Roboter-Hersteller:Er lässt die Roboter aus dem Käfig

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"Wir haben hier noch richtige Entrepreneure": Kuka-Chef Till Reuter (Foto: Stephan Rumpf)

Bevor Till Reuter Chef bei Kuka wurde, war der Maschinenbauer aus Augsburg fast am Ende. Nun ist der Erfolg zurück - und ein chinesischer Investor greift nach der Macht.

Porträt von Ulrich Schäfer, Augsburg

Wenn Till Reuter über seine Roboter redet, hat man fast den Eindruck, als spreche er über Menschen. Sie könnten schon bald "denken, fühlen und laufen". Und natürlich haben sie auch Namen. Der größte von ihnen heißt Titan: ein orangenes Monster mit einem mehr als drei Meter langen, beweglichen Arm. Geschützt durch einen hohen Zaun, arbeitet er in einer riesigen Halle auf dem Werkshalle von Kuka in Augsburg. Dieser Roboter ist so mächtig, dass er ganz alleine kleinere Roboter produzieren kann: Die eine Maschine gebärt also ganz viele andere Maschinen; die Roboter-Mutter bekommt Kinder.

Till Reuter, seit sieben Jahren Vorstandschef von Kuka, sieht nicht aus wie ein gelernter Maschinenbauer, und der ehemalige Investmentbanker ist auch keiner: Er hat zehn Jahre für Morgan Stanley, die Deutsche Bank und Lehman Brothers gearbeitet, davor als Anwalt in New York, São Paulo und Frankfurt, und empfängt nun im offenen Hemd, auch das Sakko legt er schnell beiseite, als er sich an einen Tisch in der lichtdurchfluteten, von Glaswänden durchzogenen neuen Kuka-Hauptverwaltung setzt. Bloß keine Formalitäten! In seinem ziemlich leeren Büro schräg gegenüber stehen zwei weiße Designersofas und ein stylischer Schreibtisch, Aktenschränke und Papierstapel sucht man vergebens.

Der Endvierziger führt Kuka im Stile eines Start-ups. Und in gewisser Hinsicht ist es inzwischen ja auch eines: Der Maschinenbauer mit seinen 12 000 Mitarbeitern beschäftigt mittlerweile 400 Software-Entwickler, vier Mal so viele wie 2009, und will diese Zahl in den kommenden Jahren noch mal verdoppeln; dazu kommen die klassischen Ingenieure, die man aus dem Maschinenbau kennt: "Wir haben hier noch richtige Entrepreneure", sagt Reuter.

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Die Roboter werden auch sicherer

Besonders stolz ist er auf eine Maschine, die sie bei Kuka ein wenig spröde LBR nennen, eine Abkürzung für Leichtbauroboter. Es ist die kleinste Maschine, die in den Werkshallen an der Augsburger Zugspitzstraße gefertigt wird, in gewisser Hinsicht also das Baby; es ist zugleich auch der modernste Roboter, den Kuka verkauft. Der silberne, nur 80 Zentimeter lange Arm mit seinen insgesamt sieben Gelenken kann sich bewegen wie ein menschlicher Arm; er ist vollgestopft mit Platinen, Kabeln und empfindlichen Sensoren, die erkennen, wenn ein Mensch sich der Maschine nähert und sie berührt.

So etwas konnten Roboter bis vor Kurzem nicht, sie hätten einfach stupide weitergearbeitet - und im schlimmsten Fall den Arm des Arbeiters eingeklemmt. Der LBR dagegen weicht aus oder stoppt seine Bewegung, wenn es für den Menschen daneben gefährlich wird - und er macht weiter, sobald die Gefahr vorbei ist. "Mensch und Maschinen können so nun Hand in Hand arbeiten", sagt Reuter. Das verändere die Arbeit in den Fabriken von Grund auf: "Die Roboter kommen nun raus aus ihren Käfigen." Sie verlassen die umgitterten Schutzbereiche, die bisher viel Raum in den Werkhallen kosteten; den Raum kann man künftig anders nutzen.

