Immobilien:In der Geisterbahn

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Bei einem Umbau geht es kräftig zur Sache. Und was einfach erscheint wird manchmal zu einer Angelegenheit, die Zeit, Geld und Nerven verschlingt. (Foto: privat)

Die neue Wohnung befindet sich in einem "Vintage"-Zustand, der Garten ist "wild-romantisch" eingewachsen: Dieses Angebot steht am Anfang eines Renovierungsdramas.

Von Marc Hoch

Dieses Drama, das beinahe mit einem Herzinfarkt endet, beginnt vor einigen Monaten. In der Nachbarschaft hat sich herumgesprochen, dass man für ein Leben zu viert eine größere Wohnung sucht. Wie aus dem Nichts stellt sich eine Offerte ein, die für die eigene Frau so verheißungsvoll klingt, dass sich bei ihr ein untypisches Blinzeln der Augen einstellt: ein Zeichen hoher Nervosität. Bei dem Objekt handelt es sich um eine recht gut gelegene Wohnung mit Garten, die genügend Raum bietet und zu diskutierbaren Bedingungen erhältlich wäre. Allerdings: Sie befindet sich in einem "Vintage"-Zustand. So bezeichnen Immobilienmakler neuerdings Objekte, die vom orange-gold gehaltenen Bad bis zur holzvertäfelten Küche komplett renovierungsbedürftig sind - selbstverständlich unter Einschluss des "wild-romantisch" eingewachsenen Gartens.

Auch ein Kollege, den man befragt, rät zu dieser Offerte. Auf den Einwand, man selber sei ja nur mit zwei linken Händen begabt und wisse gar nicht, was für Kosten auf einen zukommen, macht er eine großzügige Überschlagsrechnung, die nahelegt, dass die Offerte auch im schlechten Fall noch attraktiv sei. Und außerdem könne man ja einen Bauleiter engagieren. Um zu unterstreichen, wie sehr er von dem Angebot überzeugt ist, sagt er: "Wenn du das nicht machst, kannst Du dich einsargen lassen."

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Also willigt man ein in dieses Projekt, das sich alsbald zu einer abenteuerlichen Fahrt durch die Geisterbahn entwickeln wird.

Eine Tapete - 480 Euro

Der Bauleiter ist schnell gefunden. Es ist ein Mann mit wippendem Gang und stets lächelndem Gesicht, das zu sagen scheint: Für mich ist kein Problem groß genug. Nach einer ersten Wohnungsbegehung, bei der er viele Fotos mit dem iPhone macht, kommt ein seitenlanger Kostenvoranschlag für Abriss-, Heizungs-, Maler- und viele weitere Arbeiten. Der Endbetrag wirkt zunächst nicht abschreckend, allerdings sind viele Posten mit einem "EP" gekennzeichnet: Eventualposition. Das sind Arbeiten, bei denen gar nicht klar ist, ob und in welchem Umfang sie zur Ausführung kommen. Um ein Beispiel zu nennen: Der Abriss einer einzigen Tapetenlage wird mit 480 Euro ohne Mehrwertsteuer berechnet. Aber wie viele Tapeten kleben in einer "Vintagewohnung" eigentlich übereinander?

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Hier beginnt nun die Fehlerkette, denn selbstverständlich hat man das nicht geprüft. Genauso wenig, wie man geprüft hat, ob die Heizungsrohre eigentlich intakt sind, ob der Boden eben ist, die jahrzehntealte Verkabelung der Stromversorgung noch den aktuellen DIN-Vorgaben folgt und ob gegen das hartnäckige Nikotin an der Wand eventuell noch ein Isolieranstrich anzubringen ist - alles Dinge, die das Projekt granatenartig verteuern können. Mit optimistischem Zutrauen, das durch die zuversichtliche Miene des Bauleiters geweckt wurde, leistet man die Unterschrift und überweist sogar einen Teil des Geldes im Voraus. Schließlich gibt es bei Vorkasse Skonto - das ist der nächste Fehler, und zwar ein gravierender. Gleich wird klar, warum.

Schon am ersten Tag des Umbaus kommt es zu einer unerwarteten Stagnation: Das Abrissteam ist erst gar nicht gekommen. Das ist nur die Ouvertüre für die nächsten Monate, in denen immer wieder irgendein Handwerker nicht kommt. Auf den Bauleiter, den man am Telefon zur Rede stellt, scheinen auch Lautstärke und unerfreuliche Anreden keinen Eindruck zu machen. Immer wieder ist ein Vorgänger-Projekt nicht rechtzeitig fertig geworden oder steckt jemand in einem Stau fest, von dem man im Radio gar nichts gehört hat. Und alsbald wird klar: Die einzige Sprache, die auf dem Bau verstanden wird, ist die Androhung von finanziellen Sanktionen - ein Mittel, dessen man sich hier indes vorschnell beraubt hat.

Jemand hat die Wand gebrochen und später versperrt

Doch dann geht es endlich los, und die Männer des Abrissteams fördern die erste Überraschung zutage. Hinter einer Holzwand, die mit braunem Stoff bezogen war, kommt ein ein mal zwei Meter großes Loch zum Vorschein. Irgendjemand muss in grauer Vorzeit zwischen dieser und der Nachbarwohnung einen Durchbruch in die Betonwand gebrochen und ihn später auf diese primitive Weise versperrt haben. Selbstverständlich muss das sofort der Haus-Verwaltung angezeigt werden, doch die zerstört alle Hoffnung. Den Maurer, der jetzt engagiert werden muss, hat der neue Eigentümer selber zu zahlen: ein unerwarteter Kostenfaktor, der zu einer ersten Verzögerung führt.

