Es war ein verhältnismäßig harmloser Vorgang, der zum Politikum in Russland wurde: Am 21. November kletterte der Hip Hopper "Husky" im südrussischen Krasnodar auf das Dach eines geparkten Autos und rappte eines seiner Lieder. Mit dem Spontan-Auftritt wollte er seine Fans für ihre wertlosen Tickets entschädigen. Denn zuvor war ihm in dem Klub, in dem er ein Konzert geben wollte, der Strom abgestellt worden.
Nach dem ersten Lied auf dem Autodach war Schluss: Die Polizei nahm den Musiker, der mit bürgerlichem Namen Dmitrij Kuznetsow heißt, in Gewahrsam - unter anderem wegen Rowdytums und Widerstands gegen die Staatsgewalt. Die zwölftägige Gefängnisstrafe, zu der er anschließend verurteilt wurde, löste öffentliche Proteste in einer Lautstärke aus, die schließlich sogar die Staatsführung alarmierte.
Wie der unabhängige Fernsehsender "Doschd" unter Berufung auf kremlnahe Quellen berichtete, setzte sich die Präsidialverwaltung beim Krasnodarer Bezirksgericht für die Freilassung Kuznetsows ein. Und so verließ der Rapper das Gefängnis bereits nach fünf Tagen.
Dass sich die Staatsführung an höchster Stelle dazu veranlasst sah, die Behörden in der Provinz im Zaum zu halten, hat einen einfachen Grund: Im Kreml hat man gelernt, dass die Maßregelungen populärer Jugendidole mitunter sehr viel Widerstand provozieren, der über soziale Netzwerke sehr laut werden kann. Da ist es dann und wann klügere Staatskunst, die Popularität der Künstler für sich selbst zu nutzen.
Denn die Verhaftung "Huskys" hatte die mediale Aufmerksamkeit endgültig auf die Repressionen gelenkt, denen sich junge Rapper wie er, das Duo "IC3PEAK" oder die Teenagerband "Frendzona" zuletzt durch die Behörden bei Tour-Auftritten durch das ganze Land ausgesetzt sahen.
"Wenn Du es nicht verhindern kannst, dann lenke und steuere es"
So groß wurde die Empörung, dass sie gar zu einer Angelegenheit der Grundrechte wurde: Tatjana Moskalkowa, die Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, gestand dem Kulturgut "Rap" Anfang der Woche ausdrücklich ein Existenzrecht zu: "Die ältere Generation hat schon immer mit Skepsis auf neue Kunstformen reagiert", betonte die Politikerin. "Wir müssen uns nur an Phänomene wie den Jazz oder den Rock sowie an Namen wie Chlebnikow, Kandinsky, Majakowski und Skrjabin erinnern, um zu wissen, dass es in der Kunst zu Neuerungen kommt - so, wie bei jedem anderen menschlichen Tun", dozierte die 63-Jährige unter Hinweis auf futuristische und expressionistische Neuerer Russlands in Literatur, Malerei und Musik.
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Es war wohl kein Zufall, dass die Duma-Abgeordnete Moskalkowa ausgerechnet jetzt Partei für die jungen Musiker ergriff. Sie konnte sich der Rückendeckung von ganz oben sicher sein: Bei einer Sitzung des Präsidialrats für Kunst und Kultur am vergangenen Wochenende in St. Petersburg bezog Wladimir Putin erstmals direkt Stellung zu der Frage, wie Rap denn nun als Ausdruck künstlerischen Handelns zu bewerten sei.
Der Präsident bemühte sich dabei sichtlich um eine ausgleichende Haltung. Seine wichtigste Botschaft: Es sei nicht klug, Hip-Hop-Konzerte zu untersagen, denn das wirke nur kontraproduktiv. Vielmehr empfahl er, nach dem Prinzip zu verfahren: "Wenn Du es nicht verhindern kannst, dann lenke und steuere es."
