Schulabbrecher in Deutschland:Gebt ihnen eine Chance

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Man könnte auch ohne Schulabschluss ein guter Klempner werden. (Foto: Imago/Zoonar.com/Yuri Arcurs peopleimages.com)

Immer mehr Jugendliche beenden die Schule vorzeitig. Arbeitgeber sollten sie einstellen, statt nur über fehlenden Nachwuchs zu klagen.

Kommentar von Leonard Scharfenberg

Klempnerinnen, Fleischer und Lebensmittelfachverkäuferinnen. In diesen Berufen gibt es die meisten unbesetzten Ausbildungsstellen. Um für Azubis zu werben, überlegen sich Unternehmensverbände immer neue Imagekampagnen: "Wirtschaft fängt mit Wir an", plakatiert etwa die IHK. Doch bringen tut das wenig: Insgesamt sind 35 Prozent der angebotenen Plätze im vergangenen Jahr leer geblieben, das zeigen Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. 16 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Der Nachwuchsmangel verschärft sich.

Das Institut hat die Ausbildungsbetriebe nach den Gründen für die Nichtbesetzung gefragt. "Zu wenige Bewerbungen" landete dabei nur auf Platz zwei unter den Antworten. Mehr als die Hälfte der befragten Betriebe gab stattdessen an, "keine geeigneten Bewerbungen" erhalten zu haben. Stellt sich die Frage: Wer ist geeignet? Und können es sich die Unternehmen weiterhin leisten, einen großen Teil der jungen Menschen nicht in Betracht zu ziehen?

Mehr als 50 000 junge Menschen verlassen in Deutschland jedes Jahr die Schule ohne einen Abschluss. Fast die Hälfte davon haben davor eine Förderschule besucht. Ohne Hauptschulabschluss haben sie geringe Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Sie landen dann meist in Hilfstätigkeiten auf Mindestlohnniveau oder auf dem zweiten Arbeitsmarkt, also in Jobs, die ohne öffentliche Fördermittel nicht existieren würden. Oder sie finden überhaupt keine Arbeit.

Verantwortlich für diese Misere ist eine verfehlte Bildungspolitik: die frühe Sortierung der Kinder in Gymnasium, Real- und Mittelschulen, mangelnde individuelle Förderung, zu wenige Lehrkräfte. All das führt dazu, dass in Deutschland schulischer Erfolg immer noch stark vom Elternhaus abhängt. Wer nicht unterstützt wird und keine Perspektive sieht, rutscht leicht durchs Netz. Es ist ein System, das Menschen fallen lässt, welche es eigentlich dringend braucht.

Von der bildungspolitischen Trendwende aber, die die zuständige Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) nach der Verkündung der jüngsten Schulabbrecherzahlen im Februar ausgerufen hat, erwarten Expertinnen und Experten eher wenig. Heißt: Mit großen Veränderungen, erst recht mit einer Verbesserung der Lage ist erst einmal nicht zu rechnen.

Viele entscheiden sich für ungelernte Jobs, weil sie da besser verdienen

Zeit also, dass die Betriebe die Sache selbst in die Hand nehmen. Denn auch wer keinen Abschluss hat, kann ein guter Klempner werden - und gegebenenfalls seinen Abschluss während der Ausbildung nachholen. Wenn sich Betriebe Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher mit Lernschwächen oder anderen Einschränkungen als Azubis holen, können sie schon jetzt eine Vielzahl an staatlichen Unterstützungen geltend machen. Vielleicht braucht dann der ein oder andere Azubi mal ein Jahr mehr oder muss ein wenig enger betreut werden. Aber wäre es das nicht wert?

Ein kleiner Teil der Ausbildungsbetriebe bietet bereits Stellen an, für die man explizit keinen Schulabschluss braucht. Nur machen die gerade mal 0,1 Prozent der Ausbildungsplätze aus. Zu wenige. Währenddessen steigt - trotz Azubimangels - die Zahl der nicht versorgten Bewerberinnen und Bewerber in Deutschland.

Viele junge Menschen ohne Abschluss trauen sich gar nicht erst, sich zu bewerben, weil sie sich selbst nicht für ausbildungsreif, sprich für ungeeignet, halten. Für sie wäre es ein wichtiges Signal, wenn sich die Betriebe offener zeigen würden.

Dazu kommt die Frage nach dem Geld. Bei einer aktuellen Mindestausbildungsvergütung von knapp 650 Euro entscheiden sich viele junge Menschen für ungelernte Jobs, in denen sie auf Anhieb mehr bekommen. Besonders für Jugendliche aus ärmeren Familien müssten viele Betriebe bessere Bedingungen schaffen.

Klar, die eigentlichen Probleme liegen in der Bildungspolitik. Nachvollziehbar, wenn die Ausbildungsbetriebe von der Bildungspolitik enttäuscht sind und eine frühere Berufsorientierung an den Schulen fordern. Auch und gerade an den Förderschulen wäre das wichtig. Denn wer die Perspektive auf eine konkrete Berufsausbildung vor Augen hat, der lernt motivierter für seinen Abschluss.

Und trotzdem: Wer es bislang nicht einmal versucht hat, Jugendlichen ohne Schulabschluss eine Chance zu geben, der sollte sich nicht über einen Mangel an Auszubildenden beklagen.

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Von Alma Dewerny, Leonard Scharfenberg

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