Industrie:Kunststoffhersteller wollen weg vom Öl

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So könnte es gehen. Eine Frau zeigt Pellets aus kompostierbarem Kunststoff. (Foto: Lechatnoir/Getty Images)

Experten fordern eine vollständige Abkehr vom wichtigsten Rohstoff der Kunststoffindustrie. Von einer echten Kreislaufwirtschaft ist die Branche aber noch weit entfernt.

Von Elisabeth Dostert, München

Für Christian Bonten gibt es so gut wie jeden Tag Gründe sich zu ärgern. Sie liegen auf der Straße. Er muss sich nur umschauen - auf dem Weg zur Arbeit, beim Einkauf oder beim Joggen. Überall sieht er "Schweinereien". Geschälte Kartoffeln oder Möhren in Kunststoff verpackt, das findet der Maschinenbau-Ingenieur "pervers". Oder die spitzen Kappen von Silvesterraketen. Auch die sind aus Kunststoff. "Sammelt die irgendwer ein?", fragt Bonten. Er schon. Er weiß ja, was mit den achtlos in der Umwelt entsorgten Plastiksachen geschieht. Sie werden vielleicht beim nächsten Regen in den nahegelegenen Bach oder Fluss geschwemmt und landen von dort im Meer, wo sie über Jahrzehnte zu Mikroplastik zerrieben werden. Bonten weiß, wovon er redet, er leitet das Institut für Kunststofftechnik der Universität Stuttgart.

"Der Werkstoff ist nicht das Problem, sondern die Faulheit der Konsumenten."

Bonten verdammt Kunststoffe nicht generell. Sie haben ihm zufolge viele Vorzüge: Sie machen Autos und Flugzeuge leichter, Lebensmittel länger haltbar, sie werden in der Medizin eingesetzt für Magensonden, Blutbeutel und vieles mehr. "Der Werkstoff ist nicht das Problem, sondern die Unachtsamkeit und Faulheit der Konsumenten", sagt Bonten. Und das Design. Viele Produkte seien nicht so entworfen, dass sie sich wirklich gut recyceln lassen. "Da sind Kunststoffe miteinander und auch mit anderen Werkstoffen so miteinander verbunden, dass sie sich kaum mehr trennen lassen. Das muss sich ändern", sagt der Wissenschaftler.

Silvesterraketen mit Kunststoffkappen. Aber wer sammelt die hinterher ein? (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Vieles muss sich ändern. Was genau, haben Bonten und andere Fachleute Monate lang diskutiert und Empfehlungen für eine "Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie" entwickelt, die nun vorgestellt wurde. Eingeladen zu der Diskussion hatte der Verband Plastics Europe Deutschland. Er vertritt Kunststoffhersteller. Zu den Mitgliedern gehören BASF, Covestro, Lanxess, Wacker Chemie und vielen andere mehr. Führungskräfte des Verbandes, so steht es auf dem Deckblatt des Papiers, haben den Prozess moderiert. "Einfluss genommen haben sie nicht", versichert Bonten. KreislaufwirtschaftPLUS nennen die Experten ihr Konzept. Sie fordern einen "Systemwandel."

Wie der Wandel aussehen könnte, wollen die Unternehmen in den nächsten Tagen auf der Fachmesse K in Düsseldorf zeigen, nach eigenen Angaben der weltweit bedeutendsten Messe für die Kunststoff- und Kautschukindustrie.

In Deutschland wurden 2021 gut 21 Millionen Tonnen Kunststoff hergestellt, Werkstoffe wie Polyethylen, PVC oder PET, aber auch Kunststoffe für Kleber, Farben und Lacke. Das geht aus der Studie Stoffstrombild Kunststoffe des Beratungsunternehmens Conversio hervor. Fast 90 Prozent der Produktion basierte auf fossilen Rohstoffen wie Erdöl. Der gewerbliche und private Verbrauch von Kunststoffprodukten lag der Studie zufolge bei rund 12,4 Millionen Tonnen. Bei Endverbrauchern fielen 5,44 Millionen Tonnen Abfall an. Die Differenz ist beträchtlich, das liegt an der unterschiedlichen Nutzungsdauer - wenige Tage bei Verpackungen, Jahrzehnte etwa bei Baumaterial. Und bei Autos, die nach der Nutzung exportiert werden, fällt der Abfall im Ausland an.

