Reden wir über Geld: Jochen Hörisch:"Geld steckt voller Erotik"

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Was ist eigentlich Geld? Ein Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch über Potenz und Faszination des Monetären - und die Frage, was Wirtschaftsbosse von Goethe lernen können.

Hans von der Hagen, Video: Marcel Kammermayer

Geld und Geist vertragen sich nicht? Der Mannheimer Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch ärgert sich, dass Schriftsteller zwar fast so gerne über Geld reden wie über Liebe, Tod und Teufel, aber die Literaturwissenschaft dies völlig ignoriert. Immerhin hatten sich Autoren wie Johann Wolfgang von Goethe und Thomas Mann intensiv mit dem Thema Wirtschaft auseinandergesetzt. Zugleich ist Hörisch gefesselt von dem Spannungsverhältnis Gott und Geld, von Hostie und Münze. Es bestehe gerade darum, weil es so viele Gemeinsamkeiten zwischen beiden Bereichen gebe.

Jochen Hörisch im Video, Es gibt Fragen, die Sie nur im Umkreis von Religion beantworten können (Video: Marcel Kammermayer)

SZ: Herr Hörisch, reden wir über Geld. Eine Krise jagt die nächste. Warum macht uns das Monetäre so viel Ärger?

Jochen Hörisch: Weil wir nicht genau wissen, was Geld eigentlich ist. Wir sehen zwar, dass es normalerweise funktioniert. Wenn es aber nicht funktioniert, haben wir allergrößte Orientierungsschwierigkeiten. Geld kann unheimlich im engeren Wortsinn werden: Es gehört zum Heim - und ist gleichwohl bedrohlich.

SZ: Die Menschen haben mehr als 2700 Jahre Erfahrung mit dem Geld - reicht das nicht, um es zu verstehen?

Hörisch: Natürlich lehren die Ökonomen die drei Funktionen des Geldes: Es ist Tauschmedium, es ist eine Recheneinheit, das Preisvergleiche ermöglicht und das Geld zum Urteilsmedium macht. Und es ermöglicht, Werte aufzubewahren. Dass es so unterschiedliche Funktionen in sich bündelt, macht das Geld so eigentümlich. Es ist ein durch und durch unreines Medium, es ist wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

SZ: Wie kommen die Ökonomen mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde zurecht?

Hörisch: Der Blick auf das Geld hat sich in den letzten Jahren radikal geändert. Es gibt da eine seltsame Paradoxie: Man wird rationaler, wenn man verstanden hat, dass sich Geld nicht in der klassischen Art und Weise verstehen lässt. In der Sphäre des Geldes stecken unendlich viel religiöse, aber auch erotische Begierden. Bei der ökonomischen Theoriebildung lässt sich ein entsprechender Paradigmenwechsel feststellen - sie holt die Menschen vermehrt bei ihren triebhaften und durchgeknallten Impulsen ab.

SZ: Schlägt das auch auf die Beurteilung des Kapitalismus insgesamt durch?

Hörisch: Interessanterweise nicht. Es ist keineswegs so, dass die Leute jetzt nach der Krise den Kapitalismus nennenswert kritischer sehen würden, obwohl es unendliche viele Pathologien in dem System gibt. Vielleicht liegt es daran, dass wir im Grunde keine Mangelkrise haben, sondern eine Überflusskrise. Hinzu kommt, dass der Kapitalismus ein entspanntes Verhältnis zu Krisen hat, weil er den Menschen gerade nicht ein krisenfreies Leben verspricht. Wir haben eine Krise im Geldverständnis und eine spezifische Krise an den Finanzmärkten.

SZ: Ist eine Krise des Geldverständnisses eine alltagsrelevante Diagnose oder nicht doch eher intellektuelles Spielzeug für den Wissenschaftler?

Hörisch: Nein, die Konsequenzen lassen sich konkret herunterbrechen. Sie kommen zu einem anderen Geldverhältnis, wenn Sie die Fragen, die Sie in der Religion zulassen - könnte die Hand Gottes unsichtbar sein, weil es Gott nicht gibt -, auch auf den Markt bezogen zulassen: Es muss die Frage erlaubt sein: Gibt es die invisible Hand wirklich?