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Die zweite lässt nicht lange auf sich warten. Die Heizungsbauer-Firma hat Handwerker geschickt, bei denen es schwer fällt, ihre fachliche Qualifikation einzuschätzen. Spaßeshalber werden die beiden im vertraulichen Gespräch "Tip und Tap" genannt, doch dieser Spaß verhüllt nur eine tiefsitzende Angst, die jeder Bauherr, der nichts von der Materie versteht, empfindet: Hoffentlich arbeiten die gut. Es ist dieses unangenehme Gefühl, diesen fremden Menschen ausgeliefert zu sein und gleichzeitig nicht zu wissen, was technisch passiert, das so einen Umbau mit dem Besuch beim Zahnarzt vergleichbar macht.

Die Monteure meinen jedenfalls, dass die Leistung des alten Heizkörpers für das neue große Wohnzimmer nicht ausreicht, ein zusätzlicher müsse her. Das mag isoliert betrachtet sicherlich richtig sein, allerdings fragen weder sie noch der Bauleiter nach den neuen Fenstern, die man bestellt hat und die einen so hohen Wärmeschutz bieten, dass sogar die abgestrahlte Körperwärme im Raum verbleibt. Da man jedoch auch selber diesen Zusammenhang nicht erkennt und sich im Winter im neuen Wohnzimmer bereits frieren sieht, bestellt man schließlich ein zusätzliches Gerät - eine verhängnisvolle Entscheidung.

Denn die Trockenwand ist längst gesetzt. Sie muss noch einmal geöffnet werden, weil der neue Heizkörper so schwer ist, dass er ohne Holzversteifung nicht halten kann. Die beiden Monteure sollen ihn ganz rechts setzen, doch wo hängt er, als man abends auf die Baustelle kommt? Fast in der Mitte! Also muss die Wand noch einmal geöffnet, eine neue Holzversteifung implantiert und der Heizkörper zurückgebaut werden - alles zulasten des Bauherrn, der bereits nach vier Wochen den Überblick über die Kosten verloren hat.

Hier zeigt sich, was der größte Fehler auf jeder Baustelle ist: persönliche Abwesenheit. Wer nicht da ist, aber erwartet, dass Handwerker sich an die Instruktionen erinnern, die man am Telefon oder am Tag zuvor persönlich ausgegeben hat, orientiert sich an einer Rationalität, die es auf Baustellen aus was für Gründen auch immer nicht gibt. Plötzlich hängt der Heizkörper in der Mitte, obwohl er nach rechts gerückt werden sollte. Plötzlich ist der Brausekopf neben der Badarmatur angebracht, obwohl der Schlauch jetzt mitten in der Badewanne hängt. Plötzlich kann das Licht für die Wendeltreppe nur von oben angeschaltet werden, obwohl man es natürlich auch von unten braucht. Immer muss irgendetwas nachjustiert werden, weil man selber im Moment der Tat nicht dabei war. Und das kostet Geld und Nerven und verzögert dieses Projekt, dem seine längste Stagnationsphase jedoch erst noch bevorsteht.

Nach etwa fünf Wochen kommen die Maler. Sie haben die Wände, an denen etwa vier bis fünf Lagen Tapeten klebten, gespachtelt und sind jetzt dabei, sie mit einer weißlichen, an Mehl erinnernden Masse zu grundieren. Dieser Stoff bringt im wahrsten Sinne des Wortes etwas zum Vorschein, mit dem man selbst in den schlimmsten Albträumen nicht gerechnet hatte. Auf einem länglichen Streifen schlängelt sich ein gelbliches Etwas die Wand entlang. Selbst der gewandte Bauleiter, dem sonst kein Problem zu groß ist, weiß am Telefon nicht richtig, wie er seinem nervlich angeschlagenen Bauherrn die Nachricht überbringen soll: "Wir müssen davon ausgehen, dass es sich um Feuchtigkeit handelt."

Die Bautrockner verbrauchen so viel Strom wie eine vierköpfige Familie

Feuchtigkeit! Abends erscheint ein sogenannter Leckorter, der mit einem Spezialgerät die Feuchtigkeit an den Wänden und in den Böden misst. Der Befund ist niederschmetternd: Zwei Wände sind befallen und sogar im Boden gibt es eine feuchte Stelle. Um auszuschließen, dass die neue Heizung leckt, muss sie noch einmal "abgedrückt" werden, doch Tip und Tap haben perfekte Arbeit geleistet. Als Ursache des Lecks wird schließlich eine Stelle in der Hauswand identifiziert, die abgedichtet werden muss. In der Wohnung laufen unterdessen Tag und Nacht mehrere Bautrockner, die soviel Strom verbrauchen wie eine vierköpfige Familie in einem Jahr. Bau-Verzögerung: drei Wochen.

Am Ende kommt dann fast alles ins Lot- fast. Das Bad ist fertig, das Parkett verlegt, und an einem Donnerstag sollen nun endlich auch die neuen Terrassentüren eingebaut werden. Spät kommt der Bauherr auf seine Baustelle, die ihn soviel Kraft und Geld gekostet hat, und will zufrieden alles in Augenschein nehmen: Bis er merkt, dass die Fensterbauer die Griffe von innen vergessen haben und sich die so mühevoll renovierte Wohnung nicht abschließen lässt. Nach einer weiteren unruhigen Nacht wird der Chef am nächsten Morgen lautstark zur Rede gestellt. Doch der meint nur seelenruhig: "Wissen Sie, wenn ich mich wegen jeder Kleinigkeit so aufregen würde, ich wäre längst tot."

Baustellen: der ganz normale Wahnsinn.

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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