"Betäubungsmittel sind die größte Gefahr für die Gesellschaft"
Putin räumte zwar ein, dass die Popularität des Rap auf Sex, Drogen und Protest basiere und "dass der Pfad zum Niedergang der Nation mit harten Beats und noch härteren Reimen gepflastert" sei. Unter den drei genannten Problemfeldern alarmierten ihn Suchtstoffe allerdings am meisten: "Betäubungsmittel sind bei all dem die größte Gefahr für die Gesellschaft", sagte der Kreml-Chef. Bei seiner Jahrespressekonferenz wenige Tage später wiederholte Putin seine Sicht der Dinge zum Rap.
Weil sich Putin inhaltlich eher selten zum Hip Hop äußert und das Wort "Sex" praktisch nie in den Mund nimmt, war das Internet unmittelbar nach seinem Auftritt in St. Petersburg voller Clips und Meme, in denen das Staatsoberhaupt die Worte "Seks, Narkotiki und Protest" ("Sex, Drogen und Protest") zu rappen schien.
Das Netz rückte Putin damit spaßeshalber ausgerechnet in die Nähe derer, die Russlands Staatsorgane zuletzt verstärkt drangsalierten.
Die Vorwürfe, die etwa die Krasnodarer Strafverfolgungsbehörden gegen "Husky" erhoben, illustrieren ein Kunstverständnis, das zwischen gebotener Ernsthaftigkeit, Satire und Humor kaum unterscheiden kann. Der 25-Jährige wurde etwa buchstäblich beschuldigt, den Kannibalismus zu verherrlichen. Dass die Aussage "Erinnere Dich daran, dass Du starbst, und wir Dein Fleisch aßen" in seinem Lied "Gedicht an das Vaterland" rein logisch wenig Sinn ergibt, spielt für sie keine Rolle.
Manche der "Husky"-Clips sind in Russland geblockt, weil sie Drogenkonsum, Waffen und Schlägereien ins Bild setzen. Bei Youtube ist etwa das Video zu seinem Lied "Judas" nicht mehr abrufbar. In seinen Texten kritisiert der Musiker mitunter die Regierung, er prangert Armut und Polizeigewalt an. Außerdem würde er - so die Vorhaltung - die Gefühle von Gläubigen verletzen und Propaganda machen für sexuelle Zügellosigkeit.
Schikanen auf der ersten Russland-Tournee
Es sind Anschuldigungen, wie sie in diesem Jahr viele populäre Jung-Musiker zu hören bekamen. Das Slaughterhouse-Hard-Rave-Duo IC3PEAK irrte Ende November regelrecht durch Perm, nachdem die Behörden einen Veranstaltungsort nach dem anderen dicht gemacht hatten. Als auch die dritte Bühne, auf der sie dann schließlich undercover auftreten wollten, vom Geheimdienst abgeriegelt worden war, gab die Moskauer Formation auf - ihr Konzert in Perm war geplatzt.
Auch die aus St. Petersburg stammende Teenagerband "Frendzona" sah sich Mitte November bei ihrer ersten Russland-Tournee plötzlichen Schikanen ausgesetzt: In Kemerowo erschienen Offizielle am Veranstaltungsort und sagten das Konzert jäh ab. In Krasnojarsk wurde der Betreiber des Klubs kurzfristig inhaftiert, in dem "Frendzona" auftreten wollten. Der Gig fiel aus.
Laut der Krasnojarsker Staatsanwaltschaft "enthalten die meisten Musikstücke der Gruppe Schmähungen, werben für sexuelle Beziehungen ohne Tradition, Suizid, Alkohol und andere verbotene Substanzen".
Kreml instrumentalisiert Popkultur für sich
Street Art:Mehr Berlin täte Moskau gut
Ob Biennalen, Auktionen oder Festivals: Kein anderes Land forciert die Straßenkunst so sehr wie Russland. In Moskau entstanden so innerhalb weniger Jahre Tausende Wandbilder. Doch mit Protestkultur hat das nichts zu tun.