SZ: Sie meinen die unsichtbare Hand des Marktes ...

Hörisch: ... von der einst der Philosoph und Begründer der klassischen Ökonomie, Adam Smith, sprach, die den Egoismus der Einzelnen zum Guten wendet? Wie kann das Beben auf den Finanzmärkten sein, wenn die unsichtbare Hand des Marktes alles so herrlich regiert? Eine solche Frage wäre das ökonomische Sakrileg schlechthin. Wenn man sich aber von solchen Leitvorstellungen verabschiedet, kommt man auch zu anderen Form der Ökonomie. Zum Beispiel muss man darüber nachdenken, wie umgeschuldet werden kann. Bislang verlängern wir Schulden bis zum Sankt Nimmerleinstag der ewigen Erlösung. Den wird es aber nicht geben.

SZ: Was ist Ihr Vorschlag? Das Geld abzuschaffen?

Hörisch: Das wäre unbezahlbar. Ich übe keine Geldkritik, im Gegenteil, ich bin ein großer Bewunderer des Geldes. Es ist ein phantastisch kluges Medium - wenn man es richtig einsetzt. Der letzte Großversuch, Geld abzuschaffen, war der von Pol Pot in Kambodscha. Das ist vielen sehr teuer zu stehen gekommen.

SZ: Welche Lösung halten Germanisten zur Rettung des Kapitalismus parat?

Hörisch: Die Schulden der öffentlichen Hand liegen bei 1,8 Billionen Euro. Zugleich haben wir ein liquides Geldvermögen inklusive Aktien in der privaten Hand von acht Billionen Euro. Mein Vorschlag: Wir buchen 20 bis 25 Prozent privates in öffentliches Vermögen. Der früher übliche Währungsschnitt nach den Kriegen würde also durch privaten Reichtum ersetzt, der massenhaft vorhanden ist. So wurde übrigens bei Thomas Manns "Königliche Hoheit", ein geradezu volkswirtschaftlicher Roman, der klamme Kleinstaat gerettet.

SZ: Interessanter Vorschlag - aber leider chancenlos, oder?

Hörisch: Vielleicht chancenlos, aber wir wollen eine Diskussion mit neuen Argumenten anzetteln und haben deshalb die Initiative "Hurra, wir tilgen" ins Leben gerufen. Sie will dem langweiligen Spiel ein Ende setzen, immer die anderen zur Kasse zu bitten. Jeder kann sich an der Tilgung der Schulden beteiligen. Ich habe 10.000 Euro gespendet, das waren 20 Prozent meines liquiden Vermögens. Für mich war diese Spende eine spannender Selbstversuch: Kann ich meinen Geiz und meine Gier überwinden? Und siehe da: Ich habe mich selbst überrascht.

SZ: Und wie reagiert die Öffentlichkeit?

Hörisch: Von lebhafter Zustimmung bis hin zu der mich irritierenden, aber häufig vertretenen Einstellung: Der Staat ist mein Feind. Es war alles dabei. Anarchisten und RAF-Sympathisanten hätten daran ihre Freude. Bisher sind allerdings auch nur symbolische Beträge zusammengekommen.

SZ: Banken können Geld vermehren: Sie verleihen mehr Geld als sie an Guthaben haben. Ist es gefährlich, wenn ein Wert ständig aus sich selbst heraus mehr wert wird?

Hörisch: Eine heikle Frage. Der griechische Begriff für Zins ist zugleich das Wort für Kinder. So wie Menschen sich vermehren, indem sie Kinder in die Welt setzen, so vermehrt sich Geld, indem es Zinsen abwirft. Wir sprechen von Zinseszinsen und Kindeskindern. Und ich will auf die scharfe These hinaus, dass Geld eine männliche Sphäre ist, die sich gewissermaßen über die Realökonomie, über die "materiale" Ökonomie, also die Mutter, lustig macht.

SZ: Wenn Geld aus Geld gemacht werden kann - warum sollte es dann noch in die Realwirtschaft investiert werden?