Es ist eine in vieler Hinsicht erstaunliche Entwicklung. Denn als Reuter im Jahr 2009 als Vorstandschef nach Augsburg kam, war Kuka quasi am Ende. Das Unternehmen setzte 900 Millionen Euro um, nicht mal ein Drittel des heutigen Umsatzes, der Verlust betrug 75 Millionen Euro. "Wir haben damals die Banken abgeklappert, damit die die Kredite nicht fällig stellen", erinnert sich Reuter. Ein Sanierungsfall also. Doch die Sanierung gelang, Reuter ordnete den Konzern neu, verkaufte manches und kaufte anderes dazu, etwa das Schweizer Unternehmen Swisslog, das Roboter für Krankenhäuser entwickelt.

Und vor allem: Die Ingenieure und Software-Entwickler von Kuka schufen neue, intelligentere Roboter. Etwa den LBR. Im April 2016 durfte Reuter dieses Wunderding auf der Hannover Messe auch Barack Obama und Angela Merkel vorführen. Er erklärte den beiden, welche Vorteile der Roboter habe, dann forderte er den US-Präsidenten auf, doch der Maschine mal die Hand zu geben, um die Wirkung der Sensoren auszutesten. Nein, das wolle sie selber machen, sagte Merkel. Und griff zu. Prompt blieb der Roboter stehen - und setzte die Arbeit fort, als sie wieder loslies.

Als "impressive" hatte Obama in Hannover am Abend zuvor auch schon seine erste Begegnung mit Kukas Hightech-Maschinen bezeichnet: den Tanz von sieben orangenen Robotern während der Eröffnungsfeier. Reuter war danach als nur einer von zehn deutschen Unternehmern zum Abendessen mit Merkel und Obama im kleinen Kreis geladen. Die Anderen: Das waren die Chefs von Siemens, VW oder Bosch. Große Konzerne mit ein paar hunderttausend Mitarbeitern also. Und dazu Kuka, ein Mittelständler. Gegründet 1898 in Augsburg von Josef Keller und Johann Knappich; daher auch der Name, eine Abkürzung für Keller und Knappich Augsburg; groß geworden mit dem Bau von Acetylen-Generatoren und Schweißgeräten; im Zweiten Weltkrieg von Bomben erheblich getroffen und danach wieder aufgebaut; vor ein paar Jahren dann fast pleite; und heute ein Betrieb, für den sich nicht nur Merkel und Obama interessieren, sondern auch chinesische Investoren.

Der Midea-Konzern, ein Hersteller von Haushaltsgeräten, gab vorige Woche ein Gebot für Kuka ab; das Unternehmen aus der Volksrepublik strebt einen Anteil von 30, lieber noch 40 oder 50 Prozent an. Ein Manöver, mit dem Reuter gerechnet hat, seit Midea neun Monate zuvor die ersten Aktien erworben hat. Ein Manöver, das Kuka in den nächsten Monaten weit mehr Aufmerksamkeit einbringen dürfte als bei Übernahmen dieser Größenordnung üblich. Das weiß auch Reuter: "Wir stehen wie kaum jemand anders für Industrie 4.0 made in Germany."

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Was Kuka fehlt: Erfahrung mit der Cloud

Industrie 4.0. - dies bedeutet, dass bald alle Maschinen über das Internet miteinander vernetzt und die Unternehmen dadurch noch effizienter und produktiver sein werden. Diese neue Welt der smarten Fabriken entsteht gerade in hoher Geschwindigkeit. Der amerikanische Chiphersteller Intel erwartet in dem Bereich des Internets der Dinge in den nächsten Jahren mit die höchsten Investitionen; sie werden weit höher ausfallen als das, was die Menschen für Smartphones, Tablets oder andere Geräte ausgeben, die mit dem Internet verbunden sind.