Dass sich der Kreml nun trotzdem für eine Protestkultur wie den Rap einsetzt, liegt daran, dass der Staatsapparat gelernt hat, wie er die Pop-Kultur für sich instrumentalisieren kann. 2012, als im Zuge der Proteste gegen Wladimir Putins dritte Amtszeit als Präsident politische Graffiti ein Teil des Widerstands wurde, bemächtigte sich der Kreml genau dieser Protestkultur.
Die Street Art wurde plötzlich vom Staat gefördert, von diesem aber auch kontrolliert und kommerzialisiert. Diejenigen freiheitlich gesinnten Geister, denen diese pluralistisch angehauchte Vielfalt im öffentlichen Raum gefehlt hatte, wurden dadurch beschwichtigt. Und jene, die tatsächlich mittels Graffitis aufbegehren wollten, wurden marginalisiert. In Moskau etwa entstanden so innerhalb weniger Jahre Tausende Wandbilder, die mit Protestkultur freilich nichts zu tun haben.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die russische Staatsführung nun offensichtlich auch beim Rap. Der ist als kulturelles Phänomen inzwischen viel zu groß, als dass er in einem System noch bekämpft werden könnte, das sich zumindest nach außen hin den Anschein geben will, freiheitlich zu sein.
Spätestens als sich im August 2017 in einem Battle-Rap die zwei russischen MCs Oxxxymiron und Gnoiny (dt. Eitrig) alias Slawa KPSS mit einander anlegten, wurde klar, dass die Subkultur Rap zum Massenphänomen geworden war:
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Innerhalb einer Woche brach die Aufzeichnung im Internet alle Rekorde und verzeichnete elf Millionen Aufrufe - bis heute sind es mehr als 38 Millionen.
Das heißt: Ein signifikanter Teil der russischen Bevölkerung schaute sich das einstündige Wortgefecht voller Verbalinjurien, derber Sprechweise und Insider-Jargon an.
Dem Kreml ist inzwischen allzu klar: Wer Millionen junger Bürger den Zugang zu dieser Kunstform durch Repressalien verbietet, stärkt nur den Widerstandsgeist der heranwachsenden Generation. Als etwa ein Gericht der Gruppe Krowostok (dt . Blutrinne) 2015 die Webpräsenz verbot, steigerte das deren Bekanntheitsgrad.
Die Oberen in Moskau können zudem die Interessenlage der Verantwortlichen in der Provinz realistisch einschätzen. Letztere exekutieren oft genug harsche Maßnahmen, von denen sie glauben, dass diese im repressiven Sinne der Moskauer Zentrale seien. Wer aufmüpfige Rapper bekämpft, kann vielleicht von Mängeln im Straßenbau oder bei der Gesundheitsversorgung vor Ort ablenken, so das Kalkül.
Es gibt auch regimetreue Rapper
Der Kreml nimmt renitente Rapper vorerst aber lieber hin als langfristige Mängel in der Infrastruktur. Die Staatsführung weiß: Es ist besser, gegen Straßen-Schlaglöcher vorzugehen, als gegen die Freiheit des Geistes in diesem Falle. Denn Letztere lässt sich vereinnahmen, zumal russische Rapper insgesamt recht unpolitisch sind. Künstler, wie etwa "Face", die einen systemkritischen Blick auf den Alltag werfen, sind die Ausnahme.
Auch "Husky" ist aus Sicht des Kremls nicht nur ein aufsässiger Unruhestifter. Zwar kritisierte er Präsident Putin in einem Lied, das er an dessen Geburtstag veröffentlichte. Doch andererseits reiste er 2017 in die selbsternannte Volksrepublik Donezk und verwandelte Aussagen des Feldkommandeurs "Motorola" in einen Rap-Song.
Der Hip-Hopper "Timati" steht beispielhaft für diese regimetreue Spielart des russischen Rap. Er verhehlt noch nicht einmal seine Nähe zum Staatsoberhaupt: "Mein bester Freund ist Präsident Putin", lautet der Titel eines seiner Stücke. Dass der Genannte die Rapper gewähren lässt, ist mitunter also in seinem eigenen Interesse. Timotei zumindest sei "ein sehr guter Mann", so Putin.