Innovationen:Das gefährliche Zögern deutscher Firmen bei der Digitalisierung

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Digitale Revolution und die deutsche Industrie: Szene aus einem Werk der Bosch GmbH in Immenstadt (Archiv) (Foto: dpa)
  • Industrievertreter sorgen sich, dass Deutschlands Unternehmen angesichts der digitalen Revolution den Anschluss an die Weltspitze verlieren.
  • Grund seien Branchenkennern zufolge defensives Denken, Angst vor dem Ungewissen und die Tendenz, digitale Fragen zu delegieren.

Von Karl-Heinz Büschemann, München

Jetzt macht sich sogar der BDI Sorgen. Bisher galt der Bundesverband der Deutschen Industrie als Kampforganisation der Unternehmen und als Garant dafür, dass die Schuld für Dinge, die in der Wirtschaft falsch laufen, bei anderen gesucht wird. Bei den Gewerkschaften, bei den Politikern oder bei den bösen Konkurrenten aus dem Ausland. Jetzt wendet der Verband den Blick auf die eigenen Reihen. Er sorgt sich um die deutsche Wirtschaft. Zu wenige Industrieunternehmen seien für die Zukunft gerüstet.

Die EU verliere auf zentralen Feldern besorgniserregend den Anschluss an die Weltspitze, sagt der BDI in einem Papier, das er von der Beratungsgesellschaft Berger hat schreiben lassen. "Dies könnte mittelfristig nicht ohne Folgen bleiben für in Deutschland und Europa traditionelle starke Branchen wie den Maschinen- und Anlagenbau, den Automobilbau, die Chemie-, die Pharma-, Elektro- oder die Luft- und Raumfahrtindustrie."

Haben die Spezialisten von Berger und die Verbandsfunktionäre etwa recht? Derzeit herrscht allgemeine Zufriedenheit über die deutsche Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, und wenn etwas beklagt wird, dann allenfalls der nachlassende Schwung der chinesischen Wirtschaft, die der hiesigen Konjunktur nicht guttue. Die Berger-Konkurrenz Boston Consulting Group sieht die Dinge auch weniger kritisch: "Die meisten Firmen sind besser vorbereitet als weithin angenommen wird", sagt BCG-Mann Markus Lorenz.

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Aber es gibt Alarmzeichen.

Der BDI erklärte am Montag, dass Deutschland beim sogenannten Innovationsindikator 2015 international nur auf Rang fünf liege, gleichauf mit Belgien und Finnland, sei nicht gut genug. "Deutschlands Anspruch muss die Spitze im Innovationswettbewerb sein", fordert BDI-Präsident Ulrich Grillo. Volkswagen, der größte europäische Autokonzern, hat Schwäche offengelegt, als er der mächtigen Konkurrenz moderner Antriebe wie dem E-Auto mit Tricks begegnete und die Abgaswerte für Dieselmotoren mit Software-Manipulationen kriminell nach unten korrigierte. Die Energiekonzernen wissen nicht, wie sie die Versorgung des Landes mit regenerativem Strom von morgen mitgestalten können. Der Münchner Elektronikmulti Siemens sucht seit drei Jahren ohne Erfolg nach Wachstum. US-Konzerne dominieren die moderne Wirtschaft von morgen. Von den führenden Computer-, Software- und Halbleiterfirmen der Welt sitzt nur einer in Europa, der SAP-Konzern.

Wie steht es um die digitale Kompetenz in Deutschland? "Da sind wir nicht Weltspitze"

Ganze Branchen werden auf den Kopf gestellt. Die Autohersteller werden von Softwarefirmen wie Google bedroht, die Logistikbranche kommt unter Druck von App-Firmen wie Uber. Der größte Zimmervermittler der Welt hat keine eigenen Hotels oder Betten, sondern er vermittelt sie unter dem Namen Airbnb. Vor allem bei der Software sind die Deutschen im Rückstand, weiß Thorsten Oltmanns von Berger, der an der Studie für den BDI mitgeschrieben hat. "Auf diesem Gebiet haben die Deutschen den Anschluss fast verloren. Das ist gefährlich." Bernhard Mattes, Chef von Ford in Köln sieht das so: "Bei der digitalen Kompetenz muss Deutschland aufholen. Da sind wir nicht Weltspitze." Nur sechs von zehn Unternehmen in Deutschland fühlen sich auf die Herausforderungen von Industrie 4.0 ausreichend vorbereitet, sagt eine McKinsey-Umfrage.

Die deutsche Wirtschaft lebt von ihren erfolgreichen Mittelständlern. Aber nicht alle tun genug, um den technologischen Anschluss zu halten. "Nur ein Drittel der Mittelständler setzt sich ernsthaft mit dem technologischen Wandel auseinander", beklagt ein Industrieexperte beim BDI. "Die deutsche Wirtschaft agiert aus einer Position der Defensive."

Jörg Böcking ist Vorstandsmitglied für Forschung und Entwicklung beim Familienunternehmen Freudenberg, einem der erfolgreichsten deutschen Mittelständler. Er erklärt, warum es in deutschen Unternehmen mit der Erforschung der Zukunft hapert. Es sei die Angst vor dem Ungewissen und übervorsichtiges Management.

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"Wir verschwenden 90 Prozent unserer Ressourcen darauf, Risiken zu vermeiden", sagt Böcking über die typische Unternehmenskultur. Es komme aber darauf an, den Weg der Ungewissheit zu gehen, und bei Forschung und Entwicklung den Fehlschlag einzukalkulieren: "Das Scheitern ist der Normalfall." Das Management von Innovationsprozessen sei "das Management des Scheiterns".

Er präge seinen Leuten im Unternehmen ein, es sei kein Drama, wenn sich eine neue Idee nicht umsetzen lasse. "Dann ist das Projekt gescheitert, aber nicht der Projektleiter." Niemand dürfe einen Nachteil daraus haben, dass seine Entwicklung keinen Erfolg hatte, sagt Böcking. Das wichtigste Instrument zur Förderung von Innovationen sei das Vorbild. Der Chef muss vorausgehen, auf ihn kommt es an. "Innovation ist dann wichtig, wenn der Chef dieses Thema wichtig findet." So ähnlich sieht es auch Marijn Dekkers, der es geschafft hat, den Pharma-Konzern Bayer zum teuersten Dax-Konzern zu machen. "Innovation ist Chefsache", sagt der Holländer. "Der Vorstandschef ist für die Innovationskultur im Unternehmen verantwortlich."

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Vor allem sollten sich die Chefs mit IT auskennen und Fragen von Software oder Kommunikationstechnik nicht wie häufig üblich an untere Etagen delegieren. Das glaubt Norbert Gronau von der Universität Potsdam. Der Professor und Experte für die Digitalisierung der Industrie ist nach Umfragen in Unternehmern der Meinung, dass manches gehörig schieflaufe. Alle Industrien, so meint Gronau, die das Rückgrat der Industrie im deutschsprachigen Raum bilden, seien aufgrund herausragender technologischer Leistungen entstanden. "Jetzt zögern sie bei der nächsten industriellen Revolution."

Es gebe im digitalen Zeitalter immer mehr Informationen in der Wirtschaft, das seien Daten, aus denen sich Erkenntnisse für die Strategie ableiten ließen. Doch die Firmen nutzten sie nicht, sie nähmen zu wenig zur Kenntnis, was Kanäle wie Facebook oder Vertriebsplattformen an nützlichen Daten erzeugten. "Es gibt eine furchtbare Zurückhaltung, sich dieses Themas anzunehmen", klagt Gronau.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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