Senegal:Wirtschaftsfaktor Hip-Hop

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Amadou Fall Ba (Bildmitte, mit blauem Hemd), Gründer des Senegal Training Campus, im Gespräch mit Studentinnen und Studenten. (Foto: Jonathan Fischer)

Der Senegal gilt als Musterland Afrikas, dennoch sind viele Menschen arbeitslos, vor allem Jüngere. Wie sich das ändern könnte, zeigt ein ambitioniertes Projekt.

Von Jonathan Fischer, Dakar

Hip-Hop ist im Senegal die Jugendkultur Nummer eins. Im Viertel Ouakam im Norden Dakars kann man das auf Schritt und Tritt hören und sehen. Etwa wenn man unterhalb des gigantischen, von nordkoreanischen Baumeistern gefertigten Monument de la Renaissance africaine auf Hauswände voller Graffiti schaut, Hip-Hop-Beats aus vorbeifahrenden Kleinbussen schallen, Teenager sich gegenseitig ihre neuesten Moves demonstrieren. Wer ihnen folgt, der gelangt in eine schmale Gasse zu einem weiß gestrichenen, einstöckigen Flachbau. Kein Schild, keine Beschriftung. Dafür kunstfertig gesprühte Kunstwerke über der gesamten Hausfassade. Auch die Jugendlichen vor der Tür, die sich mit High fives abklatschen und laut Hip-Hop aus ihren Handys abspielen, lassen keinen Zweifel: Hier schlägt das Herz der urbanen Kultur.

"Wir unterrichten im Maison des Cultures Urbaines alle Berufe rund um die Bühne", sagt Amadou Fall Ba, ein junger Mann mit ernstem Blick, und schiebt sein Baseball-Käppi zurecht. "Zurzeit haben wir 200 Studenten, aber wir können uns kaum vor Bewerbern retten". Fall Ba ist Initiator des "Senegal Training Campus". Licht- und Tontechniker, Grafiker, DJs oder Veranstaltungsmanager haben hier zum ersten Mal die Chance, ein von der Regierung anerkanntes Diplom zu bekommen - in einem Pilotprojekt, das Jobs rund um die prosperierende Hip-Hop-Szene schaffen will. Im September 2021 hat die Schule eröffnet. "Um den arbeitslosen Jugendlichen eine Chance zu geben", sagt Fall Ba, "packen wir sie bei ihrer Leidenschaft. Ich hatte allerdings mehr Unterstützung von unserer Regierung erwartet. Bis auf ein paar gespendete Computer haben wir uns alles selbst aufgebaut."

Arbeitslos im Musterland Afrikas

Dabei gilt Senegal als Musterland Afrikas. Die einstige französische Kolonie ist demokratisch stabil, respektiert Grundrechte wie die Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit und hat 2014 einen staatlichen Entwicklungsplan namens "Aufstieg bis 2035" verkündet. Dazu gehören die Verbesserung der Lebensbedingungen und die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Soll und Haben aber liegen weit auseinander: Fast die Hälfte der Senegalesen ist arbeitslos, darunter besonders viele Jugendliche. Die offizielle Arbeitslosenziffer von sieben Prozent berücksichtigt nicht diejenigen, die in der informellen Wirtschaft ihr Auskommen suchen. Und das ist das Gros der Jungen. Müsste da ein Projekt wie der Senegal Training Campus nicht jede nur mögliche Unterstützung erhalten?

Fall Ba - Kollegen rufen ihn wegen seines Organisationstalents "l'allemand", den Deutschen - hatte mit seinem Team bereits zehn Jahre zuvor eine sogenannte Hip-Hop-Akademie für Grafiker, DJs, Toningenieure im Stadtteil Pikine aufgebaut. Das Senegal Training Campus ist nun die Ausweitung dieser Idee: Warum nicht alle Berufe rund um den Kulturbetrieb in einer einzigen Schule zusammenführen? Dazu hat Amadou Fall Ba mehrere Projekte - die Hip-Hop-Akademie, G-Hip-Hop und das Maison des Cultures Urbaines zusammengeschlossen. "Eine Schule aufzumachen kann doch nicht so schwer sein, habe ich gedacht. Aber nun schau Dir meine grauen Haare an." Amadou Fall Ba setzt in seinem zur Wohnküche umgebauten Büro einen Tee auf: "Das letzte Jahr habe ich nie länger als vier, fünf Stunden pro Nacht geschlafen."

Lernen in der Praxis

In vielen durchgearbeiteten Nächten gelang es Fall Ba, die Finanzierung durch ein Konsortium an westlichen Gebern, darunter die Botschaften der Schweiz und Kanadas, die holländische Doen-Stiftung und das Goethe-Institut, zu sichern. Letzteres hat einen Professor für "Sound Engineering" aus Berlin geschickt - und 120 000 Euro für die Ausbildung von Tontechnikern zur Verfügung gestellt. Größere Sorgen als das Geld hat Fall Ba der Lehrplan bereitet. 2017 habe er Ausbildungsstätten für Bühnenberufe in Deutschland und Frankreich besucht. "Ich dachte zuerst, das machen wir genauso, copy and paste. Aber dann haben wir mithilfe deutscher Experten der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) den Unterricht auf senegalesische Verhältnisse zugeschnitten."