Der Anfang zum Recycling ist schon mal gemacht, wenn Kunststoffe im gelben Sack landen. (Foto: Claus Schunk)

Mehr als die Hälfte der Abfälle wird verbrannt - in Müllverbrennungsanlagen, zum Beispiel als Teil des Restmülls, oder aufbereitet als Ersatzbrennstoff, zum Beispiel in der Stahl- oder Zementindustrie. In Recyclinganlagen wurden von den Abfällen der Endverbraucher nur gut 1,7 Millionen Tonnen recycelt. Bei der Produktion von neuen Kunststoffprodukten, also Verpackungen, Dämmstoffen, Haushaltswaren und vielem mehr spiele Rezyklat noch eine "recht geringe Rolle", sagt Christoph Lindner, geschäftsführender Gesellschafter von Conversio. Von den gut 14 Millionen Tonnen Kunststoffprodukten, die 2021 hergestellt wurden, basierten nur knapp zwölf Prozent auf Rezyklat und davon wurden drei Viertel aus Endverbraucherabfällen gewonnen. "Von einer wirklich zirkulären Kunststoffwirtschaft sind wir noch sehr weit entfernt", sagt Lindner: "Es gibt gute Ansätze, aber insgesamt muss noch sehr viel passieren."

"Kohlenstoff muss aus der Natur kommen oder aus dem Recycling."

Die Empfehlungen der Experten um Bonten lassen sich so zusammenfassen: Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden will, muss sich in der Kunststoffindustrie einiges grundlegend ändern. Alles muss zirkulär werden. Aus Abfällen werden wieder Rohstoffe. Ziel des Konzepts sei die "vollständige Defossilisierung". "Wir müssen unabhängig von Erdöl und Erdgas werden", sagt Bonten. Defossilisierung heißt nicht Dekarbonisierung. Die vollständige Dekarbonisierung funktioniere nur in der Energiewirtschaft. "Chemie- und Pharmaindustrie kommen nicht ohne Kohlenstoff aus", sagt Bonten: "Aber dieser Kohlenstoff müsse aus der Natur kommen oder aus dem Recycling. Und wenn wir recyceln, dann brauchen wir dafür erneuerbare Energien." Was nicht im Kreislauf führbar sei, müsse aus Bio-Kunststoffen hergestellt werden, also biologisch abbaubar und/oder biobasiert sein. Solche Kunststoffe gibt es schon, aus Maisstärke, Zucker oder Zellulose.

Nahezu alle Technologien, um Kunststoffe, und damit Kohlenstoff, im Kreislauf zu führen, gäbe es bereits, heißt es in dem Papier. Die Bestandsaufnahme der Experten: Derzeit sei die Kunststoffindustrie vom Ziel einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft bis 2045 noch "weit entfernt". Die Wertschöpfungskette agiere überwiegend linear, also gerade nicht im Kreislauf.

Vieles, was nutzlos erscheint, kann man noch reparieren. (Foto: Günther Reger)

Die Forderungen der Experten lassen sich in ein paar "R"s fassen, zumindest fangen die englischen Begriffe für das, was zu tun ist, so an: refuse, reduce, reuse, repurpose, repair, recycle. So lautet auch das Credo von Bonten: "Abfall vermeiden und verringern. Kunststoffprodukte wiederverwenden, reparieren und am Ende der Nutzung recyceln, entweder mechanisch oder chemisch." Die reine Verbrennung von Kunststoffabfällen ohne das dabei emittierte CO₂ abzutrennen und zu nutzen, sei zu vermeiden, empfehlen die Experten. Genutzt werden kann das so gewonnene CO₂ zum Beispiel in der Getränkeindustrie oder zur Herstellung neuer Basischemikalien oder von Treibstoffen. Um Kunststoffprodukte recyceln zu können, müssen sie, so die Forderungen der Experten auch schon kreislauffähig designed werden.

"Ich hoffe", sagt Bonten, "dass wir als Gesellschaft und auch die Politik verstehen, dass etwas passieren muss. Dieses Mal dürfen wir es nicht aussitzen."

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