BGH-Urteil:Semmeln am Sonntag sind ein Stück Lebensqualität

Gebäck

Künftig dürfen Bäckereien den ganzen Sonntag über Semmeln, Croissants und Brezeln verkaufen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Bundesgerichtshof hat endlich den "Semmelstreit" entschieden. Davon profitieren Kunden und Bäckereien gleichermaßen.

Kommentar von Michael Kläsgen

Genussorientierte Hobbyanarchisten können das Urteil des Bundesgerichtshofs nur zutiefst bedauern. Hobbyanarchisten? Ja, doch. Das waren, wohl ohne es zu wissen, im Prinzip alle, die bisher am Sonntagnachmittag in einer Bäckerei Semmeln, Brot oder andere Backwaren kauften. Warum? Weil viele von ihnen das wahrscheinlich nach Ende der vor allem in Bayern knapp bemessenen gesetzlichen Ladenschlusszeiten taten, die Bäckerei aber trotzdem offen hatte. Bäcker und Kunde tätigten ihr Tauschgeschäft, Geld gegen Brötchen, sozusagen im rechtsfreien Raum, am Rande der Legalität. Es war ein wunderbar anarchischer Zustand. Kein Polizist schritt ein, keiner wurde angezeigt, keiner gemaßregelt, und das mitten in Deutschland.

Der Gesetzgeber hatte es schlicht versäumt zu regeln, ob es rechtens ist, wenn der Bäcker ein paar Tische und Stühle in seinen Laden räumt und Kaffee serviert, also so tut, als betreibe er gar keine Bäckerei, sondern ein Café, ein Bäckereicafé. Der Bundesgerichtshof stopft nun diese Rechtslücke und erklärt den seit Langem währenden Istzustand für legal. Schade eigentlich. Wer je einen gewissen Kitzel beim Semmeldealen in aller Öffentlichkeit verspürte, dem muss nun gewahr werden: Damit ist es vorbei, ein für allemal. Der BGH hat gesprochen.

Aber im Ernst: Die Bäcker oder genauer gesagt die Betreiber von Bäckercafés tun nichts anderes, als dem Wunsch vieler Kunden nachzukommen. Viele Menschen wollen am Sonntag, wenn sie Zeit haben, gemütlich mit Freunden, im Kreis der Familie oder allein frische Brötchen essen. In einer Welt des Überflusses, in der online zu jeder Stunde alles verfügbar und sofort lieferbar ist, wäre es absurd, den Verbrauchern diese kleine Freude zu verwehren.

Bäckereien sind Dienstleister, Sonntagsarbeit ist deshalb vertretbar

Doch geht diese Freude nicht zulasten derjenigen, die am Sonntag arbeiten müssen? Oder noch zugespitzter gefragt: Wenn nicht am Sonntag, am welchem Tag sollte der Kommerz denn sonst mal ruhen? Es ist eine Frage, die zu Recht wohl ebenso viele Menschen bewegt, wie es Brötchenkäufer gibt. Wer sie beantworten will, muss differenzieren. Brötchen, die man gleich verspeisen will, sind keine Jeans, die man auch morgen oder übermorgen kaufen könnte. Das heißt: Warenhäuser oder Modeboutiquen müssen am Sonntag nicht geöffnet sein, Bäckereien sollten aber öffnen dürfen, wenn sie wollen. Sie können im Idealfall die Lebensqualität der Menschen steigern, wenn die Semmel schmeckt und der Kunde das Gefühl hat, die Verkäuferin (ja, es sind doch in der Regel Frauen) mag ihrem Job.

Damit wäre auch die Frage nach der Sonntagsarbeit beantwortet. Sicher, jeder hat mal einen schlechten Tag, aber ein Bäcker, der sonntags keine Brötchen verkaufen will, wäre wie ein Hotelier, der abends keinem Gast mehr Einlass gewährt oder ein Gastwirt, der nach 17 Uhr kein Essen mehr serviert, weil dann Feierabend ist. Es widerspräche der Dienstleistung, die er anbietet, und schadete seinem eigenen Geschäft. Brötchen am Sonntag gehören daher zum Leben dazu. Ruhen können die Angestellten dafür am Montag oder einem anderen Tag. In der Wirtschaft nennt man so was eine "Win-win-Situation". Alle haben was davon: die Verbraucher und die Bäcker.

Im Grund geht es hier um eine gesellschaftspolitische Frage, nämlich darum, wie wir leben wollen? Darüber lässt sich trefflich streiten. Nur: Es darf eigentlich nicht sein, dass Gerichte die Frage beantworten. Das ist Sache der Politik. Sie muss den großen Rahmen abstecken. Gerichte entscheiden immer nur kleinteilig und fallbezogen, diesmal mit einer törichten Konsequenz: Bäckereicafés dürfen den ganzen Sonntag öffnen, kleine Bäckereien ohne Tisch und Stuhl in Bayern weiterhin nur drei Stunden. Ein Unsinn.

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Bäcker Sebastian Däuwel

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