"Approche par competence" lautet das Motto, Lernen in der Praxis. Weniger als ein Drittel der Ausbildung sei Theorie - so hätten auch bildungsferne Jugendliche eher eine Chance. "Nächstes Jahr werden wir zusätzlich Lehrgänge für Video, Bühnenbau und Veranstaltungssicherheit anbieten."

Fall Ba führt stolz durch "seine" Schule. Einige Räume sind noch unverputzt, doch das Leben ist bereits eingezogen: Ein DJ scratcht mit Hip-Hop-Platten, im Studio daneben gibt eine lokale Hip-Hop-Legende Nachhilfe für den Techniker-Nachwuchs, im großen Konzertsaal üben drei Teenager-Mädchen auf einem imaginären Laufsteg für die nächste Modenschau. "Wir hatten vorher keine öffentliche Bühne in Ouakam", sagt Fall Ba, "jetzt finden hier jedes Wochenende Hip-Hop-Jams statt". Viele der Studenten seien so auf die Schule aufmerksam geworden. Einzige Bedingung: Das Bestehen eines Aufnahmetests. Und der Wille zum gesellschaftlichen Engagement.

Adja Oumy Ndiaye Cisse gehört zu denen, die es geschafft haben. Die Studentin in Jeansweste und schwarzem Kopftuch recherchiert für eine Hausarbeit im Computersaal. "Ich habe vorher bereits eine Ausbildung zur Kultur-Animateurin gemacht", sagt die 27-jährige. Jetzt sei sie für das Fach Kulturmanagement eingeschrieben. "So eine Ausbildung gab es vorher im Senegal nicht", sagt sie. Sie wolle später einmal professionell Ausstellungen, Konzerte und Workshops organisieren.

Eine Chance für Frauen

Amakan (rechts), der Beatboxer, und Magnoum, der als Kameramann arbeitet. (Foto: Jonathan Fischer)

Die Zahl der Frauen im "Maison des Cultures Urbaines" ist auffällig. In vielen Studiengängen des Senegal Training Campus bilden sie die Mehrheit. So auch in der Klasse für Kunst- und Kulturmanagement. Woran das liege? "Erstens", sagt Ndiaye Cisse, "betreibt die Schule die gezielte Förderung von Frauen. Zum anderen haben wir in der Kultur relativ wenig Diskriminierung und viel Gestaltungsfreiheit."

Im Hof üben Jungs-Cliquen für den Beatbox-Wettbewerb am heutigen Abend. Darunter Amakan und Magnoum: Amakan, ein stämmiger Typ mit düsterer Mine posiert breitbeinig, macht Gang-Zeichen und zischt, schnalzt und ploppt vokale Hip-Hop-Rhythmen. Beatboxing eben. Sein etwas schüchtern wirkender Freund Magnoum hält mit der Videokamera drauf. "Viele von uns Jungen sind arbeitslos oder waren wie ich eine Zeitlang im Gefängnis", sagt der 35-jährige Amakan. "Wir haben auf dem regulären Arbeitsmarkt kaum Chancen." Nur die Hip-Hop-Akademie in Pikine habe ihm eine Chance gegeben: Er habe dort vor einigen Jahren eine dreimonatige Ausbildung zum Tontechniker gemacht. "Wenn ich eine Bühne verkabele, verdiene ich mehr als mit meinen Raps." Der 22-jährige Magnoum nickt zustimmend. Er arbeitet mit Amakam in einem Team. "Er macht Musik, ich produziere die Fotos und Videos". Wie sein Kollege hat auch Magnoum wegen eines Drogendelikts im Jugendgefängnis gesessen. Doch dank der Hip-Hop-Akademie habe er heute einen Schulabschluss, und könne sich als selbständiger Grafiker über Wasser halten.

Amadou Fall Ba kennt sie alle hier: Ohne eine Miene zu verziehen, klatscht er die ehemaligen Studenten der Hip-Hop-Akademie und G-Hip-Hop in Pikine, die lokalen Rap-Matadoren, die DJs und Journalisten ab. "L'allemand", sagt eine Studentin bewundernd. "Ohne ihn läuft hier gar nichts". Fall Ba selbst sieht sich vor allem als Vermittler. Hip-Hop, betont er immer wieder, bedeute im Senegal mehr als nur Musik oder Unterhaltung. Viel mehr. "In dieser Kultur steckt der Geist der rebellierenden Jugend, derjenigen, die Rechenschaft von unseren Politikern einfordern." Die Hip-Hop-Jugend hätte bisher vor jeder Wahl die Straße mobilisiert. Auch deshalb spielt im Senegal Training Campus die Beschäftigung mit der Geschichte des Hip-Hop eine wichtige Rolle. "Unsere Studenten", sagt Fall Ba, "schaffen nicht nur eine Grundlage für ihr eigenes Leben. Sondern stehen als Aktivisten auch für diejenigen ein, die sonst keine Lobby haben." Amakan und Magnoum nicken das ab: "Hamdulillah!" - Gott sei Dank!

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