Wäre der Internationale Währungsfonds (IWF) ein meteorologisches Institut, dann müsste man die Mitteilung, die er am Dienstag herausgab, wohl als dringliche Unwetterwarnung bezeichnen. Zwar gab es auch in den zurückliegenden Jahren schon Probleme, die die Weltkonjunktur belasteten - die Euro-Krise etwa. Eine solche Ballung von Risiken aber, wie sie derzeit zu beobachten ist, hat es in der 70-jährigen IWF-Geschichte selten gegeben. Gelinge es nicht, die wichtigsten Umwälzungen zu meistern, so der Fonds, "dann könnte das globale Wachstum aus der Bahn geworfen werden".
Noch kann zumindest in den Industriestaaten von einem Einbruch keine Rede sein, mancherorts, etwa in Deutschland, könnten die Zuwachsraten 2016 und 2017 mit jeweils 1,7 Prozent sogar ein klein wenig höher ausfallen als bisher erwartet. Gleichzeitig jedoch trüben sich die Konjunkturaussichten in vielen großen Schwellenländern dramatisch ein. Das gilt vor allem für China, wo sich das Wachstum laut IWF nach jahrzehntelangem Boom auf 6,3 Prozent in diesem und 6,0 Prozent im kommenden Jahr verlangsamen dürfte. Das wären die niedrigsten Werte seit 1990.
Schlechtere Prognosen auch für Brasilien, Russland und Mexiko
Aber auch andere langjährige Wachstumstreiber fallen bis auf Weiteres aus. Dem einstigen Schwellenländerstar Brasilien etwa, den massive innenpolitische Konflikte lähmen, sagte der IWF für 2016 eine tiefe Rezession mit einem Absturz des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 3,5 Prozent voraus. Und auch in Russland, Mexiko, Südafrika und Saudi-Arabien wird sich die Wirtschaft teils deutlich schlechter entwickeln, als bei der letzten Prognose im Oktober angenommen. Ein Grund ist unter anderem der Verfall der Rohstoffpreise, der sich in diesem Jahr fortsetzen dürfte: Allein beim Öl erwartet der Fonds einen weiteren Rückgang um fast 18 Prozent.
Nun könnte den Industriestaaten ein isolierter Wachstumseinbruch in den Schwellenländern trotz der Rückwirkungen auf die heimische Exportindustrie noch relativ gleichgültig sein, gäbe es da nicht zahlreiche weitere Risikofaktoren. An erster Stelle nennt der Fonds den jüngst eingeleiteten Kurswechsel der US-Notenbank Fed, die für 2016 weitere Leitzinserhöhungen plant. Dies könnte den Dollar-Wechselkurs und die Kreditzinsen nach oben treiben und damit die Bilanzen gerade der US-Unternehmen belasten. Der IWF hat deshalb seine Wachstumsprognosen für die USA in diesem und im nächsten Jahr leicht auf jeweils 2,6 Prozent zurückgenommen.
Zu den weiteren Unsicherheitsfaktoren zählt der Fonds eine mögliche plötzliche Eintrübung der weltweiten Investitionsbereitschaft, die etwa durch eine Fortsetzung der Kapriolen auf den internationalen Aktienmärkten ausgelöst werden könnte. Hinzu kommt die ungewöhnlich große Zahl politischer Brandherde und terroristischer Bedrohungen, die Handel, Tourismus und Finanzmärkte belasten könnte.
China bleibt für den IWF die größte Sorge
Größtes Sorgenkind ist und bleibt aber - ökonomisch gesehen - die Volksrepublik China. Schon seit 2011 gehen die Wachstumsraten hier Schritt für Schritt zurück, 2015 fiel das Plus mit 6,9 Prozent erneut niedriger aus als im Vorjahr (7,3 Prozent). Zwar klingen Zuwächse von fast sieben Prozent für westlichen Ohren immer noch gewaltig. Die Führung in Peking braucht diese Raten jedoch, um Unruhen zu verhindern und ihr Versprechen einzulösen, dass die Armut sinkt und ein wachsender Teil der Bevölkerung am Wohlstand teilhat.
"China befindet sich in einem fundamentalen Wandel", erklärt Mikko Huotari vom Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin. "Die alten Wachstumstreiber wie Export, Investitionen und Aufbau der Infrastruktur greifen nicht mehr." Ökonomen halten es zwar für natürlich, dass der Boom abflaut, weil China gegenüber dem Westen bereits mächtig aufgeholt hat. Auch treibt Peking den Wandel hin zu einer stärker konsum- und dienstleistungsorientierten Wirtschaftsordnung bewusst voran. Das Tempo der damit einhergehenden Konjunkturabschwächung aber ist der Regierung eindeutig zu hoch.
Zudem gibt es den Verdacht, dass die offiziellen Zahlen noch geschönt sind. So verweist Philipp Hauber vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) darauf, dass der sogenannte Keqiang-Index, der den Stromverbrauch, die Kreditvergabe und das Schienenverkehrsaufkommen misst und der sich lange Zeit parallel zum BIP entwickelte, auf etwa drei Prozent gefallen ist. Zwar sprechen der starke Anstieg der Rohölimporte und die Belebung bei den Dienstleistungen dagegen, dass das Wachstum in Wahrheit deutlich niedriger ist als offiziell angegeben. Zweifel aber bleiben. Huotari: "Womöglich wächst die Wirtschaft nur um vier bis fünf Prozent."
Die Frage für den Rest der Welt ist, wie es in China weitergeht. Huotari glaubt, dass die Regierung durch weitere Konjunkturpakete alles tun wird, damit das Wachstum nicht unter 6,5 Prozent sinkt. Auch IfW-Ökonom Hauber rechnet für dieses Jahr mit einem Plus in dieser Höhe: "Wir erwarten keinen großen realwirtschaftlichen Effekt aus dem Börsenabsturz", der Aktienmarkt sei im Vergleich zur Realwirtschaft ziemlich klein. Gleichzeitig zeigten die Stützungsmaßnahmen wie etwa Prämien für den Autokauf bereits Wirkung.
Auch in Deutschland wäre das Wirtschaftswachstum nicht sicher
Hauber zeigt aber auch ein Alternativszenario auf, in dem die auf 150 Prozent der Wirtschaftsleistung gewachsene Verschuldung der Unternehmen doch Schockwellen auf den Finanzmärkten auslöst. In diesem Szenario würde Chinas BIP zwei Jahre in Folge nur um etwa 3,5 Prozent zunehmen. Das Wirtschaftswachstum im Rest der Welt - auch in Deutschland - fiele dann um 0,5 Prozentpunkte geringer aus.
Huotari sieht zudem das Problem, dass die Regierung in Peking den nötigen Wandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft einerseits forciert, ihn aber zugleich durch immer neue Konjunkturmaßnahmen verzögert: "Stimulus-Maßnahmen blasen die Schulden weiter auf", so der Merics-Fachmann. "Damit könnten sie den notwendigen Strukturwandel letztlich verhindern."