Hörisch: In der Tat wird Geld immer selbstreferenzieller. Darum gibt es auch diesen ebenso naiven wie mythologischen Run auf das Gold. Jetzt ist man wieder da, wo man vor 3000 Jahren schon einmal war: bei König Midas.

SZ: Wenn Sie Geld mit der männlichen Sphäre gleichsetzen - sehen Männer Geld anders als Frauen?

Hörisch: Klischeehaft gesprochen: Männer sind zum abstrakten Durchsetzen ihrer Geltungsansprüche verurteilt. Nehmen Sie die Boni-Debatte: Es ist egal, ob ein Spitzenmanager 30 Millionen Abfindung bekommt oder 70. Er lebt damit nicht anders. Aber es geht um die Erotik des Geldes, um die Frage: Wer ist potenter, wer verdient mehr? Frauen hingegen sehen Geld als Medium, mit dem man anderes machen kann.

SZ: Liebe, Recht oder Wissenschaft mühen sich um Distanz zum Geld. Woher rührt dieses Spannungsfeld?

Hörisch: Alle Kulturen haben das Bedürfnis, zumindest ein, zwei, drei Bereiche zu nennen, die sie von Geld reinhalten wollen. Man kann Sex kaufen, aber nicht die Liebe. Sie können einen Gutachter bestellen, aber nicht die Wahrheit kaufen. Zugleich wissen wir, dass Geld in all diese Sphären hineinspielt; aber alle haben dieselbe Intuition: Das darf nicht sein, das ist korrupt. Also müssen einige Systeme der Gesellschaft scheinbar aus sich selbst heraus funktionieren: Das Recht etwa muss mit Paragraphen arbeiten, die Liebe mit Schwüren. Geld funktioniert nur, wenn man auch geldfreie Zonen benennen kann.

SZ: Auffällig ist es, wie intensiv sich die Sprache des Geldes bei den Theologen bedient. Verschafft sich so das Geld mehr Geltung?

Hörisch: Die ersten Formen der Geldnutzung und auch der Geldprägung fanden in Tempeln statt. Geld und Gott haben unglaublich viel miteinander zu tun. Nehmen Sie nur die Frage: Gibt es ein islamisches Bankensystem? Oder die nächstverwandten Worte "Erlös" und "Erlösung" oder "Glaube" und "Gläubiger". Wir haben eine Geld-Illusion und eine Gottes-Illusion, dafür brauchen wir Geld-Vertrauen und Gott-Vertrauen. Ohne dieses Vertrauen kollabiert die ökonomische wie die religiöse Sphäre.

SZ: Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zum Geld?

Hörisch: Ich lebe gerne, ich gebe es gerne aus. Ich bin ein ordentlich verdienender Beamter und freue mich darüber, dass jeden Monat mein Gehalt als C4-Professor von rund 7000 Euro brutto auf meinem Konto landet. Die jüngeren Kollegen verdienen mittlerweile eklatant weniger, sie bekommen im Monat gut 2000 Euro weniger. Mittlerweile ist kein Beruf finanziell so abgewertet wie der des deutschen Professors, gerade im öffentlichen Dienst.

SZ: Sie haben einige Bücher über Geld veröffentlicht. Werden Sie oft um Rat gefragt?

Hörisch: Ach, da würde ich mich blamieren, denn meine abenteuerlichste Geldtransaktion war die Abzahlung meiner Doppelhaushälfte.

SZ: Bietet das Geld in der Literatur mehr Abenteuer?

Hörisch: Mich hat als Literaturwissenschaftler irritiert, dass in der Literatur - je besser sie ist - von Sophokles über William Shakespeare bis Goethe und Thomas Mann Geld eine absolut zentrale Rolle spielt. Goethe hat Adam Smith genau studiert. Denken Sie nur an den Mephisto: "Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft." Das ist das Prinzip der unsichtbaren Hand. Mephisto ist der Markt. Da muss ich jetzt einmal lästerlich über mein eigenes Fach reden: Es ist wirklich bemerkenswert, dass dieses Thema in der Literaturwissenschaft ignoriert worden ist.

© SZ vom 4.2.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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