Was aber bedeutet das für einen Maschinenbauer wie Kuka? Reuter erklärt das anhand von zwei Schaubildern. Das erste zeigt, analog zur Evolution des Menschen, die Evolution der Roboter: Angefangen mit den Maschinen, die es seit Jahrzehnten gibt, voll automatisiert und doch dumm, eingepfercht hinter Schutzzäunen; der zweite Schritt sind Roboter wie der LBR; der dritte Schritt sind mobile Roboter, die sich eigenständig vorwärts bewegen - auch sie kommen nun in die Fabrikhallen; der vierte Schritt schließlich sind Maschinen, die selber lernen, ausgestattet mit Künstlicher Intelligenz. Einher geht die Evolution damit, dass bald alle Roboter über die Cloud, die große Datenwolke, miteinander kommunizieren werden; dann kann man sie auch aus der Ferne steuern und kontrollieren, im Zweifel über eine Distanz von ein paar Tausend Kilometern.

Das zweite Schaubild, das Reuter auf den großen Konferenztisch legt, zeigt, was Kuka kann: die Entwicklung und Produktion von Robotern. Und es zeigt, was Kuka eben nicht kann: Das Unternehmen hat zum Beispiel keine Erfahrung im Umgang mit der Cloud. "Dafür brauchen wir die Expertise von draußen.", sagt Reuter. Also im Zweifel von amerikanischen Internetfirmen. Das ist einerseits heikel, denn natürlich fürchtet man auch in Augsburg, dass Google und Co., die Herren der Daten, ihr Geschäft ausweiten und am Ende auch die deutsche Industrie attackieren könnten. Andererseits sagt Reuter selbstbewusst: "Wir haben mehr als 40 Jahre Expertise im Roboterbau. Dieses hochspezialisierte Wissen in der Mechatronik kann sich niemand einfach aneignen, auch die Amerikaner nicht. Das ist unser Schatz."

Warum also auf Google warten? Reuter will stattdessen selber in Geschäftsfelder vordringen, die Kuka bisher nicht besetzt hat. Denn wenn die Roboter über die Cloud miteinander kommunizieren, könne Kuka künftig nicht bloß Roboter liefern, sondern die Steuerung kompletter Fabriken organisieren. Ein lukrativer Markt, den bislang Konzerne wie Siemens oder Rockwell mit ihren Lösungen aus einer Hand beherrschten. Reuter dagegen will eine offene Plattform schaffen, steuerbar auch über das Smartphone; die offen für andere Anbieter ist; mit Apps, die man sich je nach Bedarf zusammenstellen kann. Aber klar sei: "Die Oberfläche wollen wir liefern, das look and feel soll Kuka sein."

Man könnte es auch so formulieren: Reuter will einige Prinzipien des App-Stores von Apple auf den Maschinenbau übertragen. Das betrifft auch die Frage, wie Kuka künftig Geld verdient. Bisher hat das Unternehmen seine Roboter verkauft. Die Cloud aber ermöglicht es, die Zahl der Roboterbewegungen exakt zu messen; es ist dadurch möglich, Roboter nach Leistung zu bezahlen. Man werde die Maschinen deshalb künftig wohl nur noch vermieten, sagt Reuter. Zugleich wird Kuka die Roboter über die Cloud aus der Ferne warten. Zeigt sich, dass ein Teil bald defekt sein könnte, tauscht Kuka es rechtzeitig aus. Den Stillstand einer Fabrik werde es künftig nur noch ganz selten geben, verspricht Reuter.

Das Geld müsse in Deutschland fließen

Weil die Digitalisierung Kuka so viele Möglichkeiten eröffnet, will Reuter mit dem Unternehmen auch dann möglichst unabhängig bleiben, wenn die Chinesen einsteigen sollten. Man werde daher prüfen, ob das Angebot von Midea "uns hilft, unsere strategischen Ziele womöglich besser oder schneller zu erreichen" und dann entscheiden, ob man den Aktionären empfiehlt, es anzunehmen oder abzulehnen. So ähnlich dürfte Reuter es an diesem Freitag auch auf der Hauptversammlung sagen.

Kuka wolle weiter wachsen und erheblich in Software investieren, sagt er: "Ein Partner, der uns bei Investitionen unterstützen könnte, könnte eine Chance bedeuten." Dieses Geld müsse natürlich auch nach Deutschland fließen, denn die hiesigen Ingenieure "haben uns groß und erfolgreich gemacht". Reuter beharrt darauf: "Das muss auch so bleiben."

© SZ vom 25.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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