter Konzernchef Joe Kaeser und die Amerikanerin Lisa Davis, werden sich gleich setzen und gute Zahlen präsentieren, aber ihre Gesichter passen nicht zu den Tabellen und Kurven, die sie hier zeigen. Eine Stunde lang nicht.

Da sind die Zahlen, Strategien, Eckpunkte eines internationalen Großkonzerns: Der Umsatz ist im vergangenen Quartal leicht gestiegen, auf über 19 Milliarden Euro. Der Gewinn legte um 30 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro zu. Die Gewinnprognose für das laufende Jahr wurde erhöht, die Aktie wird immer teurer. Tausende Neueinstellungen hat es gegeben, auch in Deutschland. Und sogar einen neuen Aufsichtsratschef hat der Konzern gefunden. Und doch sind da diese Mienen am frühen Morgen, die dem so gar nicht entsprechen wollen - und sie bleiben: ernst. "Es besorgt uns schon, es besorgt mich persönlich, dass wir Töne hören, die bisher zu unserer Wahrnehmung dieses Landes nicht passten", sagt Kaeser. Er meint: das neue Trump-Amerika.

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Wäre dies eine ganz normale Siemens-Hauptversammlung in ganz normalen Zeiten, wären die Menschen, die da vorne sitzen, wohl sehr viel euphorischer. Kaeser versucht es mit Humor: "Heute würde man sagen: Make Siemens great again." Verhaltenes Lachen. Es ist schon so weit, Trump-Scherze funktionieren, zumindest ein bisschen, trotz alledem. Es ist eine Art Experiment, das der Siemens-Chef und seine Vorstände hier vor ihren Aktionären durchführen müssen. Die Versuchsanordnung: US-Präsident Donald Trump zerlegt die Welt und ihre ökonomischen Gesetzmäßigkeiten im täglichen Twittertakt, der Freihandel ist unter Beschuss, die Briten wollen den harten Schnitt mit Europa - und die Industrie muss Aktionäre empfangen und auf Business as usual machen.

Geht das überhaupt? Eigentlich nicht. Andererseits: So ein globaler Konzern muss ja auch dann noch Geld verdienen und Aufträge reinholen, wenn in Washington ein unberechenbarer Präsident regiert. Also lautet die Ansage: eine ganz normale Hauptversammlung, bitte.

"Siemens hat geliefert, ein herzliches Dankeschön", lobt Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Ein Moment, in dem alles so ist wie immer. Und Kaeser will Ergebnisse präsentieren, trotz all der Trump- und Brexit-Geschichten muss es ja weiter gehen. Er will den alten Münchner Elektrokonzern mit Milliardenzukäufen zu einem führenden Unternehmen für die Digitalisierung der Industrie ausbauen, auch deshalb wird der frühere SAP-Co-Chef Jim Hagemann Snabe zum Nachfolger von Gerhard Cromme an der Spitze des Aufsichtsrates nominiert.

Kaeser schwört seine Aktionäre auf den milliardenschweren Börsengang der Medizintechniksparte ein, die jetzt "Healthineers" heißt, und er lobt die Übernahme des spanischen Windanlagenbauers Gamesa. "Wir haben geliefert, was wir versprochen haben", sagt er. Allerdings wird es nicht nur allein von ihm abhängen, ob er auch in Zukunft noch versprochene Lieferungen einhalten kann oder nicht. Dafür ist die Welt zu kompliziert geworden.

Ein Gespräch mit Lisa Davis, 53, im Siemens-Vorstand für den Energie-Bereich zuständig. Bei der Pressekonferenz am frühen Morgen spricht sie über ein Großprojekt in Ägypten, über Gas-Turbinen, Windenergie, Gamesa. "Highly competitive" sei das Geschäft. Ein knallharter Wettbewerb. Kurz darauf steht die Amerikanerin vor der Bühne der großen Olympiahalle und sagt über ihr Heimatland: "Ich weiß noch nicht, was wir zu erwarten haben, es gibt große Unsicherheiten."

Unsicherheit aber ist Gift für ein Unternehmen, das seine Strategien langfristig anschieben muss. Konzernchef Kaeser betont nicht zufällig, wie stark man in den USA ist: 60 Fabriken, über 50 000 Mitarbeiter, Milliardenexporte aus den USA heraus, 30 Milliarden Dollar habe man hier in den vergangenen Jahren investiert, 35 Prozent betrage der Steuersatz dort für Siemens. Außerdem seien die USA mit etwa 22 Milliarden Dollar Jahresumsatz der größte Einzelmarkt für das Unternehmen.

Sollte die Industrie nicht langsam politischer werden?

Zuletzt stand ein 100-Millionen-Dollar-Auftrag beim Autobauer General Motors auf der Liste - "zuverlässig aufgestellt" sei man in den USA, sagt der Siemens-Chef, ein "etablierter Bestandteil der Gesellschaft". America first? Wir sind dabei! Lisa Davis erwartet daher "gute Verbindungen zur neuen Administration, so wie wir auch zur vorherigen Regierung gute Verbindungen hatten" - auch wenn der Neue im Weißen Haus "einen anderen Führungsstil" habe.

Ein paar Meter weiter steht Noch-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme in der Halle. Auch er möchte etwas zur aktuellen Politik sagen: "Es wird enger, Europa muss jetzt zusammenhalten." Das klingt dann schon sehr wie eine politische Forderung. Später, vor seinen Aktionären, wird auch Kaeser dann noch einmal politisch. Amerika sei erst durch seine Immigranten groß geworden, daher wäre es "schade, wenn die Dinge, die das Land groß gemacht haben, jetzt so in Zweifel gezogen werden", sagt der Mann, der selbst einige Jahre in den USA gearbeitet hat. Planen ist nicht mehr so einfach in diesen Zeiten. "Wir konzentrieren uns auf unsere Kunden, das sollte man nicht ganz vergessen", sagt Kaeser.

Ob das genügt, ist eine andere Frage. Wäre es vielleicht nicht doch allmählich an der Zeit für die Industrie, politischer zu werden? Kaeser wird jetzt wieder sehr ernst und sagt: "Wir haben eine kleine Firma." Die große Weltpolitik ist eine andere Sache, dafür ist die Politik zuständig. Großer Konzern, jetzt doch wieder ein bisschen klein. Siemens steht gerade vor einem Problem, vor dem viele große Unternehmen stehen: Man tut sich immer schwerer damit, das neue Amerika, diesen wichtigen Markt, zu verstehen. Soll man sich frontal mit Trump anlegen? Oder lieber erst einmal sehr genau beobachten, was dort passiert? Fest steht: Niemand will am Morgen danach der nächste Top-Act in den Twitter-Botschaften des Präsidenten sein.

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