Inflation:In Russland schrumpfen die Verpackungen

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Da stimmt doch was nicht: Wenn im Karton plötzlich ein Ei weniger liegt, fällt das vielen auf. (Foto: dpa)
  • In Russland steigen die Lebensmittelpreise enorm, kleinere Packungsgrößen sollen darüber hinwegtäuschen.
  • Viele Bürger fühlen sich nicht ernst genommen: Sie müssen immer mehr Geld für Nahrungsmittel bezahlen, während gleichzeitig die Löhne sinken.

Von Silke Bigalke, Moskau

Das neue Jahr, sagt man in Russland, wird so, wie man es beginnt. Vielleicht haben sich viele Russen beim ersten Einkauf nach den Feiertagen auch deswegen geärgert, als plötzlich ein Ei in ihrem Eierkarton fehlte. Schrumpfende Verpackungen sind sie eigentlich längst gewöhnt, die 950-Milliliter-Flasche Milch haben sie ebenso klaglos hingenommen wie das 900-Gramm-Päckchen Reis. Das allerdings sieht fast aus wie ein Kilo, während man neun Eier beim besten Willen nicht als zehn verkaufen kann. Allein der Karton hat ein völlig neues Format.

Das fehlende Ei jedenfalls war der Tropfen zu viel in ein randvolles Fass, und das Internet läuft über vor Spott. Präsident Wladimir Putin habe Russland mit zehn Eiern übernommen, aber gebe es mit nur neun zurück, wird da gewitzelt. Fotos von Arnold Schwarzenegger als "Demotivator" machen die Runde; dessen Kanone ist mit einer Neuner-Batterie Eier geladen. Die Leute fühlen sich endgültig für dumm verkauft. Sie ahnten längst, dass die kleineren Portionen über steigende Preise hinwegtäuschen sollten. Sie federn Inflation und Rubelkrise an der Kasse ab.

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Der Verpackungstrick steht symptomatisch für die krankende Wirtschaft. Wer ohnehin haushalten muss, um über die Runden zu kommen, den trifft es, wenn der Eierpreis wie 2018 um 26 Prozent innerhalb eines Jahr steigt. Etwa ein Drittel ihres Einkommens geben die Russen im Schnitt für Lebensmittel aus. Gleichzeitig fallen ihre realen Einkommen seit Jahren. Die Menschen können sich immer weniger leisten für ihr Geld. Also wird ihnen im Laden einfach weniger eingepackt - dieser Lösungsansatz wirkt wie Hohn.

Die Regierung scheint die Sorgen nicht sehen zu wollen. Sie spricht von Wachstum, steigender Nachfrage, höherer Produktion. Putin kündigt seit Jahren an, Russland zur fünftgrößten Wirtschaftsmacht der Welt zu machen (gemessen an der Wirtschaftsleistung liegt es laut IWF derzeit auf Platz zwölf). Der Präsident nimmt selbst nur ein, zwei Mal im Jahr Rubel in die Hand, wie sein Sprecher kürzlich enthüllte: Wenn er Ski fährt und das Café in den Bergen nur Bargeld nimmt. Da kann er sich wohl kaum vorstellen, wie es ist, wenn alte Backrezepte nicht mehr aufgehen, weil ein Päckchen Quark nicht mehr das ist, was es einmal war.

Auch andere Preise steigen zweistellig

Der russische Zuckerpreis ist 2018 um 28 Prozent gestiegen, der für Fleisch um knapp zehn. Im Januar wurde auch noch die Mehrwertsteuer von 18 auf 20 Prozent erhöht. Das treibt die Lebensmittelpreise weiter in die Höhe. Manche schlagen scherzhaft vor, bekannte Maßeinheiten über den Haufen zu werfen und aus dem Zehn- ein Neun-Rubel-Stück zu machen. Andere flüchten sich in die Verse des russischen Dichters Fjodor Iwanowitsch Tjutschew: "Ganz fremd ist Russland dem Verstand; An keine Messlatte zu schrauben; Hier herrscht ein sonderbarer Stand: An Russland kann man einzig glauben!"

Für die, die fest an die Erholung des Rubel glauben wollen, gibt es eine Lösung: Die Regierung lässt nun die Anzeigetafel vor den Wechselstuben abschrauben. Dann werden Passanten nicht ständig daran erinnert, dass ihre Rubel nur noch halb so viele Dollar wert sind wie im Jahr 2014. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Preisschilder aus den Läden verschwinden.

© SZ vom 22.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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