Am Mittwochmorgen geht vor dem Eingang zur Hauptversammlung von RWE plötzlich nichts mehr. Ein Rentner versucht, durch ein dichtes Netz aus Wollfäden zu klettern. Ein Manager weiß nicht weiter. Es geht nicht vorwärts und nicht zurück. Demonstranten haben mit Wollfäden in Windeseile ein Netz aus bunten Fäden gespannt. Polizisten in Kampfmontur müssen Manager, Mitarbeiter und Rentner mit Scheren befreien. "Schämt euch", rufen die 100 Demonstranten.
Es würde bei der Hauptversammlung von RWE turbulent werden. Das war Konzernchef Jürgen Großmann schon vorher klar. Dass die Demonstrationen auch im Kreise der Eigentümer eskalieren würden, ahnte der Konzernboss nicht.
Bereits am Vorabend der Hauptversammlung war es in Essen zum Eklat gekommen. Zwischen der Konzernspitze und den kommunalen Aktionären von RWE kam es zum offenen Streit über die Atomfrage. Bei einem Aktionärstreffen am Abend hätte sich unter den einflussreichen Kommunen, die 25 Prozent am Konzern halten, ein breiter Konsens für den raschen Atomausstieg abgezeichnet, verlautete aus Konzenkreisen.
Große Kommunen hätten Vorschläge für eine neue Konzernstrategie beschlossen. Diese sollten dem Vorstand in den nächsten Wochen vorgelegt werden - ein Affront gegen die gesamte RWE-Führung. Großmann sei über derart breiten Widerstand überrascht gewesen, heißt es weiter. Er habe bei einem Treffen mit Vertretern der kommunalen Aktionäre erklärt, mit ihm sei ein beschleunigter Atomausstieg nicht zu machen.
Wegen der Demonstrationen begann die Hauptversammlung erst mit einer halben Stunde Verspätung. Immer wieder unterbrachen Demonstranten auch in der Grugahalle die Rede des RWE-Chefs mit Trillerpfeifen. Umweltschützer rollten Plakate aus und riefen "Abschalten!". Aktionäre versuchten, sie daran zu hindern. Es kam zu kleineren Handgemengen. Sicherheitskräfte führten die Demonstranten schließlich aus dem Saal.
"Die deutschen Kernkraftwerke erfüllen die geltenden Sicherheitsanforderungen. In jedem anderen Fall hätten sie bereits zuvor abgeschaltet werden müssen. Daran ändern die Ereignisse in Japan nichts", verteidigte Großmann seinen Atomkurs.
Christoph Hirt vom internationalen Großinvestor Hermes, der Vermögen in Höhe von rund 80 Milliarden Euro verwaltet, griff die RWE-Führung hart an. RWE sehe sich wegen seiner Atomstrategie großen Risiken gegenüber. Die Reputation des Konzerns stünde auf dem Spiel. Auf Mitarbeiter und Aktionäre kämen in den nächsten Monaten große Probleme zu.
Christoph Ohme vom Investor DWS warnte, der Konzern steuere mit hohen Investitionen in die falsche Richtung. "Man ist mit Vollgas in die Sackgasse gefahren und hat nun Probleme mit dem zu langen Bremsweg", sagt Ohme. Der Fonds habe 140 Millionen Euro in den Konzern investiert. "Unsere Aufgabe ist es, damit verantwortungsvoll zu wirtschaften." Bei RWE gebe es da allerdings Zweifel.